Interview

"Es war nicht leicht, sich von AT&T abzunabeln"

16.05.1997

CW: Lucent Technologies ist vor gut einem Jahr mit viel Wirbel ins internationale Business gestartet. Doch anschließend ist es zumindest hierzulande um das Unternehmen recht still geworden. Angesichts des Renommees als ehemalige AT&T-Company können Sie mit dieser Entwicklung kaum zufrieden sein.

PASTERNAK: Das stimmt. Es ist aber auch kein leichtes Unterfangen, sich nach über 100jähriger Firmengeschichte von AT&T abzunabeln und neu anzufangen. Immerhin lautete die Zielsetzung, das Carrier- und Produktgeschäft bei der früheren AT&T konsequent zu trennen. Das ist gelungen. Lucent Technologies tritt heute weltweit selbständig auf, auch in Deutschland.

CW: Hier können sich aber viele unter Lucent nichts vorstellen.

PASTERNAK: Wir versuchen, dies zu ändern. Erschwerend kam in Deutschland allerdings hinzu, daß neben der Umstrukturierung auch noch die Philips Kommunikations Industrie (PKI) in das neue Unternehmen integriert werden mußte. Die Mühen zahlen sich aber aus: Heute kann Lucent mit einem Portfolio für Carrier im Campus-, City-, MAN- und WAN-Bereich aufwarten.

CW: Liegen für 1996 schon Ergebnisse vor?

PASTERNAK: Lucent Technologies hat weltweit in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 1996 knapp 16 Milliarden Dollar Umsatz erzielt. Wir zählen uns damit zu den größten Technologieunternehmen für TK-Lösungen international.

CW: Kann Lucent bei einem Produktspektrum vom LAN über das WAN bis hin zu den Netzbetreibern den Anwendern überhaupt gerecht werden? Wäre nicht weniger mehr?

PASTERNAK: Um den Markt konzentriert angehen zu können, fächert sich Lucent in vier Business-Bereiche auf: "Network Systems" mit Netzinfrastruktur-Lösungen für Carrier, "Private Networks" mit aktiven und passiven Systemen für LAN-, Campus- und WAN-Access-Lösungen, "Business Communications Systems" mit TK-Lösungen sowie "Microelectronics" mit mikroelektronischen Komponenten.

CW: AT&T hatte mit seinem Verkabelungssystem hier immer einen schweren Stand.

PASTERNAK: AT&T hat mit Systimax SCS das erste strukturierte Verkabelungssystem auf den Markt gebracht, und Lucent ist heute Marktführer in diesem Segment. Der deutsche Markt zeigt allerdings eine Besonderheit. Hier wurde um geschirmte oder ungeschirmte Systeme fast schon ein Glaubenskrieg geführt. Unser Fehler war, uns darauf zu sehr einzulassen. Systimax verfügt über eine Technologie, die einer zusätzlichen Schirmung aber nicht bedarf.

CW: Lucent sträubt sich gegen einen Standard Kategorie 6, der von deutschen Herstellern gefordert wird.

PASTERNAK: Die überwiegende Mehrzahl der heutigen Netzanwendungen basiert auf Ethernet-Lösungen, die spielend mit Frequenzen bis zu 70 Megahertz fertig werden. Warum also heute Kabelsysteme schon auf 300 Megahertz Frequenz und mehr auslegen, wenn weit und breit keine Anwendung in Sicht ist, die diesen Frequenzzuwachs nutzen könnte? Glauben Sie ernsthaft, daß die international operierenden Hersteller von aktiven Netzkomponenten nur für den deutschen Markt - denn nur hier wird ernsthaft Kategorie 6 gefordert - ihre Systeme an die neuen Frequenzbandbreiten anpassen? Außerdem stellt sich die Frage, wie steht es um die Weiterverwendung des weltweit normierten RJ45-Steckersystems?

CW: Immerhin wurde im Standardisierungsgremium IEEE bereits über Kategorie 6 diskutiert.

PASTERNAK: Mich überrascht nicht, daß der Vorstoß einiger deutscher Firmen in Richtung eines neuen Kategorie-6-Standards beim IEEE nicht auf Gegenliebe trifft. Was sicher kommt, ist der Gigabit-Ethernet-Standard, der mit RJ45-Stecksystemen Übertragungsraten von bis zu 1000 Mbit/s ermöglicht, und das mit Twisted-pair-Kabeln. Wenn unter Kategorie 5 bereits mit Gigabit Ethernet Transferraten von bis zu 1000 Mbit/s möglich sind, dann lautet der nächste Schritt Glasfaser und nicht Kategorie 6 für Kupferkabel.

CW: Mit Gefechten im IEEE um Verkabelungsstandards lassen sich aber keine Marktanteile gewinnen.

PASTERNAK: Das ist richtig. Letztlich interessiert den Anwender nur, mit welchem Verkabelungssystem er bei seinen Anwendungen auf der sicheren Seite ist.