Erfahrungen eines Freiberuflers mit dem "Schweizer Service" Steuerhinterziehung wird oft als Kavaliersdelikt angesehen

18.11.1994

MUENCHEN (CW) - In schwierigen Zeiten neigen Freiberufler verstaendlicherweise dazu, Angebote anzunehmen, die zwar verlockend klingen, aber auch ihre Tuecken haben. Ein Selbstaendiger, dessen Name der Redaktion bekannt ist, berichtet ueber Schweizer Erfahrungen.

"Deutsches DV-Personal wird zunehmend aus der Schweiz angesprochen und damit nicht selten in aeusserst problematische Situationen verstrickt. Unternehmensberatungen werben dabei fast ausschliesslich Freiberufler an. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Projekteinsaetzen in Deutschland und in der Schweiz.

Einsaetze in Deutschland erfolgen im Regelfall ueber deutsche Drittfirmen (Softwarehaeuser oder Unternehmensberatungen). Der Mitarbeiter erstellt monatlich Abrechnungen an eine Schweizer Adresse, von wo, meist nach Abzug einer Provision, die Bezahlung erfolgt.

Dabei wird "Schweizer Service" offeriert: Nur ein Teil der Abrechnung geht ueber den Tisch nach Deutschland, der Rest am Fiskus vorbei auf ein grosszuegig zur Verfuegung gestelltes eidgenoessisches Nummernkonto.

Die dabei offen praktizierte und gefoerderte Abgabenhinterziehung macht den Mitarbeiter extrem erpressbar. Die deutsche Drittfirma bezahlt ebenfalls eine Provision in die Schweiz und erhaelt dadurch besonders gut getuerkte Kostenrechnungen, die von unbedarften Steuerpruefern offenbar restlos akzeptiert werden.

Der deutsche Endkunde hingegen bezahlt ohne wesentlichen Kostenvorteil direkt an das Softwarehaus oder die Unternehmensberatung fuer die illegale Arbeitnehmerueberlassung.

Sehr haeufig befinden sich unter dieser Klientel nicht nur namhafte Kreditinstitute und Grossfirmen, sondern auch grosse und allergroesste oeffentliche Unternehmungen sowie eine ganze Reihe von Behoerden. Diese wiederum pflegen derartige Auftraege beinahe ausnahmslos ohne oeffentliche Ausschreibung zu vergeben, nachdem die Projekte zuvor "atomisiert" wurden und somit ausschliesslich dem "pflichtgemaessen Ermessen" des entscheidenden Beamten unterliegen.

Erfolgt die Anwerbung fuer einen Arbeitseinsatz in der Schweiz, dann ist allergroesste Vorsicht geboten. Eine freiberufliche beziehungsweise selbstaendige Taetigkeit fuer deutsche DV-Berater ist in der Schweiz grundsaetzlich erst nach mindestens fuenfjaehrigem rechtmaessigem Aufenthalt erlaubt. Behauptet der Schweizer Anwerber das Gegenteil, sollte man ihn sofort meiden.

Einer der ueblichen Koeder besteht darin, den Mitarbeiter in die Schweiz zu locken unter der Zusage, aufgrund "erstklassiger Beziehungen und Firmenanwaelte" bei den kantonalen Behoerden doch eine Arbeitserlaubnis erwirken zu koennen. Wenn dann noch der Endkunde mitspielt, der dringend einen guten Externen benoetigt, ist man rasch uebertoelpelt.

Nach vielleicht sechs bis acht Wochen wird es sich herausstellen, dass man ueberhaupt keine Chance auf eine regulaere Arbeitserlaubnis hat und den Rat erhaelt, doch am besten weiter als U-Boot zu leben und zu arbeiten. Von Schweizer Behoerden dabei entdeckt und abgeschoben zu werden, stehe naemlich nicht zu befuerchten, man habe ja nicht einmal die Drogenszene im Griff, und sogar bei bekannten Schweizer Grossbanken und Behoerden seien, wie auch in Deutschland ueblich, regelmaessig illegale Auslaender eingesetzt.

Bringt man nun als DV-Berater fuer ein derartiges Leben und Wirken weder den ausreichenden Mut noch die noetige Skrupellosigkeit auf, so hat man es sich rasch verscherzt bei den Schweizer Bieder- und ihren meist deutschen Hintermaennern.

Der Endkunde beurteilt die noch einen Tag zuvor hoechst positiv bewertete Arbeit des illegalen Auslaenders ploetzlich als unbrauchbar, der direkte Vertragspartner errechnet einen entgangenen Umsatz in fuenfstelliger Schweizer-Franken-Hoehe und droht mit Klage, die er jedoch wohlweislich unterlaesst.

Bezahlt wird dann selbstverstaendlich nichts, der Deutsche bleibt damit nicht nur auf seinen in sechs bis acht Wochen aufgelaufenen Reise- und Hotelkosten sitzen, er erhaelt fuer seine Arbeit auch keinen Lohn.

Zustaendig fuer derartige Probleme fuehlt sich offenkundig niemand, weder Polizei noch Konsulat, und von der Moeglichkeit, den Zivilrechtsweg zu beschreiten, wird a priori als aussichtslos abgeraten. Wenig sinnvoll ist es auch, mit Hilfe einer offenbar dubiosen Schweizer kantonalen Behoerde sogenannte "Grenzgaenger- Bewilligungen" zu erwirken. Das ausstellende Amt hat weder die oertliche Zustaendigkeit, noch vergewissert es sich, ob der Antragsteller in der gesetzlich vorgesehenen Grenzregion wohnt. Dabei bleibt es auch unerheblich, dass Inhaber eines derart fingierten Grenzgaengerstatus Daueraufenthalter werden.

Zusammenfassend lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen:

- Freiberufler sollten eine Arbeit in Deutschland nicht ueber Schweizer (Briefkasten-)Firmen abwikkeln. Selbst weniger schlaue Betriebspruefer werden irgendwann den Schwindel durchschauen, und korrupte Entscheider haben nicht nur ehrliche Kollegen, sondern auch Neider.

- Eine Arbeit in der Schweiz sollte unbedingt erst angetreten werden, wenn einwandfreie behoerdliche Bewilligungen vorliegen. Eine direkte Rueckfrage und Absicherung bei der Ausstellungsbehoerde ist zu empfehlen.

Literatur:

Die "Handelskammer Deutschland-Schweiz", Talacker 41, CH-8001 Zuerich,

Telefon 00 41-1-221 37 02, Fax 00 41-1-221 37 66, bietet neben zuverlaessigen Wirtschaftsauskuenften unter anderm auch zwei interessante Broschueren an: Veronika Paetzold (Rechtsanwaeltin in Konstanz), "Grenzgaenger aus Deutschland in der Schweiz", 4. Auflage. 1994, und: "Auslaender in der Schweiz", 8. Auflage 1994. Empfohlen werden kann auch ein Titel aus der "Schriftenreihe fuer Verbraucherschutz, Deutsche und Schweizerische Schutzgemeinschaft fuer Auslandsgrundbesitz e.V." (79741 Waldshut-Tiengen, Gartenstrasse 17): Werner Steuber (Rechtsanwalt), "Das Schweiz- Dossier fuer Jedermann", 1. Auflage 1994.