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EAN-Auszeichnung aller Artikel hat in Österreich Folgen:Industrie und Handel liegen im Clinch

05.08.1983

WIEN (eks) - Die Durchsetzung der EAN- oder Strichcodeauszeichnung aller Artikel im Einzelhandel ist das Ziel der österreichischen EAN-Geschäftsstelle. EAN-Kassen und -Auszeichnung sind aber nur Teile eines umfassenden Warenwirtschaftssystems. Während die Vorteile für den Handel ziemlich unbestritten sind, fühlt die erzeugende Industrie sich mit den Kosten für die nötigen Änderungen an den Verpackungen alleingelassen. Auch den Konsumentenschützern ist die EAN-Auszeichnung noch ein Balken (-Code) im

Auge. Trotzdem scheint es wahrscheinlich, daß sich diese Form der Auszeichnung letztlich als billigste und sicherste Kommunikationsform durchsetzen wird.

Die Einführung des Europäischen Artikelnumerierungssystems - kurz EAN - in Österreich wird weitreichende Folgen für die Organisationsstruktur österreichischer Unternemen haben. Dem EAN-System haben sich bislang 18 europäische Länder sowie Australien, Japan, Neuseeland und Südafrika angeschlossen. In Österreich holten sich rund 700 Betriebe ihre Betriebsnummer, die gleichzeitig die linke Hälfte der EAN-Nummer auf der Artikelauszeichnung darstellt. Ein Viertel der geeigneten Artikel wird bereits

strichcodiert angeliefert.

Außenhandel erfordert EAN

Österreich hat großes Interesse an einer internationalen Regelung von Artikelkennzeichnungen und ist daher auch Gründungsmitglied der 1977 in Brüssel gegründeten European Article Number Association.

Aufgabe dieser Vereinigung ist die Harmonisierung nationaler Entwicklungen und die Herausgabe von Richtlinien für Artikelnummer und Lesesysteme der Mitgliedsländer. Rechte und Verantwortlichkeiten für Einführung und Administration des EAN-Systems liegen jedoch bei den jeweiligen nationalen Mitgliedern.

Nur die EAN-Geschäftsstelle vergibt in Österreich Betriebsnummern. Die Betriebsnummern dienen als Basis für die Artikelnummer auf europäischer Ebene, wodurch jede Verbrauchereinheit einer Ware mit einer eindeutigen Nummer identifiziert wird. Variationen der Artikel durch Größe, Farbe, Verpackungsart etc. erhalten jeweils andere Nummern. Darüber hinaus kann die Betriebsnummer für den Datenaustausch zwischen einzelnen Betrieben eingesetzt werden und die derzeit verwendete Vielfalt von Kunden und Lieferantennummern ersetzen.

Für den EDV-Anwender sowohl im Handel als auch in der Industrie lassen sich beträchtliche Rationalisierungs- und Einsparungseffekte erwarten. Zunächst würde eine allgemeine Verbreitung des EAN-Systems eine größere Basis für Standardsoftware schaffen, wohingegen individuelle Anwendungssoftware heute noch die zahlreichen historisch gewachsenen Nummernkreise bei Produktbezeichnungen und in Buchhaltungen berücksichtigen muß. Da die Darstellung der EAN-Nummer in Form des Balkencodes ebenfalls vereinheitlicht ist, müßten Hersteller die nötigen Lesegeräte und -routinen ebenfalls billiger anbieten können als individuelle Lösungen auf Basis anderer Codes oder optisch lesbarer Schrift. Diesem naiven Anwenderglauben setzt der deutsche EAN-Berater Günther Leue allerdings entgegen, daß "die Kalkulation beim Computerhersteller nicht von den Kosten ausgeht, sondern vom Nutzen, den der Anwender daraus zieht".

Neuer Engpaß beim Geldzählen

Diesen Nutzen haben derzeit hauptsächlich Handelsunternehmen. Konsequent gehandhabte Artikelauszeichnung soll die Kassierleistung um rund 30 Prozent erhöhen. Damit ließen sich sowohl ein Umsatzwachstum als auch Spitzenbelastungen ohne Vermehrung

von Kassenplätzen bewältigen. Der Einsatz von Scanner-Kassensystemen verschiebt dann allerdings den Engpaß am "Point of Sales" vom Registrier- auf den Kassiervorgang.

Weitere Vorteile für das Handelsunternehmen werden bei der Verringerung von Inventurdifferenzen durch größere Preissicherheit versprochen. Immerhin soll nach dem Einsatz von Scanner-Kassen bei einer österreichischen Verbrauchermarktkette die Inventurdifferenz um 0,4 Prozent zurückgegangen sein, was sich bei einem Umsatz von über einer Milliarde pro Jahr mit rund drei Millionen positiv auswirkte.

Bedeutende Arbeitsersparnis kann schließlich auch aus dem Wegfall der Preisetikettierung des Einzelartikels entstehen. Hier befürchten die Konsumentenschützer, daß den Verbrauchern beim Einkauf das Preisbewußtsein abhanden kommt, da Strichcodes weder eine Preisangabe enthalten noch sich gedanklich addieren lassen. Dem halten die Handelsleute entgegen, daß gerade die sogenannte Regalauszeichnung - Preis-, Mengen- und Qualitätsangaben werden über EDV- ausgedruckte Schildchen an geeigneten Regalstellen angebracht - einen Preisvergleich leichter mache. Und schließlich hätte der Konsument zur eigenen Kontrolle nun einen Kassabon mit Artikelbezeichnungen zur Verfügung.

Die Industrie befürchtet, sie hätte einen wesentlichen Teil der Kosten des gesamten Systems zu tragen, da Verpackungen zu ändern und oft auch teurere Drucktechniken einzusetzen sind. Kosten, die sich vor allem bei kleineren Erzeugern und Produktionsmengen relativ stärker auswirken. Zwar müssen auch die Handelsorganisationen vor allem in neue Kassensysteme investieren, doch würden sie praktisch allein von den Vorteilen bei der möglichen Personaleinsparung und verbesserten Dispositionsmöglichkeit

profitieren. Neben den Investitionskosten von 150 000 bis 200 000 österreichischen Schilling je Kassenplatz schrecken wohl auch die 75 Prozent unkodiert angelieferten Artikel ab, die entweder in den Läden nachetikettiert werden müßten oder weiterhin manuell eingegeben werden müßten. Die Handelsunternehmen verweisen auf zu geringe Verbreitung der Strichcodes, die Erzeuger sehen wenig Veranlassung auf ihre Kosten andere verdienen zu lassen. Mit Spannung dürften diverse Marktforschungsinstitute die Situation beobachten. Sie haben gute Chancen, künftig als Unparteiische Verkaufsdaten vom Handel zu sammeln und aufbereitet den Erzeugern zur Verfügung zu stellen.

Dieser Interessenskonflikt ist noch ungelöst und stellt wohl eines der stärksten Hindernisse bei der Verbreitung des EAN-Systems dar.