Boomende Branche oder Milliardengräber?

Ein Dutzend Firmen vernetzt Alte Welt im Gigabit-Tempo

10.12.1999
MÜNCHEN (hi) - Mobilfunk ist die Zukunft. Dies predigt zumindest Vodafone-Chef Chris Gent während der andauernden Übernahmeschlacht um Mannesmann. Doch auch Gent benötigt, wenn er seinen Traum vom europaweiten Mobilfunknetz verwirklichen will, ein leistungsfähiges Glasfaser-Backbone. Damit ist er einer der potentiellen Großkunden von rund einem Dutzend Firmen, die derzeit paneuropäische High-speed-Netze auf Glasfaserbasis aufbauen.

"Zwei Kilometer Stau auf der Mainzer Landstraße stadteinwärts wegen Bauarbeiten" - so oder ähnlich klingen die morgendlichen Verkehrsnachrichten, die zahlreiche Pendler auf ihrem Weg in die bundesdeutschen Monopolen begleiten. Staus, an denen meist nicht die städtischen Verkehrsplaner schuld sind, sondern Carrier, die neue Glasfaserkabel verlegen. Während oberirdisch der Verkehr kriecht, rüsten sie im Untergrund zur Datenhatz in weltumspannenden Glasfasernetzen auf.

Eine Hatz, die rund ein Dutzend Firmen in einen wahren Goldrausch versetzt, wenngleich sie mit Goldgräbern kaum zu vergleichen sind: Statt ein Edelmetall aus der Erde zu holen, vergraben sie veredeltes Silizium als den Rohstoff für die Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Unter den Auftraggebern für diese Bauarbeiten finden sich so illustre Namen wie British Telecom, MCI-Worldcom, Viatel Inc. und Colt Telecom. Neben den aus dem TK-und Internet-Business bekannten Unternehmen tummeln sich unter den Glücksrittern auch eine ganze Reihe an Neulingen beziehungsweise Unternehmen, die bis dato nur in Amerika bekannt waren. I21, KPN Qwest, Global Crossing, Psinet, Level 3, Project Oxygen oder etwa die deutsche Lambdanet GmbH wollen mit eigenen Glasfasernetzen ebenfalls am erwarteten Boom partizipieren.

Die Investitionen dürften sich auszahlen. So schätzen Analysten den europäischen Markt für IP und Breitbanddienste heute auf 18 Milliarden Dollar. Dieses Marktvolumen soll sich innerhalb der nächsten fünf Jahre auf etwa 40 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln. Die nackten Zahlen verbergen jedoch eine Tatsache: Bandbreite dürfte es im Europa des 21. Jahrhunderts in Mengen geben - daher ist es fraglich, ob die Preise, die den Berechnungen zugrunde liegen, langfristig Bestand haben werden. Dank dem Dense Wavelength Division Multiplexing (DWDM), das, vereinfacht ausgedrückt, mehrere Lichtfarben gleichzeitig über eine Glasfaser überträgt, erhöht sich die Kapazität der Netze drastisch. Während heute gerade einmal Bandbreiten im 100 Mbit/s-Bereich für Unternehmen bezahlbar sind, dürften nach Fertigstellung der neuen Netze auf DWDM-Basis Übertragungen mit Gigabit- beziehungsweise Terabit-Geschwindigkeit zum Standard gehören.

Aufgrund dieser technologischen Entwicklung gehen die Analysten der Yankee Group davon aus, daß die Mietkosten für solche Glasfaserverbindungen in Zukunft nur noch 20 Prozent des heutigen Preises betragen. (Als Beispiel für diesen Preisverfall sei hier eine Kalkulation von Global Crossing erwähnt: 1997 betrug die 20jährige Leasing-Gebühr für eine STM1-Leitung (155 Mbit/s) von Frankfurt am Main nach New York noch 20 Millionen Dollar. Heute, nur zwei Jahre später, kostet die gleiche Leistung noch acht Millionen Dollar. Zudem zwingt der Preisverfall die Carrier laut Wim Huisman, President von Global Crossing Europe, beim Netzbau immer die neueste Übertragungstechnik einzusetzen, wollen sie langfristig eine lohnende Rendite erwirtschaften.

