IT im Vertrieb/Entropolis, ein Treffpunkt für Innovatoren

Elektronische Marktplätze von Unternehmen für Unternehmen

28.03.1997

"Wer suchet, der findet". So steht es zumindest in der Bibel. Wir wollen wissen, wer in Deutschland eine Mall, einen Marktplatz oder wie immer der virtuelle Ort heißen mag, jedenfalls eine Struktur zur Verfügung stellt, mit derer Hilfe Unternehmer untereinander gezielt Waren und Dienstleistungen anbieten und suchen können. Kein Problem für den Endverbraucher, denn Angebote gibt es wie Sand am Meer. Über die deutschen Seiten einschlägiger Suchmaschinen wie Yahoo, Dino oder Web findet sich unter dem Stichwort "Online-Shopping" alles, vom Auto bis zur Ziehharmonika. Vom Bayerischen Wald bis nach Hamburg vereinen sich Händler, Behörden und Privatiers, um ihre Ware digital zu vermarkten, Zulieferer zu suchen und Dienste anzubieten. Monat für Monat tauchen neue Netze auf. Viele enthalten Angebote für eine bestimmte Region, oder es werden spezielle Warengruppen und Dienstleistungen von Kunstgegenständen über Möbel bis zum Internet-Full-Service-Paket angeboten. Etwa 160 deutsche Online-Shopping-Malls lassen sich auf Anhieb finden.

Doch bei Leistungen und Waren, die nicht für den Endverbraucher bestimmt sind, verringert sich die deutsche Datenmeile auf fast Null. Wie so oft, gilt auch hier die Binsenweisheit: Finden kann ich nur, wenn ich weiß, was ich suche. Es verlangt nach sehr viel Sprachvermögen, um auf einen Terminus zu stoßen, der Business-to-Business-Geschäfte umschreibt. Das Stichwort "Unternehmer" oder "Unternehmen" ist zu umfassend, bei "Online-Business" tauchen über 10000 nicht-deutsche Seiten auf. "Online-biz" schließlich ist ein amerikanischer Host mit knapp 14000 Verweisen. Wir greifen auf uns bekannte Sites zurück, wie "www.globis.de", die Handelsbörse der Deutschen Messe AG in Hannover. Hier kann man gezielt nach Namen von Produkten, Firmen und Marken suchen. Das setzt jedoch genaue Kenntnisse voraus. Oder beispielsweise "www.resale.de", nicht zu verwechseln mit "www.onsale.com", der permanenten Hardware-Auktion. Hier werden gebrauchte Maschinen und Anlagen nicht nur angeboten, sondern auch gesucht. Doch diese Datenbanken spiegeln nur einen kleinen Teil der Industrielandschaft wider.

Im amerikanischen Markt werden wir fündig. Hinter der Adresse "httm://expomarkt.com" verbirgt sich eine klar gegliederte Börse für Unternehmen.

In welchem Industriezweig auch immer, es wird gesucht und angeboten, und das weltweit. Dabei geht es nicht um eine grandiose Selbstdarstellung derjenigen, die den "Expomarkt" zur Verfügung stellen. Die Angebote beziehungsweise Gesuche sind bereits auf der zweiten Seite nach 16 Business-Units strukturiert, von Antiquitäten bis Verschiedenes. Jede Gruppe taucht unter einem präzisen Schlagwort auf, ohne jeden Schnickschnack, ohne zeitraubenden Bildaufbau. In der Unit "Production Capacities" beispielsweise präsentieren Firmen in Rostock, Rußland, China etc. kurz und knapp in einer Zeile ihre Angebote zu freien Kapazitäten, mit direkten Links zu den Anbietern. Es gibt keinen Eintrittsschein in Form einer Registrierung oder eines Paßwortes, jeder kann sich einwählen.

Erfahrungen mit der Umweltbörse

Nach einer Schätzung der Garmhausen AG sind 1996 in Deutschland Waren und Dienstleistungen für rund 1,2 Milliarden Mark über das Internet verkauft worden. Nicht auf dem Endverbrauchermarkt, sondern auf der Business-to-Business-Seite prognostizieren die Bonner für die kommenden Jahre das stärkste Wachstum im elektronischen Handel. Ihre Begründung: Die Abwicklung der Geschäfte sei wesentlich kostengünstiger als mit konventionellen Systemen (siehe auch CW 2/97).

"Business-to-Business im Internet? Alle wollen es", bestätigt auch Klaus Hommer, Leiter Advanced Services & Media (ASM), einem im Oktober 1996 gegründeten Geschäftszweig der Siemens Nixdorf Informationssysteme AG (SNI). Erfahrungen kann die SNI mit der Umweltbörse "www.wwi.de/waris/waris.htm" vorweisen. Was dort angeboten und nachgefragt wird, können nur die registrierten Mitglieder abrufen. Die SNI verweist zudem auf "GEN", das "Global Electronic Network", eine themenbezogene Business-to-Business-Mall für Dienstleistungen im Engineering-Bereich. Auch dort hinein kommt nur der Auserwählte.

