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Ein Ammenmärchen: "DSL für alle"

29.03.2007
In ihren Sonntagsreden kommt den Politikern die Forderung "Breitband für alle" leicht über die Lippen. Doch mit der heutigen Technik ist das noch gar nicht zu realisieren.

Kaum eine Forderung ist hierzulande im Zusammenhang mit dem Internet so populär wie der Slogan "Breitband für alle". Dass die Politiker dabei gerne vergesssen, wer die Milliardeninvestitionen für die erforderliche Technik aufbringen soll, stört die Populisten nicht weiter. Gleiches gilt für das Ammenmärchen von der potenziellen Breitbandversorgung für 95 Prozent von Deutschland. Wer genau liest, stellt nämlich fest, dass lediglich von einer 95-prozentigen Flächdeckung die Rede ist. In der Praxis sind laut Expertenschätzungen gerade einmal 20 Prozent der Deutschen per DSL online. Und das ist auch gut so. Denn zwischen der Marketing-Aussage "Breitband für alle" beziehungsweise den hochgesteckten Plänen mancher Carrier und der technischen Realität klaffen Welten.

So können nach Versuchen der Fraunhofer-Einrichtung "Systeme der Kommunikationstechnik" in München in einem klassischen Telekommunikationskabel maximal bis zu 60 Prozent der verfügbaren Anschlüsse für die heutige DSL-Technik genutzt werden. Grund ist, dass NEXT- und FEXT-Nebensprechen (Near End Crosstalk, Far End Crosstalk) die Performance begrenzen beziehungsweise eine Datenübertragung stören. Erschwerend kommt hinzu, dass die Telefonkabel ursprünglich zum Telefonieren nur für eine Übertragung im Frequenzbereich bis zu 3,4 Kilohertz vorgesehen waren. Mit dem Siegeszug der DSL-Technik müssen diese Kabel nun Frequenzen von bis zu 2,208 Megahertz (etwa bei ADSL2+) verkraften.

Als wären dies nicht schon genug limitierende Faktoren, muss beim deutschen Telefonnetz noch ein anderer Faktor berücksichtigt werden: Es wurden unterschiedliche Leitungsquerschnite vergraben. Hierzulande reicht das Spektrum dabei von 0,35 bis 0,8 Millimeter, wobei vereinfacht gilt: Je größer der Durchschnitt, destso höhere Datenraten und Entfernungen lassen sich mit DSL realisieren. Angesichts dieser Fakten lästern böse Zungen, dass sich potenzielle DSL-Kunden glücklich schätzen könnten, wenn sie in einem Gebiet wohnen, das noch vom damaligen Monopolisten Deutsche Bundespost erschlossen wurde. Diese hätte nämlich, so die Argumentation, eher dicke und damit kostspieligere Kupferkabel verlegt. Schließlich musste er im Gegensatz zur Telekom noch nicht auf den Shareholder-Value achten. Dies erklärt auch, warum in manchen Neubaugebieten hohe DSL-Bandbreiten teilweise nicht angeboten werden können.

Für vollständiges DSL-Chaos sorgten dann im letzten Jahr im Vorfeld der Fußball-WM technisch unbedarfte Entscheider, als sie mit dem Triple-Play-Gedanken und der Idee des VDSL-Netzausbaus vorpreschten. Die hierzu notwendigen Standards wurden nämlich nach Aussagen von Branchenkennern so spät verabschiedet, dass bis zum WM-Anpiff aus technischer Sicht überhaupt keine marktreifen und funktionierenden Produkte entwickelt werden konnten. Knackpunkt ist dabei, dass bei VDSL die stark verkürzte Leitungslänge (lediglich vom Kabelverzweiger bis zum Endkunden) - verbunden mit einer Erhöhung der Frequenzen auf bis zu 17,664 Megahertz - im Kupferkabel zu einem verstärkten FEXT führt. Und dies beeinträchtigt direkt die Übertragungsqualität bestehender DSL-Anschlüsse (ADSL, ADSL2+). Um diese nicht im wahrsten Sinne des Wortes niederzubrüllen, muss VDSL2 im Downstream geregelt werden. Per Downstream Power Backoff (DSPO) sollen dabei die DSL-Systeme, die von der Ortsvermittlungsstelle aus betrieben werden - also beispielsweise alle klassischen DSL-Angebote der Telekom-Konkurrenten - vor den VDSL-Störeinflüssen geschützt werden.

Der Ansatz, auch als Static Spectrum Management (SSM) bekannt, soll zumindest in der Theorie die störungsfreie Koexistenz der verschiedenen DSL-Systeme gewährleisten. In der Praxis hat der Standard allerdings einige offene Definitionsteile, die Interpretationsspielraum bieten. Allerdings käme wohl nur ein Schelm auf die Idee, auf diese Weise womöglich die ADSL2+-Angebote der Konkurrenz versehentlich auszubremsen, um das eigene (noch?) exklusive VDSL-Netz zu promoten. Dass dieser Gedanke allerdings nicht ganz abwegig ist, zeigen die steigenden Beschwerden von ADSL2+-Kunden, die in Internet-Foren immer häufiger über Probleme klagen. Dabei dürften die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit VDSL2 noch zunehmen, wenn die Glasfaserkabel erst einmal bis zum Gebäude (Fibre to the Building = FTTB) verlegt sind. Dann sollen nämlich inhouse - gemäß dem europäischen Bandplan 998 - auf dem Telefonkabel Frequenzen von bis zu 30 Megahertz gefahren werden. Welche Wechselwirkungen dies in Verbindung mit schlecht abgeschirmten TV-Kabelkoax-Netzen der Ebene IV und herkömmlichen DSL-Verfahren erzeugt, vermag sich heute niemand auszumalen.

Das ganze Problemfeld könnte man mit Static Spectrum Management in den Griff bekommmen, wenn die Leistungsparamter ständig überwacht und von Hand nachgeregelt würden. Auf diese Weise ließe sich dann auch die Anschlussdichte erhöhen. Der Pferdefuß dabei ist allerdings, dass sich der Einsatz von Messingenieuren für ein gewinnorientiertes, börsennotiertes Unternehmen gar nicht rechnet, wenn es den Anschluss zudem für rund zwölf Euro pro Monat an die Konkurrenz weitervermieten muss.

Abhilfe verspricht hier erst das Dynamic Spectrum Management (DSM), das von vielen Beobachtern in der ersten Euphorie bereits als DSL-Nachfolger gefeiert wurde. Diese Technik ermöglicht einen geregelten DSL-Einsatz, indem die Parameter aktiv angepasst werden und so Störfaktoren wie Nebensprechen vermieden wurden. Auf diese Weise sollen sowohl Reichweite, Übertragungsgeschwindigkeit als auch Übertragungskapazität erhöht werden. In den USA geht man vor dem Hintergrund des dortigen Leitungswirrwarrs von Performance-Steigerungen im Bereich von 100 Prozent aus. Für Deutschland rechnen Experten aber mit Steigerungsraten von unter 50 Prozent, da die hier besser verlegten Telefonkabel weniger Optimierungspotenzial bieten. "Mit DSM beginnt eine neue Ära der DSL-Übertragung", blickt Helmut Steckenbiller, Geschäftsführer bei Fraunhofer in München, in die Zukunft: "Allerdings wird die neue Technik wohl erst 2009 zum Einsatz kommen". Aber selbst dann wird es in Ballungszentren kein DSL für alle geben - die neue Technik ermöglicht lediglich, dass in einem Telefonkabel 50 Prozent der Kunden mit ADSL oder VDSL versorgt werden können. (hi)