Ab 1990 soll ein Glasfaser-Overlay-Netz eingerichtet werden

EG-Richtlinien müssen Ausbau der Netze in der DDR leiten

08.06.1990

Ulrich Kranz ist Leiter Marketing und Vertrieb Telekommunikation/Sonderprojekte bei der SCS Informationstechnik GmbH in Bonn.

Die Wirtschaft der DDR kann nur im Verbund mit der Bundesrepublik und den anderen EG-Staaten den Anschluß an das Niveau der führenden Industrieländer schaffen. Es herrscht Übereinstimmung, daß die Telekommunikation von herausragender Bedeutung für die Infrastruktur-Politik ist. Der erste Teil dieses Artikels befaßt sich mit dem Telefonnetz und der Netz-Infrastruktur in der DDR; der zweite Teil in der nächsten CW wird auf den Bedarf an Text- und Datendiensten eingehen.

Die ordnungspolitischen Konzepte, die mit der Liberalisierung des TK-Marktes in der Bundesrepublik umgesetzt wurden, sind im europäischen Konsens geschaffen worden. Es wäre konsequent, diese Ordnungspolitik bei der angestrebten Integration der DDR in die EG und bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auch auf die Telekommunikation in der DDR zu übertragen, meint Ulrich Kranz*.

Bereits im Januar 1990 wurde von der Regierung Modrow die Trennung von Hoheits- und Betriebsbereich der Deutschen Post grundsätzlich beschlossen. Bei der angestrebten Vereinigung der deutschen Staaten wird man mit Sicherheit die von der EG-Kommission beschlossenen Richtlinien zur Gestaltung einer Telekommunikations-Ordnung zu beachten haben, desgleichen das Grünbuch der EG zum offenen Netzzugang für private Anbieter, die sogenannte Open Network Provision (ONP).

Es wäre allerdings verfrüht, die Ordnungspolitik der Telekommunikation in der Bundesrepublik sofort eins zu eins auf die DDR zu übertragen; dort sind zunächst gewaltige Infrastruktur-Vorleistungen zu bewältigen. Für eine Übergangszeit von fünf bis sieben Jahren sollte eine stufenweise Anpassung in Form einer sukzessiven Freigabe der bisherigen Monopoldienste in der DDR für den Wettbewerb eingeplant werden.

Die DDR-Wirtschaft und die Verwaltung brauchen schnell Telefonanschlüsse. Das Netz der DDR besteht zur Zeit aus 1,8 Millionen Fernsprech-Hauptanschlüssen, davon 1,4 Millionen Wohnungsanschlüsse. Daneben gibt es rund 20 000 Telexanschlüsse und 5000 Datenanschlüsse.

In der DDR hat nur durchschnittlich jede siebte Wohnung einen Telefonanschluß. Berlin ist mit zirka 43 Prozent der Wohnungen am besten ausgestattet, in Dresden liegt der Wert nur bei elf Prozent. Auf 100 Einwohner kommen in der DDR nur 9,4, in der Bundesrepublik 40 Telefonanschlüsse.

Bei der Deutschen Post liegen zur Zeit 1,2 Millionen unerledigte Anträge für einen Telefonanschluß vor; eine wesentliche Steigerung ist zu vermuten. Nicht selten müssen DDR-Bürger derzeit noch zehn bis 15 Jahre auf einen Telefonhauptanschluß warten.

Die DDR-Post konnte im Vergleich zur Deutschen Bundespost nur etwa ein Zehntel in ihre TK-Netze investieren. Die öffentlichen Telefonvermittlungs-Zentralen sind deshalb noch fast durchgehend elektromechanische, wartungsintensive Wählersysteme. Die Bitfehler-Rate im DDR-Telefonnetz beträgt 10 (-3); nach Aussagen der Deutschen Post sind die Anlagen, die zum Teil aus den 20er und 30er Jahren stammen, überaltert und verschlissen. Diese Umstände schränken Telefax- und Datenübertragungen im Fernsprechnetz erheblich ein.

Die Engpässe bei der Telefonversorgung können auch noch durch folgende Zahlen verdeutlicht werden: Fast 65 Prozent der Telefonanschlüsse sind als sogenannte Zweieranschlüsse ausgelegt; sogar Viereranschlüsse wurden in den letzten Jahren installiert. Um mit den vorhandenen Ressourcen möglichst noch weitere Anschlüsse zu realisieren, wurden auch Zeitanschlüsse im Privatbereich eingerichtet, die nur nachts voll funktionsfähig waren.

Bekanntlich hatten der Staat und die Sicherheitsbehörden dagegen keine Probleme, sich mit TK-Equipment zu versorgen; sie verfügten über vergleichsweise leistungsfähige Sondernetze.

Laut Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling wird die Deutsche Bundespost Telekom die Deutsche Post beim Leitungsausbau für den Fernsprechverkehr zwischen der DDR und der Bundesrepublik unterstützen. So würden die Kapazitäten in beiden Richtungen bis zum Ende des ersten Halbjahres 1990 um 200 Leitungen aufgestockt; zum Jahresende seien die Verdoppelung der heutigen Kapazität in West-Ost-Richtung sowie eine Vervierfachung in Ost-West-Richtung vorgesehen.