Spätestens jetzt zeigt sich das Dilemma des Internet. Unter "www.gen.de" verbirgt sich ein Dienstleister aus Tampa in Florida. Allerdings steht die Abkürzung GEN hier für "Global Entrepreneurs Network". GEN bietet seit August 1996 weltweit jedem Unternehmen für eine Gebühr ab sieben Dollar pro Monat eine kommerzielle Internet-Präsenz. Von Small-Office/Home-Office-Unternehmen bis hin zu multinationalen Konzernen nutzen inzwischen Firmen aus über 40 Ländern die Service-Pakete. Ralf Nusch, Präsident von GEN Europe mit Sitz in Köln, umreißt das Ziel von GEN so: "Wir wollen Unternehmen alle Möglichkeiten bieten, ein Geschäft im Internet aufzubauen. Und das zu Preisen, die sich auch kleine Firmen leisten können." Um den Unternehmer, ungeachtet seiner Größe oder geografischen Lage, in den Stand zu setzen, am elektronischen Geschäftsverkehr teilzunehmen, bietet GEN von der Web-Seite bis zu Full-Service-Paketen jede Internet-Erweiterung an. Nach Nusch liegt "der Nutzungsschwerpunkt darin, die Technik zu liefern, die für eine Web-Präsenz notwendig ist". Weltweit betreut GEN inzwischen über 20000 Domains, in Deutschland etwa 170. Die Referenzliste reicht vom Arbeiter-Samariter-Bund bis zu Dyckerhoff.

Eine virtuelle Stadt für Unternehmer

Der französische Ausdruck "Entrepreneur" für Unternehmer, für den es im Englischen keine Entsprechung gibt und der daher in die Sprache einfloß, nutzt auch ASM. Die neue Stadt für Unternehmer heißt "Entropolis", ein Kunstwort aus "Entrepreneur" und "Polis". "Entrepreneurs" findet man unter der Adresse "www.entrepreneurs.net". Auf der Homepage geht es direkt zur oben beschriebenen "gen.de"-Seite der Amerikaner. Und "Polis" ist nicht nur allein, sondern auch in mehreren Kombinationen vertreten: Bei "www.itpolis.com" kann man italienisch an einer Uni in Sizilien lernen, "www.regiopolis-peine.de" führt in die niedersächsische Stadt. Die "Akropolis" erhebt sich nicht nur über Athen, sondern bezeichnet ein System zur Energiebewirtschaftung in Deutschland, "Kinopolis" bringt das Filmprogramm des hessischen Viernheim. Am ehesten ließen sich vielleicht "Metropolis" und "Europolis" assoziieren. Bei ersterem geht es allerdings nicht um den berühmten Film von Fritz Lang, sondern um eine Sammlung privater Homepages, bei letzterem landet man in Pariser Hotels.

Sucht man in den Tagen vor der CeBIT 039;97, auf der der neue Business Park von ASM vorgestellt wurde nach Entropolis, so geht die Reise zu einer Filmfirma nach Los Angeles. Selbst Dino, die von der SNI betreute Suchmaschine, kennt bei über 11000 Einträgen zu "Electronic Commerce" zu diesem Zeitpunkt Entropolis noch nicht. Dennoch gelangt man sogar über Dino in Verbindung mit Electronic Commerce in die virtuelle Stadt, vorausgesetzt, man weiß, daß Entropolis ein SNI-Produkt ist. Zufällig wird die Suchmaschine nämlich von SNI betreut. Auf der Homepage von Dino erscheint daher SNI als Web-Host. Zum einen führt der Weg von dort aus zu SNI, klickt man dagegen "Lösungen für Electronic Commerce" an, landet man direkt bei Entropolis.

In dem neuen "virtuellen Business Park", wie "Entropolis" von ASM umschrieben wird, mietet ein Unternehmen einen Raum in einem bestimmten Haus und stellt sein Angebot dort aus. Ist die Homepage bereits vorhanden, zahlt der Mieter eine monatliche Grundgebühr von 1200 Mark - Aussteigen ist jederzeit möglich. Damit ist die erste Stufe der Online-Präsenz erreicht.

Auch Hommer geht davon aus, daß Erfahrungen mit dem Internet nur spärlich vorhanden sind. Um Neulingen das Risiko einer hohen Investition abzunehmen, bietet ASM aus München die gesamte Palette, auf die sich unter anderem auch GEN aus Tampa spezialisiert hat: ein auf das Unternehmen zugeschnittenes Publishing-Paket zur Erstellung einer Webseite, die Erweiterung der virtuellen Geschäftsräume, die Anbindung an ein Intranet etc. Das Full-Service-Paket schließlich nennt ASM "Customer Relationship Management". Dazu gehört der volle Online-Handel mit allen zugehörigen Dienstleistungen bis hin zum elektronischen Bezahlen. Die Leistungen werden je nach Umfang gestaffelt berechnet. Ein Preisvergleich zwischen ASM und GEN ist schwierig, da die Service-Leistungen, die jedem Paket beigegeben werden, sehr unterschiedlich in ihren Inhalten sind.

