E-Government/Behörden werben nicht

E-Government blüht im Verborgenen

15.08.2003
Deutsche Behörden haben eine Menge zu bieten, aber offensichtlich scheuen sie sich, ihre digitalen Dienstleistungen offensiv zu vermarkten. Was zur Einführung von flächendeckenden E-Government-Lösungen fehlt und welche Initiativen die Bundesregierung zeigt, erläutert der folgende Beitrag.Von Rainer Pilz*

Bringt die Industrie ein neues Produkt auf den Markt, so ist der Bedarf ermittelt, und es wird die Marketing- und PR-Maschine angeworfen. Stellt eine Behörde neue Dienstleistungen im Internet zur Verfügung, erfolgt dies meist stillschweigend. Kein Wunder, dass die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, Deutschland bliebe beim E-Government hinter der restlichen Welt zurück.

Dabei steht das Land gar nicht so schlecht da. Wer genau hinsieht, entdeckt allerorten hoffnungsvoll blühende Pflänzchen - doch leider nur im Verborgenen. Gerade so, als sei es den Behörden gar nicht recht, wenn die Kunden die digitalen Dienste nutzen. Selbst bei Großprojekten wie der elektronischen Steuererklärung (Elster) scheuen sich die Ämter, in die Offensive zu gehen. Mit diesem Projekt wollen die Finanzverwaltungen der Bundesländer flächendeckend ein System einführen, von dem, wie es offiziell heißt, "Bürger und Finanzamt gleichermaßen profitieren sollen".

Steuererklärung auf digitalem Weg

Durch das seit Anfang 2001 bundesweit einsetzbare digitale Elster-Formular soll sich der Aufwand der Steuererklärung für die Datenerfassung erheblich vermindern. Der Bürger hat jedoch nach wie vor das gleiche Problem: nämlich ein mehrseitiges Formular auszufüllen. Da dies am Bildschirm erfolgt, wird es häufig noch schwieriger für ihn. Das komplizierte deutsche Steuerrecht wird auch am PC nicht einfacher. Vorteile aus dem Verfahren ziehen die Finanzbehörden, da sie die Daten bereits digital vorliegen haben.

Andere Länder stellen ihr Licht nicht unter den Scheffel. In den USA sponsert die Steuerbehörde Internal Revenue Service (IRS) nicht nur Fernsehsendungen, in denen der Umgang mit der Software erklärt wird. Sie schult sogar die Steuerberater, um möglichst viele Steuererklärungen auf digitalem Weg zu bekommen. Werbespots vermitteln dem Steuerzahler, wa-rum die Initiative so wichtig ist und welche konkreten Vorteile es für ihn bringt, wenn er seine Erklärung elektronisch an die Steuerverwaltung übermittelt.

Behörden sind es nicht gewohnt, zu werben. Die Kunden kommen von alleine, da es bei staatlichen Dienstleistungen keine Konkurrenten gibt. Außerdem ist Profilierung verpönt. Eine gute Behörde erkennt man daran, dass man nichts von ihr hört. Am meisten behindert jedoch die fehlende Koordination den flächendeckenden Einsatz von E-Government-Diensten. Der Grund: In Deutschland fehlt ein Masterplan, der zum Beispiel die Initiativen der Bundesländer in gemeinsame Bahnen lenkt. Aufgrund der föderalen Struktur lassen sich keine zentralen Vorgaben durchsetzen, wie es in der freien Wirtschaft möglich wäre, die eine rasche und konsistente Umsetzung auf allen Verwaltungsebenen ermöglichen würden.

Selbst das Projekt "Bund Online 2005" hat nur empfehlenden Charakter. Mit dieser 1,4 Milliarden Euro teuren Initiative hat sich die Bundesverwaltung verpflichtet, mehr als 400 Verwaltungsdienstleistungen bis 2005 online bereitzustellen. Derzeit sind es etwa 170 Dienstleistungen, die den Weg ins Internet gefunden haben. Da der Bund jedoch in erster Linie mit anderen Behörden zusammenarbeitet, heißt das noch lange nicht, dass Bürger und Unternehmen bis 2005 Behördenvorgänge auf elektronischem Weg erledigen können. Für sie sind Bundesländer und Gemeinden zuständig. Und diese haben keinen für alle verbindlichen Masterplan für ihre E-Government-Aktivitäten veröffentlicht.