Glasfaserstrecken zwischen Uelzen und Berlin sowie zwischen Berlin-West und Berlin-Ost mit einer Übertragungs-Kapazität von 30 000 Telefongesprächen sollen die Verbindungen verbessern. Auch die bisher vom Ministerium für Staatssicherheit genutzten Sonderleitungen würden eingesetzt werden.

Die ärgsten Telefon-Engpässe in Berlin-Ost, vor allen Dingen für das Parlament, wurden durch die Anbindung von C-Netz-Telefonen an das Westberliner Netz vorerst beseitigt. Andere Einsätze von Mobilfunk-Systemen sind zunächst entlang der Transit-Autobahnen sowie bis Ende 1991 für die Ballungsgebiete Magdeburg, Halle, Potsdam und Leipzig geplant. Weitere Planungen sehen den Einsatz von Telepoint und D-Netz auf dem Gebiet der DDR vor.

Wie die Deutsche Post berichtete, will sie das Ausbautempo und die Qualität des Fernsprechnetzes erhöhen. So ist kurzfristig an ein digitales Overlay-Netz in der Fernebene zur Erleichterung der Kommunikation mit der Bundesrepublik und zwischen Unternehmen in der DDR gedacht. Unter Einsatz von Container-Vermittlungs-Einrichtungen von Siemens und SEL soll für zirka 100 000 Teilnehmer schnell ein Netz mit technisch guten Verbindungen geschaffen werden. Die ersten drei von insgesamt acht Installationen der über Richtfunk verbundenen Vermittlungssysteme dürfte noch im Mai in Dresden, weitere in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Zwickau, Reichenbach, Leipzig, Neubrandenburg und Erfurt erfolgen.

Die Deutsche Post hatte bisher nur einen Ausbau der Netz kapazität um zwei Prozent pro Jahr geplant. Nach den Ereignissen im letzten Jahr wurde diese Zielsetzung auf acht Prozent erhöht. Im Anschluß an die Volkskammer-Wahlen änderte sich die Vorgabe erneut: Bis zum Jahr 2000 wird die Angleichung an die Versorgungsdichte der Bundesrepublik angestrebt. Wie Vertreter der Deutschen Post berichteten, müssen dazu an fast 500 Orten der DDR neue Vermittlungsstellen gebaut werden.

Innerhalb der nächsten fünf bis sieben Jahre werden zirka 30 Milliarden Mark in das DDR-Fernsprechnetz zu investieren sein. Danach hat die DDR wahrscheinlich das modernste Netz der Welt. Es besteht hier nämlich die Chance, nach einer gewissen Anlaufphase in Form des vorher erwähnten Overlay-Netzes sofort auf einem höheren technischen Niveau auszubauen: So könnte der weitere Netzausbau konsequent digital mit ISDN erfolgen; bei der Verkabelung könnte durchgängig Glasfasertechnik verwendet und das neue Netz dabei auf zu erwartende höhere Kapazitäten ausgelegt werden.

Wenn schon Kabel neu zu verlegen sind, dann sollten viele Glasfaser-Adern mit Reserven für neue Dienste, zum Beispiel Breitband-Dienste wie IBFN, gelegt werden. Die Deutsche Post plant deshalb ab 1990 den Aufbau eines Glasfaser-Overlay-Netzes, ähnlich dem in der Bundesrepublik, welches im Erstausbau die Ballungsgebiete in der DDR versorgen würde. Diese Infrastruktur-Investitionen dürfen zu einem hohen Bedarf an Arbeitskräften in den Bereichen der nachrichtentechnischen Industrie, des Hochbaus, des Tiefbaus und bei Verkabelungsfirmen sowie bei der DDR-Post selbst führen.

In der Bundesrepublik investiert die Deutsche Bundespost Telekom zirka 18,5 Milliarden Mark pro Jahr. Die Investitionen der Deutschen Post betrugen dagegen nur 600 Millionen Mark pro Jahr. Bezogen auf die Bevölkerungszahl müßte die Deutsche Post bei gleicher Investitionsrate wie in der Bundesrepublik 4,6 Milliarden Mark pro Jahr in ihre Netze stecken.

In der Vergangenheit mußte die Deutsche Post 700 bis 900 Millionen Mark an die Staatskasse der DDR abführen. Auch die Ausgleichszahlungen von der Bundespost flossen in die Staatskasse der DDR. Heute dagegen geht der Ausgleich - auf 300 Millionen Mark jährlich erhöht - voll an die DDR-Post und wird reinvestiert. Die Bundespost unterstützt die Ost-Post bei deren Investitionsvorhaben: Ein Kredit von mehr als 2 Milliarden Mark wurde bereits zugesagt.

Vor dem Münchner Kreis bestätigten die Deutsche Bundespost und die Deutsche Post, daß sie in den kommenden Jahren zusammenwachsen wollen. Der Übergang soll durch eine Post- und Tarifunion zwischen beiden deutschen Staaten eingeleitet werden.

(wird fortgesetzt)