Mikroprozessoren in der Prozeßtechnik:

Euphorie und Skepsis

21.04.1978

Während der Mikroprozessor im Konsumgüterbereich und in der mittleren Datentechnik schon lange festen Fuß gefaßt hat, ist auf dem Gebiet der Prozeßtechnik die anfängliche Euphorie ihm gegenüber einer tiefen Skepsis gewichen. Macht es der Mikroprozessor doch möglich, immer billiger werdende Hardware durch immer teurer werdende Software zu ersetzen! Einer Software zudem, die vergleichsweise schwierig zu erstellen ist.

Doch wie die Euphoriker der Anfangsphase seine Verbreitung nicht beschleunigen konnten, so werden die Skeptiker diese nicht verhindern können. Denn sicher ist, daß durch die neuen Kostenrelationen auch solche Anlagen und Geräte automatisierbar werden, für die der Einsatz von größeren Digitalrechnern nicht in Frage kam, also nicht mehr nur Atomkraftwerke und Supertanker, sondern auch Aufzüge, Heizungsanlagen und Kuhställe. Das Anwendungsgebiet von digitalen Rechenanlagen in technischer Applikation vervielfacht sich dadurch nicht nur: es explodiert.

Was ist in der Prozeßtechnik nun anders? - Die Antwort ist zu suchen in der Relation von Komplexität der zu automatisierenden Probleme und der Stückzahl der Anlagen. In der Prozeßtechnik hatte man es bisher im Gegensatz zum Konsumgüterbereich mit hoher Komplexität und kleiner Stückzahl zu tun. Das heißt aber, daß die Entwicklungskosten für die Automatisierung (wovon die Softwarekosten den Löwenanteil ausmachten) voll auf die Kosten der Anlagen durchschlagen mußten. Jetzt expandiert dieses Anwendungsgebiet eben durch die Existenz der Mikroprozessoren hin zu kleinerer Komplexität und größerer Stückzahl.

Wirklich große Stückzahlen sind jedoch hier nicht zu erwarten. Deshalb muß man versuchen, möglichst viel von der Hardware (und natürlich auch von der Software) aus vorgefertigten Teilen, den Standardplatinen oder Komponenten zusammenzusetzen. Zur

Zeit existiert nur für den 8-Bit-Prozessor ein nennenswertes Marktangebot an Komponenten, und auch das ist nicht unproblematisch.

Denn die Komponentenhersteller haben sich bisher selbst für Platinen, die auf demselben Fabrikat basieren, nicht auf eine gemeinsame Schnittstelle geeinigt, so daß man im konkreten Fall jeweils auf das Angebot eines Herstellers angewiesen ist. Es gibt deshalb kaum ein Projekt in der Prozeßtechnik, für das ein Mikroprozessorsystem aus Standardkomponenten allein zusammengestellt werden könnte. Es bleibt eigentlich immer ein Rest speziell zu entwickelnder Hardware. Die Graphik versucht darzustellen, wo in diesem Spannungsfeld die verschiedenen Mikroprozessortypen ihren Platz haben, wobei die Grenzen stark überlappen und sich ständig in Richtung auf höhere Leistungsfähigkeit und geringere Preise verschieben. Die Skaleneinteilung der Achsen ist mit Absicht weggelassen worden. Nach oben ist das Anwendungsgebiet begrenzt durch die typische Adreßraumgröße von 64 K maximal und durch die Konkurrenz der Minirechner, nach unten durch den Einsatz von festverdrahteter Logiken.

Der Single-Chip-Computer ist für den unteren Bereich bis zu einer Komplexität von 2 K Byte Software eine wirtschaftliche Lösung.

Im Bereich hoher Stückzahlen und hoher Komplexität hat der Slice-Prozessor seinen Platz. Er dient als Baustein für beliebig leistungsfähige Computer bei entsprechendem Entwicklungsaufwand.

In den Rest teilen sich die "Universellen", wobei die breiten für hohes Komplexität bei kleiner Stückzahl und die schmalen für das Gegenteil in Frage kommen. Die Szene wird beherrscht durch den 8-Bit-Universellen, den man auch landläufig mit dem Begriff Mikroprozessor assoziiert. Um trotz der fehlenden Dimensionen eine Vorstellung davon zu vermitteln, wo die Kosten für ein Mikrorechnersystem liegen können, sei aufgrund konkreter Projekterfahrung ein Punkt dieses Schaubildes (gekennzeichnet durch 0) herausgegriffen.

Technologie Apparatebau

Komplexität 10 K Byte S

Stückzahl 100

Peripherie Tastatur, Drucker, ca. 50 Digital Ein-/Ausgänge

Diese Zahlen stimmen optimistisch. Sie sind jedoch nur zu erreichen, wenn

1) Hardware und Softwareentwickler ein hohes Maß an Erfahrungen in das Projekt einbringen,

2) der Anwender weder Euphoriker noch Skeptiker ist, sondern über ein gutes Augenmaß für die Machbarkeit verfügt.

Anlagenhersteller, die von Null anfangend eine Mikroprozessorgruppe aufbauen, sollten sich zunächst bescheidenere Ziele setzen und damit rechnen, daß sie anfänglich für das recht umfangreiche Know-how Lehrgeld zahlen müssen.

* Jürgen Stocks ist verantwortlicher Mitarbeiter für Mikroprozessor-Projekte, PSI, Berlin