Wegen der sinkenden Kosten sind alle Teilnehmer im Geschäft mit Backbones davon überzeugt, daß der Bandbreitenbearf in Europa in den nächsten Jahren explodieren wird und so der Markt für alle Player groß genug ist. Diese Vermutung deckt sich mit den Prognosen von Gartner-Analyst David Neil. Nach seiner Erfahrung geht das Gros der europäischen Unternehmen davon aus, daß ihr Bedarf an Übertragungskapazitäten in den nächsten drei Jahren um 300 bis 600 Prozent steigt.

Angesichts dieser positiven Zukunftsaussichten hat unter den beteiligten Playern ein regelrechtes Wettrennen um die schnellste Installation der Netze eingesetzt. Ausgehend vom internationalen Finanzplatz London, der meist auch Endpunkt der Transatlantik-Verbindungen in die USA ist, will jeder der erste bei der Erschließung des europäischen Kontinents sein. Die meisten Player gehen dabei ähnlich vor: In der ersten Stufe werden in Kontinentaleuropa die Wirtschaftsstandorte Paris, Amsterdam und Frankfurt angeschlossen. Der weitere Ausbau unterscheidet sich dann je nach Unternehmen, wobei allerdings alle den Schwerpunkt ihrer Arbeiten zunächst auf Deutschland als den mit 49 Milliarden Dollar größten TK-Markt in Europa verlegen.

Auffallend ist dabei, daß sich die Routen der Carrier sehr ähneln, oder wie Analyst Neil es überspitzt formuliert, "sie bauen alle ihr Netz zwischen den gleichen zwölf bis 15 Metropolen". Diese Baupläne dürften Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung haben: Unternehmen, die sich erst vor wenigen Jahren, angelockt durch staatliche Subventionen, in strukturschwachen Regionen ansiedelten, drohen den Anschluß an die globalen Gigabit- und Terabit-Highways zu verlieren. Angesichts dieser Gefahr zog beispielsweise die irische Regierung die Notbremse. Sie orderte selbst für 80 Millionen Dollar Bandbreite, um die Zukunft des Landes als Call-Center-Standort zu sichern.

Der rasante Ausbau der paneuropäischen Übertragungswege bedroht jedoch nicht nur die Standorte in den strukturschwachen Regionen, sondern auch die etablierten Telcos selbst. Ihre an den Grenzen der Nationalstaaten orientierten Netze sind für Jack McMaster, CEO von KPN Qwest, künftig in der Welt des globalen E-Commerce nicht mehr konkurrenzfähig.

Das große Angebot an Bandbreite hat nach Einschätzung der Londoner Marktforschungsgesellschaft Ovum noch eine weitere Konsequenz. Das TK-Business entwickelt sich von einem nachfrageorientierten Geschäft hin zu einem Anbietermarkt. Damit einhergehend, so Ovum, zeichnet sich ein drastischer Wechsel der bisherigen TK-Geschäftsmodelle ab: Es werden nicht mehr Bandbreiten oder ATM, Frame Relay und sonstige technische TK-Leistungen verkauft, sondern IP-Services. Auf dieses Modell haben sich die verschiedenen neuen Netzbetreiber zum Teil bereits eingestellt. So verstehen sie sich größtenteils als IP-Service-Provider, die in ihren Netzen nicht mehr zwischen Sprach- und Datenübertragung trennen. Unsicherheit herrscht dagegen noch, wer in einem Europa des Bandbreitenüberflusses die künftige Klientel der Netzbetreiber ist. Global Crossing beispielsweise setzt heute noch auf die Carrier als Kunden. Allerdings schloß President Huisman im Gespräch mit der CW nicht aus, künftig auch Großunternehmen wie Daimler-Chrysler als Kunden zu adressieren. Eine Zielgruppe, die Level 3 bereits im Visier hat. So übernimmt das Unternehmen, das derzeit gemeinsam mit Colt seine deutsche Infrastruktur aufbaut, nicht nur den Verkehr vom Online-Anbieter AOL, sondern bietet in seinem Netzknoten in Frankfurt auch Allokationsräume für Unternehmen. Direkt vor Ort können diese, etwa die Frankfurter Banken, ihre Netze mit dem Level-3-Backbone verbinden und entscheiden, ob sie das Equipment selbst in den Räumen betreiben oder auch die Zusammenschaltung an Level 3 übertragen.

