Editorial

20.10.1999

Es ist immer gut, sich beide Seiten anzuhören. Nehmen wir zum Beispiel das Rekrutierungsgeschäft. Die Personaler der IT-Dienstleister sind seit einigen Monaten stark beschäftigt. Ihre Arbeitgeber suchen eine Menge Mitarbeiter und die soll es am Markt nicht geben. Deshalb, so der Vorwurf der Chefs, können ihre Firmen nicht wachsen, müssen sie Projektaufträge ablehnen und fahren weniger Gewinn ein. Gar nicht zu sprechen von den Klagen über mangelnde Sozialkompetenz, falsche Ausbildung und überzogene Gehaltsvorstellungen der heutigen Bewerber.

Hört man sich die jobsuchenden Einsteiger an, sieht das Ganze schon etwas anders aus. Michael K. hat bei einem großen Beratungsunternehmen angeheuert. So wie es sich gehört, startete er als Consultant gleich in einem Kundenprojekt, allerdings mit recht monotoner Programmiertätigkeit. Drei Monate später saß er bereits in den Büros einer anderen Firma. Jetzt, kurz vor Ende der Probezeit, weiß er noch immer nicht, ob er bleiben darf. Mit seinem Fachvorgesetzten, der in der Firmenzentrale am anderen Ende der Republik sitzt, hat er bisher erst ein paar Minuten am Telefon gesprochen, und Michaels Projektleiter können ihm auch nichts über seine Perspektive sagen. Hauptsache, im Bewerbungsgespräch den roten Teppich ausrollen, alles weitere scheint die Unternehmen nicht zu interessieren.

Zweites Beispiel gefällig? Zu einer Hochschulkontaktmesse schickte ein bayerisches Softwarehaus, das viele Stellenanzeigen schaltet, eine junge Mitarbeiterin. Leider war sie erst eine Woche im Unternehmen und konnte zum neuen Arbeitgeber nichts sagen, statt dessen verteilte sie Hochglanzbroschüren.

Frustriert sind die Absolventen, weil sie nicht ernst genommen werden. Etwa wenn der Personaler die Unterlagen zum Gespräch nicht mitbringt und desinteressiert den Kandidaten ausführlich den Lebenslauf erzählen läßt. Noch schlimmer aber sei es, so erzählte eine Bewerberin, wenn die Personaler von den Arbeitsmöglichkeiten in der eigenen Firma keine Ahnung haben. Auf die Frage, ob es denn Java-Projekte gebe, fühlte sich die Unternehmensvertreterin überfordert. Natürlich benötigen die Personaler keine Ausbildung als HTML-Programmierer. Wenn sie allerdings in einem technischen Umfeld arbeiten, sollte es nicht zuviel verlangt sein, ein paar Grundbegriffe richtig einordnen zu können und zu wissen, was läuft. Solange das Einstellprozedere so unprofessionell abläuft, werden viele Softwarechefs weiter in Sonntagsreden über den Personalmangel jammern. Nur, ob sie schon mal vor der eigenen Tür gekehrt haben?