Startups und Konzerne wollen online an Gesundheit verdienen

E-Health: Ohne starke Partner krankt das Geschäft

28.09.2001
Wer den Milliardenmarkt Gesundheit via Internet abschöpfen möchte, sieht sich zahlreichen Hürden gegenüber: Neben den allgemeinen Problemen, online Gewinn zu machen, engt die spezielle Gesetzgebung das Angebote ein. Ohne starke Partner bringen Startups nur schwer einen Fuß in das Geschäft. Dennoch hat E-Health Zukunft, so die Prognosen. Von Karin Pfeiffer*

Der Rechtsstreit zwischen dem Deutschen Apothekerverband (ABDA) und der Online-Apotheke 0800Docmorris im niederländischen Landgraaf wird den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg beschäftigen. Denn eine einheitliche europäische Regelung zum Versandhandel mit Medikamenten steht noch aus. Während viele EU-Länder ihn erlauben, ist er Apothekern in Deutschland nach dem Arzneimittelgesetz verboten. Gleichzeitig aber hat der freie Warenverkehr in der EU grundsätzlich Vorrang vor dem Länderrecht.

Die potenzielle Konkurrenz von Docmorris harrt derweil in Lauerstellung: "Sie steht in Deutschland in den Startlöchern und wartet auf den Ausgang der Verfahren", sagt Jens Apermann, Marketing-Leiter bei Docmorris, der "Apotheke mit Großhandel, die das Internet nutzt". Der Stein des Anstoßes: Die Landgraafer können die Arzneimittel nach eigenen Angaben durchschnittlich 20 Prozent und in Einzelfällen bis zu 60 Prozent billiger als in Hochpreisländern wie Deutschland anbieten. Rezeptgebühren werden erlassen. Das bringt nicht nur die Apotheker-Lobby ABDA in Stellung. Das im Juni 2000 online gegangene Startup wird förmlich mit Prozessen überzogen.

Die Finanziers - Technonord VC und 3i - halten laut Apermann weiter die Stange: "Es wäre sicher naiv gewesen, wenn wir die Abwehrschlacht nicht von Anfang an in den Business-Plan einbezogen hätten." Insgesamt hatte Docmorris Mitte August 43000 Kunden, wöchentlich kommen 500 bis 1000 hinzu. Derzeit setzt das Unternehmen mit 35 Mitarbeitern monatlich rund eine halbe Million Euro um. "Ende 2002 werden wir den Breakeven erreichen, im operativen Geschäft haben wir das schon geschafft", sagt Apermann. Denn, anders als beispielsweise im Buchhandel, "ist es schwer, mit Arzneimitteln nichts zu verdienen". Trotz der juristischen Probleme ist Docmorris gesellschaftlich willkommen: Laut einer Umfrage von Media Transfer in Hamburg befürworten 89 Prozent der Online-Nutzer den Medikamentenhandel im Internet. Im Zuge der Diskussion um die Gesundheitsreform begrüßt auch die Politik kostendämpfende Ansätze. Für die gesetzlichen Krankenkassen rechnet beispielsweise Wido, das Wissenschaftliche Institut der AOK, eine potenzielle Entlastung um knapp 1,7 Milliarden Mark vor, "wären die Rezepte der Patienten des Jahres 2000 nicht in einer heimischen Apotheke, sondern über die Versandapotheke Docmorris eingereicht worden". Den Patienten selbst hätte diese Bezugsquelle - theoretisch - durch die geringere Eigenbeteiligung weitere 330 Millionen Mark gebracht.

Der Markt boomt

Überhaupt wird für den Online-Handel im Gesundheitsmarkt in großen Zahlen gerechnet: Laut Forrester Research steigt sein Umsatzvolumen von 16 Milliarden im vergangenen Jahr auf 370 Milliarden Dollar im Jahr 2004. 90 Prozent davon sollen auf B-to-B-Transaktionen zwischen Versicherern, Ärzten und Industrie entfallen.

Genau in diesem Feld hat die am Neuen Markt notierte Antwerpes AG, Köln, ihr Internet-Portal Doccheck eingerichtet. "Es ist eine Marketing-Plattform, auf der wir die Pharmaindustrie, Ärzte und Apotheker zusammenbringen", erklärt CEO Frank Antwerpes. Auch hier reglementieren Paragraphen: Nach dem Heilmittelwerbegesetz dürfen Informationen über verschreibungspflichtige Medikamente nur medizinischen Fachkreisen zur Verfügung gestellt werden.

Mehr als 100000 User haben sich bereits bei Doccheck registrieren lassen, sie nutzen beispielsweise Informationen über Forschungen, Online-Marktforschung und Direkt-Marketing. Und im Doccheck-Shop werden mehr als 15000 Produkte angeboten. Eine knappe Million Euro setzte Antwerpes mit diesen beiden Geschäftsfeldern im ersten Quartal dieses Jahres um. Noch werden die Aktivitäten aus dem etablierten Geschäft mitfinanziert - die Agentur macht seit Jahren Werbung für Kunden wie Bayer oder Pfizer, aber auch für Aral, die Metro oder mit dem Web-Etat für die Kaufhof AG.

Mit der durch den Börsengang gefüllten Kasse plant Antwerpes die europäische Expansion, zunächst in Großbritannien und Frankreich. Den Gesundheitsmarkt hält Frank Antwerpes zwar insgesamt für "absolut prosperierend", im Internet sei das Endkundengeschäft jedoch sehr schwierig. "Mit Gesundheitsberatung gegenüber Patienten ist kein Blumentopf zu gewinnen. Die Frage ist doch, wer zahlt dafür?" Die Patienten wollten kein Geld für etwas ausgeben, das sie ohnehin beim Arzt bekämen.