ASM hat mehr vor: Innerhalb von Entropolis wäre beispielsweise die Bildung von Interessengemeinschaften zu bestimmten Themen denkbar. Erfahrungen sammelt SNI ständig durch das eigene Intranet, das mittlerweile mehr als 25000 Mitarbeiter verbindet.

Kunden sind Konkurrenten und Partner zugleich

Darüber hinaus manifestiert sich hier ein Phänomen, das vor der IT-Revolution nicht denkbar war: Kunden werden zu Partnern und bleiben gleichzeitig Konkurrenten. Um Entropolis realisieren zu können, ging die SNI, die selbst über sehr viele Bausteine in Form von Software verfügt, strategische Allianzen mit 13 Firmen ein, von Broadvision mit der Software "One-to-One" über Hewlett- Packard, Microsoft, Netscape, Oracle, Sun etc. bis zu Tele Cash.

Wer bevölkert nun Entropolis? Falsch wäre der Schluß SNI wolle ausschließlich den Vertrieb eigener Produkte ankurbeln. Laut Hommer wird sich allerdings als erster Anbieter ein Geschäftszweig der SNI, der mit Zubehör handelt, aus dem Fenster lehnen. Andere Bereiche der SNI oder der Siemens AG sind noch nicht eingestiegen.

Grundsätzlich soll in der ersten Stufe dem Mittelstand und SOHO-Bereich die Chance geboten werden, Produkte und Dienstleistungen auf dem deutschen Markt anzubieten. In der zweiten Phase geht es um die globale Ausweitung. Der Schwerpunkt wird zu Beginn im Handel liegen, denn "sehr viele Nachfragen" kommen aus diesem Sektor, seit Ende Januar in Dublin zum erstenmal auf die virtuelle Stadt hingewiesen wurde.

Bisher sind Geschäftsblöcke von Bürobedarf bis Umwelt vorgesehen. Erklärtes Ziel von ASM ist nicht das vorgefertigte Haus, sondern nach Hommer sollen sich "Anbieter und Nachfrager zusammenfinden, um das Internet zu nutzen". Damit folgt man der SNI-Devise vom "User Centered Computing", bei der der Anwender im Mittelpunkt steht. Auf die neue Stadt bezogen heißt das, daß auch neue Häuser oder Seitenstraßen entstehen können. Das setzt viel Flexibilität von seiten des Host und auch Überzeugungsarbeit voraus, denn noch gehen deutsche Unternehmer nur zögerlich ins Netz. Nach der extrem kurzen Zeit von knapp zwei Monaten schält sich ein besonderes Interesse der Unternehmen im "Financial District" heraus. Hommer könnte sich hier eine eigene Mall vorstellen, in die man über Entropolis gelangt.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Struktur im Laufe der Zeit aufgrund der Nachfrage seitens der Mieter ändert. Eines ist sicher: Entropolis soll kein Kaufhaus für jedermann werden, denn "der Focus liegt auf Business-to-Business. Und das hat andere Spielregeln, als das Online-Shopping für den Endverbraucher", macht Hommer deutlich.

Fazit: Ob sich Entropolis etabliert, hängt neben den Kosten, auch sehr vom Nutzen für die Mieter ab. Letztendlich entscheiden die Mieter und nicht der Host ASM, ob Entropolis der "Knotenpunkt für innovative Unternehmer" wird, die in einer "zukunftsorientierten Welt ihren Geschäften nachgehen wollen".

"Entropie", ein vielfältig und nicht eindeutig festgelegter Begriff, ist unter anderem ein universelles Maß für Ungeordnetheit, das heißt vorhersehbares Chaos. "Memopolis" ist der Name des Internet-Friedhofs der Universität Regensburg. Ob Entropolis das Chaos ordnet oder im Dschungel des Internet verschwindet, hängt wesentlich ab vom universellen Know-how, von der Flexibilität, von der Schnelligkeit des Hosts in puncto Umsetzung der Kundenwünsche und, last, but not least, wie leicht das Angebot für die zu finden ist, die es noch nicht kennen.

Ziele einer elektronischen Plattform für Unternehmer

- Effiziente Nutzung neuer Vertriebswege,- Optimierung der Kunden-Lieferanten-Beziehung,- Senkung der Vertriebskosten,- Ausdehnung des Absatzmarktes,- Erweiterung des Beschaffungsmarktes,- Unabhängigkeit von geografischen Nachteilen.

Angeklickt

Daß das Internet sich auch als virtuelle (Groß-)Handelsstraße etablieren wird, ist keine Frage. Es existieren bereits viele Marktplätze und Links in alle Himmelsrichtungen und Warenwelten. "Entropolis" beispielsweise, eine Kreation von SNI, soll Meetingpoint und Trade Center nicht nur für SNI-Produkte und -Dienstleistungen werden. Adressat der ersten Stufe ist der Mittelstand; in der zweiten Phase geht es dann um die globale Ausweitung.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.