Statt Bandbreite Services vermarktenNoch einen Schritt weiter geht KPN Qwest. Das Joint-venture des holländischen Carriers KPN und der amerikanischen Qwest übernahm etwa den deutschen Internet-Service-Provider Xlink, um vor Ort Application-Hosting-Services, Virtual Private Networks (VPNs), Multimedia-Dienste etc. zu offerieren.

So erfolgversprechend die neuen Geschäftsmodelle auch sein mögen - eine Tatsache ist nicht zu übersehen: Kaum einer der neuen Netzbetreiber schreibt bislang schwarze Zahlen oder rechnet in den nächsten Jahren damit. So meldete etwa Global Crossing im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres einen Verlust von 28,8 Millionen Dollar. Bei Level 3 betrug das Minus im operativen Geschäft 235 Millionen Dollar im Geschäftsjahr 1998. Diese Zahlen verwundern nicht weiter, angesichts der immensen Investitionssummen zwischen fünf und zwölf Milliarden Dollar für den Aufbau der paneuropäischen Glasfasernetze. Diese Beträge bringen die Unternehmen teilweise durch den Gang an die Börse - wie etwa KPN Qwest im November - auf, zum anderen Teil durch Kredite und Anleihen.

Gerade in der Finanzierung unterscheiden sich die potentiellen Global Player von morgen erheblich. Während die einen finanzkräftige Mütter, etwa den US-Baukonzern Peter Kiweits Sons oder die Sandoz-Foundation, im Rücken haben, sind andere bei der Finanzierung komplett auf die Börse oder Risikokapital-Gesellschaften angewiesen. Das Risiko ist trotz der vor allem in den USA vorhandenen Börseneuphorie für solche Papiere beträchtlich.

So geistert etwa die Project Oxygen Ltd. mit Hauptsitz auf den Bermudas seit zwei Jahren als ein mal mehr, mal weniger unsichtbares Gespenst durch die Netzbetreiber-Szene, da dem Unternehmen, so sagen zumindest die Konkurrenten, die Finanziers fehlen. Oxygen will, so zumindest die ehrgeizigen Pläne des Initiators und CEO Neil Tagare, bis 2001 ein weltumspannendes, 169000 Kilometer langes Glasfasernetz aufbauen, dessen Kosten auf zehn Milliarden Dollar veranschlagt werden.

Aber selbst ein kräftiger Finanzier im Rücken garantiert nicht unbedingt einen sorgenfreien Ausbau des Netzes. So kursieren in der Branche Gerüchte, daß die hinter der Interoute-Tochter I21 stehende Sandoz-Foundation nicht weiter zu finanziellen Zuschüssen bereit sei und mit einem Ausstieg drohe. Eine Darstellung, der die Sandoz-Foundation widerspricht. Konkurrenten lästern dagegen bereits, I21 sei das nächste Project Oxygen.

Existenz hängt oft vom Börsenkurs ab

Allerdings sollten die börsennotierten Konkurrenten nicht hochmütig werden, denn ihre Existenz hängt direkt von ihrem Aktienkurs ab. So wurde etwa Global Crossing bereits als mögliches Übernahmeobjekt von Carriern wie der Deutschen Telekom oder Bell South gehandelt, als die Aktie des Unternehmens auf rund zwanzig Dollar fiel. Der Anbieter wäre also ein Opfer der alten Telcos, die sein President Huisman gerne als "fette Katzen" verspottet, die sich auf ihren Investitionen ausruhen.

Wegen der hohen Kosten für den Netzausbau und der ständigen Übernahmegefahr ist vielleicht ein anderer Weg wie ihn etwa Equant einschlägt, erfolgversprechender. Das Unternehmen baut keine eigene Infrastruktur auf, sondern least diese, um dann entsprechende Mehrwertdienste zu vermarkten. Ein Geschäftsansatz, von dem KPN-Qwest-CEO McMaster wenig hält, da er glaubt, daß hier die Gewinnmargen zu gering sind.