Abhilfe schaffen soll das Projekt "Deutschland Online", das Bundeskanzler Schröder und die Ministerpräsidenten der Länder Ende Juni beschlossen haben. Gemeinsam sollen die Verantwortlichen im Laufe des Jahres eine Internet-Strategie für die deutschen Behörden entwickeln. Wesentliche Eckdaten sind Schaffung gemeinsamer Infrastrukturen und Standards sowie die Vernetzung von Internet-Portalen. Bund, Länder und Kommunen wollen ihre gemeinsamen Verwaltungsdienstleistungen online bereitstellen. Nach dem Motto "Einige für alle" soll der Know-how-Transfer und Erfahrungsaustausch dazu beitragen, dass einmal geschaffene Modell-Lösungen von Partnern übernommen werden. Damit ließe sich der derzeitige Flickenteppich unterschiedlicher Systeme und Lösungen bereinigen. Alleine für das Meldewesen oder die Kfz-Zulassung gibt es Dutzende von verschiedenen Softwarelösungen.

Hoffnung für die IT-Branche

Für den Oktober ist mit dem Aktionsprogramm "Informationsgesellschaft Deutschland 2006" zu rechnen. Die Bundesregierung will hiermit der nachlassenden Dynamik der Informations- und Kommunikationstechnik neuen Schwung geben und die Anwendung der Informationstechnik fördern. Die Initiative zielt unter anderem auf den verstärkten Einsatz von E-Government-Projekten in der Verwaltung ab. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) begrüßt die Initiative der Bundesregierung zwar. Allerdings seien nicht alle Anregungen der Branche aufgegriffen worden, und so sieht der Verband insbesondere beim E-Government weiterhin großen Nachholbedarf.

Europaweit hat E-Government offenbar Potenzial: Während der IT-Markt in Europa derzeit um rund zwei Prozent zulegt, wachsen die IT-Ausgaben der öffentlichen Hand um zehn Prozent pro Jahr. Diese Zahlen wurden bei der zweitägigen EU-Konferenz "E-Government Conference 2003" Anfang Juli in Como präsentiert. Auch die hiesigen Messeveranstalter haben den Trend erkannt: Die CeBIT will im kommenden Jahr ihren Fokus auf die öffentliche Verwaltung verstärken. Im "Public Sector Parc" sollen IT-Lösungen, Dienstleistungen und Projekte rund um das Thema E-Government zu sehen sein. Der steigenden Bedeutung verleiht auch das Engagement des Bundesinnenministeriums Ausdruck: Otto Schily wird die Schirmherrschaft des "Public Sector Parc" übernehmen.

Allen Unkenrufen zum Trotz: Behörden sind gar nicht so technikfeindlich, wie viele behaupten. Tatsächlich funktioniert die Zusammenarbeit der Ämter untereinander sowie mit Unternehmen schon sehr gut. Auch die Online-Abwicklung von Routineaufgaben wie zum Beispiel der Kfz-Zulassung und Meldeauskünften sparen dem Bürger Zeit und - zumindest den Behörden - Geld.

G-to-B-Leistungen besser nachgefragt

Die Einführung von E-Government-Angeboten für Bürger dauert dagegen länger als erwartet. Der typische Einwohner hat statistisch gesehen im Jahr nur 1,4 Kontakte zur kommunalen Verwaltung. Unternehmen müssen dagegen regelmäßig Daten melden oder Genehmigungen einholen. Kein Wunder, dass Leistungen rund um G-to-B (Government to Business) viel stärker nachgefragt werden als G-to-C (Government to Citizen). Dies ist ein Trend, der auch weltweit zu beobachten ist. Nach einer Studie von Cap Gemini Ernst & Young aus dem Oktober 2002 bieten die Verwaltungen der führenden Industrienationen in Europa 72 Prozent der wichtigsten Dienstleistungen für Unternehmen online an - aber erst 52 Prozent der denkbaren Angebote für Bürger. Und hier stehen die E-Government-Dienste im Vordergrund, die den Verwaltungen Geld ersparen oder direktes Geld einbringen. Reine Erleichterungen für die Bürger, etwa bei Behördengängen, müssen dann eben hinten anstehen, da diese zunächst keine direkte Einnahmequelle darstellen.

"Die Daten müssen laufen, nicht die Bürger." Wer kennt nicht diese Aussage, die in der Vergangenheit schon so mancher Politiker aufgegriffen hat. Bereits Mitte der 80er Jahre hat Klaus Dunker, seinerzeit Bürgermeister der Stadt Unna, diese Marschrichtung vorgegeben. Als eine der ersten deutschen Städte eröffnete Unna damals ein Bürgerbüro, in dem alle Dienstleistungen der Kommune zentral vereint waren. Das Wandern von Amt zu Amt war damit passé, interdisziplinäres Arbeiten in den Behörden angesagt.