So verbrannte das einstige Vorzeige-Startup und Gesundheitsportal Vitago, das den Drogerieketten Marktanteile abnehmen wollte, nach Zeitungsberichten insgesamt über 43 Millionen Euro Risikokapital - im Juni 2001 ging Vitago pleite. Auch Arztpartner Almeda stellte Anfang August dieses Jahres einen freiwilligen Antrag auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens - trotz rund 1,7 Millionen Page Impressions monatlich. Das Unternehmen hatte zwar sein Geschäftsmodell darauf aufgebaut, neben Internet-Diensten wie Informationen und Foren vor allem Service für Krankenversicherte über ein Call-Center anzubieten. Doch gelang es Arztpartner Almeda nicht, auch nur eine der drei bis vier großen Ausschreibungen der Versicherungen zu gewinnen. Schon einer der lukrativen Aufträge hätte zum Überleben gereicht, heißt es bei Equinet Venture Partners in Frankfurt, die das Seed-Investment geleistet hatten. Auffällig sei, so ein Insider von Equinet Venture Partners, der nicht namentlich genannt werden will, dass ausnahmslos die Tochtergesellschaften großer Firmen die Zuschläge bekamen.

Dagegen hat die Gesundheits-scout 24 GmbH der Scout Holding AG, die über ihren Mehrheitsgesellschafter BHS-Unternehmensgruppe zum Metro-Konzern gehört, Partner unter den Versicherern gefunden. Das Unternehmen profitiert zwar von dem Internet-Image einiger Markenschwestern aus der Scout-24-Gruppe, macht sein Hauptgeschäft aber mit dem medizinischen Call-Center in Duisburg, in dem rund 100 Mitarbeiter Rat suchenden Ärzten und Patienten helfen sollen - im Auftrag der Krankenkassen. "Der Internet-Auftritt ist nichts für die Umsatzgenerierung, sondern eine Informationsplattform für Laien und Ärzte", erklärt Kooperations-Managerin Sandra Mühlbradt. Wie sich das Konzept rechnet, ist unbekannt - mit Zahlen hält sich das Unternehmen bedeckt.

"In der Branche ist es ausschlaggebend, ob ich einen großen Partner kriege", meint auch Frank Miltner, Chefredakteur bei Netdoktor.de. Netdoktor mit seinen verschiedenen Länder-Sites zielt ebenfalls auf Einnahmen von Krankenkassen. Diese hätten ein starkes Interesse daran, Gesundheitsdienstleistungen zu bieten. Informationen ja, virtuelle Ferndiagnose nein - das ist seriöserweise nicht nur rechtlich ausgeschlossen. Zweiter Schwerpunkt im Produktportfolio ist die technische Plattform Productcare Health Center im ASP-Modell. Dort können auch Werbe- und Sponsoring-Konzepte gefahren werden. In puncto Geschäftssituation ist sich Miltner sicher: "Unser Holding-Ziel, bis Ende des Jahres den Breakeven zu erreichen, werden wir schaffen."

Derweil bastelt der Fachverlag Bertelsmann-Springer am "größten deutschsprachigen Online-Fachangebot zum Thema Medizin". Das hört sich kapitalintensiv an, bedeutet strategisch aber eher das Gegenteil. "Unser Unternehmensbereich E-Business wurde aufgelöst. Die Online-Dienste werden insgesamt wieder in die Verlagsaktivitäten zurückgeführt", teilt Presseleiterin Sabine Schaub mit. Damit werden diverse Medizin-Fachblätter und die "Ärzte Zeitung Online" gebündelt. Auch die publikumsorientierte Gesundheits-Site Lifeline und der Mediziner-Online-Dienst Multimedica werden wieder vom Print-Verlag gelenkt, behalten allerdings ihre Internet-Adresse.

Krankenhäuser im Visier

Das Softwarehaus Guideguide AG in Rolandseck hat indes eine Nische aufgetan. In Kooperation mit verschiedenen Versicherern nimmt die Firma mit dem Internet-Portal www.Krankenhausguide.com die rund 2000 deutschen Krankenhäuser ins Visier. "Auch sie stehen mittlerweile im Wettbewerb. Es gibt eine Privatisierungswelle und zusätzlichen Druck durch das Bedürfnis nach Transparenz, Preis- und Qualitätskontrolle", sagt Key Account Manager Markus Pins. Für eine Einrichtungsgebühr von knapp 1300 Euro und einen jährlichen Beitrag von 800 Euro erhalten Krankenhäuser den Eintrag ins Portal, eine eigene Website sowie die eigenentwickelte Software "Network Computer Operating System" (NCOS), unter anderem mit Redaktionsmodul und Groupware-Funktion. In der Pilotregion Köln sind bereits alle Hospitäler erfasst, Patienten können dort beispielsweise gezielt nach Fachabteilungen suchen, die Datensätze werden mit jedem Klick automatisch aktualisiert. Noch habe das Portal keine Konkurrenz. Doch wenn in Zukunft die Krankenhäuser in ein Preisvergleichssystem gezwungen werden, "dann wird der Wettbewerb hart".

Auch im Konsumentengeschäft ist er knallhart. "Der deutsche B-to-C-Markt wird maximal drei professionelle Gesundheits- und Wellness-Portale tragen", prognostizierte Lifeline in seiner Segmentbeobachtung über den Online-Gesundheitsmarkt 2001.

*Karin Pfeiffer ist freie Journalistin in München.