Interview

"Es gibt keine immateriellen Vorteile"

04.10.1996

CW: In "The Business Value of Computers" haben Sie vor sechs Jahren geschrieben, es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Profit eines Unternehmens und der Höhe seiner IT-Investitionen. Gilt das immer noch?

Strassmann: Diese Veröffentlichung basierte auf Untersuchungen, die wir in den 80er Jahren an 292 Unternehmen vorgenommen hatten. Mittlerweile sind in meiner Datenbank 620 Unternehmen gespeichert, und es läßt sich immer noch kein derartiger Zusammenhang feststellen.

CW: Trägt die Informationstechnik also nichts zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei?

Strassmann: Doch. Computer wirken wie ein Verstärker: Sie machen eine kompetente Unternehmensführung besser und ein schwaches Management schlechter.

CW: Sie vertreten die Ansicht, Projekte seien die Schlachtfelder des Informationszeitalters. Setzen Sie da nicht eine Ebene zu niedrig an?

Strassmann: Nein. In der Sowjetunion gab es Leute, die nicht den Kreml studiert haben, sondern in die Fabriken gegangen sind. Und die haben schon sehr früh geschrieben, daß dies ein bankrottes System sei.

CW: Wenn das Projekt die Essenz der IT-Struktur ist, dann hängt dessen Erfolg also genausowenig von der finanziellen Ausstattung ab?

Strassmann: Ein Zuviel an Geld ist niemals gut. Andererseits lassen sich die Aufgaben nur lösen, wenn dafür ein angemessener Betrag zur Verfügung steht. Das ist wie mit dem Essen: Zuviel davon tut uns nicht gut, aber wir brauchen ein Minimum, um zu überleben.

CW: Sie selbst betonen aber, daß viele Projekte weniger an mangelhafter Ausstattung kranken als beispielsweise daran, daß sich die Ziele ändern oder Verantwortlichkeiten unbemerkt verlorengehen. Ist es möglich, negative Faktoren schon im Vorfeld abzuwehren?

Strassmann: Leider passieren solche Dinge unabhängig davon, ob Sie sie wollen oder nicht, beispielsweise dann, wenn ein Unternehmen in den Besitz eines anderen übergeht. Das ist wie ein Schnupfen, den man sich im Bus oder der U-Bahn holt.

CW: Was halten Sie von der These, gescheiterte Projekte seien ein nützliches Mittel, um Erfahrungen zu sammeln?

Strassmann: Scheitern ist in Ordnung, solange es unter kontrollierten Bedingungen geschieht. Je eher ein Fehlschlag beendet oder die Arbeit in neue Bahnen gelenkt wird, desto besser. Hartnäckigkeit im Angesicht wiederholten Scheiterns ist eine der klinischen Definitionen für Geistesgestörtheit.

CW: Wieso beziehen Sie Ihre Metaphern meist aus dem Bereich der Medizin?

Strassmann: Projekte haben viel mehr mit Medizin zu tun als mit Ingenieurwissenschaften. Sie sind lebende Gebilde. Sie verändern die Organisation, in die sie hineingebracht werden.

CW: Woran merkt die Unternehmensleitung eigentlich, ob sie das bekommen hat, was sie mit dem Projekt erreichen wollte?

Strassmann: Die richtigen Ziele zu setzen gehört zu den kompliziertesten Dingen beim Projekt-Management. Leider werden die Vorgaben meist durch das Was und Wie statt durch das Wofür definiert.

CW: Sie drücken das Wofür bekanntlich in Dollar und Cent aus. Wieso lassen Sie die immateriellen Vorteile außer acht?

Strassmann: Weil es sie nicht gibt. Bessere Qualität schlägt sich in höheren Preisen nieder - vorausgesetzt, der Kunde honoriert den Nutzen. Andere nichtmonetäre Maßstäbe wie Antwortzeiten lassen sich ebenfalls in finanzielle Begriffe übersetzen. Projekte kosten Geld es ist logisch, Vorteile auf dieselbe Art auszudrücken wie Investitionen.

CW: Sie geben den Projektverantwortlichen den Rat, niemals Forderungen von Leuten zu akzeptieren, die über kein Budget verfügen. Den Anwendern fehlt meist die Finanzverantwortung. Müssen ihre Ansprüche deshalb zurückstehen?

Strassmann: Es gibt Eigner, Kunden und Anwender. Letztere haben meist wenig zu sagen. Die Kunden treffen die Entscheidungen, verfügen aber nicht über Geld. Und die Eigner verstehen nicht, was Anwender und Kunden wollen. Als Projekt-Manager müssen Sie die Kommunikation zwischen diesen Gruppen herstellen.

CW: Die meisten Berater reiten darauf herum, das Wichtigste sei, die Anwender einzubeziehen ..

Strassmann: Und die Kirche predigt, wie wichtig es sei, sich um die Gläubigen zu kümmern. Beides ist Propaganda.