Deutschland hat aufgeholt

Heute stellt sich die Frage, ob überhaupt noch jemand zum Bürgerbüro gehen müsste. Das ideale virtuelle Rathaus wäre dank Internet jederzeit und von überall aus erreichbar. Allerdings wäre darauf zu achten, dass alle Dienstleistungen auch weiterhin im Rathaus für Besucher verfügbar sind. Denn nicht jeder Haushalt oder jeder Handwerksbetrieb kann sich sofort den Einstieg in die elektronische Welt leisten.

Dass Deutschland aufgeholt hat, zeigen schon die reichhaltigen Online-Angebote der Städte und Kommunen. Eine erfolgreiche Initiative ist Media@Komm, das Leitprojekt der Bundesregierung für kommunales E-Government. In diesem Städtewettbewerb gewannen bereits 1999 der Städteverbund Nürnberg sowie Esslingen und Bremen Auszeichnungen. Auf Länderebene sind Hamburg, Bayern (Baynet), Berlin und mittlerweile Niedersachsen als Vorreiter für E-Government-Projekte zu nennen - ein geografisches Gefälle von Nord nach Süd ist spürbar.

Von alleine wird E-Government kein Erfolg. Es ist eine zentrale Aufgabe der Entscheidungsträger in den öffentlichen Verwaltungen und den politischen Institutionen, die Einführung zu forcieren. Sie müssen sich aktiv an der Formulierung von Vision und Leitbild beteiligen und für die Erstellung einer Gesamtstrategie einsetzen. Ebenso wichtig wie die externe ist die interne Kommunikation der Bedeutung von E-Government in die Verwaltung hinein. Zweitens sollen Oberbürgermeister oder Landräte konkrete Unterstützung für die einzelnen Teilprojekte bezeugen und diesen Rückhalt geben. Konkret bedeutet dies Unterstützung durch entsprechende Ressourcenverteilung und klare Zuweisung von Kompetenzen durch die Stadtspitze. Drittens sollte E-Government organisatorisch in den Verantwortungsbereich der Spitzengremien eingegliedert sein.

Starke Zunahme von Softwaremigrationen

Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Saga-Projekt der Bundesregierung. Saga (Standards und Architekturen in E-Government-Anwendungen) ist ein Dokument, das den Umsetzungsplan der Initiative Bund Online 2005 in technischer Hinsicht konkretisiert. Auch wenn diesem der verbindliche Charakter fehlt, zeigt es doch viele richtige Maßnahmen auf. Es gibt eine klare Kompetenzverteilung, ein für alle nachlesbares Konzept und die nötige Unterstützung von oben. Zu den positiven Merkmalen zählen die Definition von offenen und verbindlichen IT-Standards für E-Government-Lösungen sowie der Einsatz akzeptierter Technikstandards wie zum Beispiel der Datenbeschreibungssprache XML.

Wie wichtig solche konkreten Vorgaben für die Verwaltung sind, zeigen auch die Reaktionen auf den Migrationsleitfaden zum Einsatz von Open-Source-Lösungen. Dieser wurde vom Bundesinnenministerium Anfang Juli auf dem "Linux Tag 2003" in Karlsruhe vorgestellt und führte laut Bundesinnenminister Schily zu einer starken Zunahme von Softwaremigrationen auf Open Source in der Bundesverwaltung. Der neue Softwarewegweiser unterstützt Entscheider und IT-Verantwortliche in der öffentlichen Verwaltung beim Entwickeln ihrer Softwarestrategien. Das Spektrum der vorgeschlagenen Maßnahmen reicht von Authentisierungsdiensten über Middle- und Groupware bis zu Web-Services und XML. (bi)

*Rainer Pilz ist Business Unit Manager im Geschäftsbereich Öffentliche Verwaltung der Software AG, Darmstadt, in Berlin.

Links

Vorbildliche Projekte

www.mediakomm.net

Förderung des digitalen Wandels in der Gesellschaft

www.initiatived21.de

Die Projekte der Bundesregierung

www.bundonline2005.de

Entwicklung von E-Government in Deutschland

www.stadt-muenster.de/egovernment/entwicklung.html

Weltweite Daten im Vergleich

www.oecd.org

Jährlicher E-Government-Wettbewerb

www.verwaltung-der-zukunft.de

BSI - Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (Leitfaden für E-Government)

www.bsi.de

Abb.1: Elektronisch vernetzte Gesellschaften: USA liegen vorn

In Sachen Digitalisierung des öffentlichen Lebens ist Deutschland kein Musterland. Trotzdem sind die hiesigen Ämter besser als ihr Ruf. Quelle: Booz Allen Hamilton

Abb.2: Viele Wege zum Amt

Auf dem Papier sieht elektronische Verwaltung einfach aus. In der föderalen Praxis macht jede Behörde, was sie will. Selbst das staatliche Projekt "Bund Online 2005" hat nur empfehlenden Charakter. Quelle: Software AG