DV-Schulung/Ein Ausbildungskonzept der Heimstatt Bauspar AG Die Projektleitung an realen Problemen der Firma erlernen Von Tobias Bruecher*

09.06.1995

Die Heimstatt Bausparkasse will ihre jungen Nachwuchskraefte an anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgaben heranfuehren. Im Rahmen dieser Foerderung soll vermehrt Projektarbeit eingesetzt werden. Das Unternehmen moechte dazu eine einheitliche Projektorganisation aufbauen und insbesondere Mitarbeiter fuer ihre Aufgabe als Projektleiter ausbilden.

Die Ausbildungsmassnahmen der Heimstatt Bauspar AG orientieren sich an der bei diesem Unternehmen ueblichen Projektorganisation. Das Ausbildungsprogramm soll sich in langfristige Personalentwicklungskonzepte der Heimstatt einfuegen. Intention

aller Qualifikationsmassnahmen muss die Handlungskompetenz der kuenftigen Projektleiter sein. Die Ausbildungsinhalte und Methoden muessen sich an der Anwendbarkeit des Gelernten orientieren.

Um diese Ziele zu erreichen, wurde ein kleines Projektteam gegruendet, das die Konzepte erarbeitet hat. Die Vorgehensweise laesst sich in drei inhaltliche Bloecke unterteilen: Voruntersuchung, Konzeption und Durchfuehrung.

Der Schluessel fuer den Erfolg der konzeptionellen Arbeit lag in der Phase der Voruntersuchung in der interdisziplinaeren Zusammenarbeit innerhalb der einzelnen Analyseteams und in der Vielfalt der in diesen Prozess einbezogenen Gruppen und Ebenen im Unternehmen. Zu ihnen zaehlten Mitglieder des oberen Managements, Mitarbeiter der DV, der Organisation und aus den unterschiedlichen Fachabteilungen. Im Mittelpunkt standen folgende Fragestellungen:

- Wie wurden Projekte bei der Heimstatt bisher abgewickelt?

- Welche Projektorganisation hat sich etabliert?

- Was sind die Staerken und Schwaechen der bestehenden Projekt- Management-Strukturen?

- Welche Qualifikationen und Kompetenzen brauchen erfolgreiche Projektleiter bei der Heimstatt?

Ergebnis der Voruntersuchungen waren zwei Konzeptionen: zum einen eine Neuentwicklung der Projekt-Management-Organisation und - Strukturen und zum anderen ein Qualifikationskonzept fuer kuenftige Projektleiter bei der Heimstatt.

Die Projektorganisation ist die Gesamtheit der Organisationseinheiten und der aufbau- und ablauforganisatorischen Regelungen zur Abwicklung eines Projekts. Man unterscheidet die strategische und klassische Projektorganisation: Erstere ist innerhalb des Unternehmens fuer die Initiierung, Ueberwachung, Koordination und Organisation aller Projekte verantwortlich. Letztere legt den organisatorischen Aufbau eines bestimmten Projekts bezueglich der Beteiligten, der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten fest.

Aufgrund der besonderen Aufgabenstellung eines Projekts (interdisziplinaer und hierarchieuebergreifend) sind andere Organisationsformen notwendig als die fuer das Tagesgeschaeft ueblichen. Eine Standardisierung dieser Organisationsform ist dann erforderlich, wenn in einem Unternehmen wie der Heimstatt Projektarbeit eine haeufig eingesetzte Arbeitsform ist.

Der Nutzen einer unternehmensweit gueltigen Aufbau- und Ablauforganisation von Projekten liegt in der Moeglichkeit, Projekte besser planen, steuern und ueberwachen zu koennen. Zudem lassen sich wiederkehrende Massnahmen durch Standardisierung rationalisieren.

Projektorganisation ermoeglicht es, alle an eine Aufgabe grenzenden Teilaufgaben zu einem Projekt zu vereinen. Dadurch lassen sich Synergien, Know-how und Mitarbeiterkapazitaeten optimal nutzen. Das kann die uebliche Unternehmensstruktur nicht leisten.

Grundlage fuer die konzeptionellen Ueberlegungen fuer Massnahmen zur Qualifikation der kuenftigen Projektleiter waren drei Anforderungsbereiche: Die entsprechenden Personen sollten ueber die fuer ihren Aufgaben- beziehungsweise Projektbereich notwendigen Fachkenntnisse verfuegen. Sie muessen aber keine Spezialisten sein, es reicht aus, wenn sie die fachlichen Anforderungen und Ergebnisse eines Projektes beurteilen sowie die ihnen zugeordneten Mitarbeiter und Spezialisten zielgerichtet einsetzen koennen. Vorteilhaft ist es, wenn sie sich nicht nur in ihrem eigenen Fachbereich auskennen, sondern auch Kenntnisse ueber die anderen am Projekt beteiligten Abteilungen besitzen. Projektleiter muessen Struktur und Aufbau des Gesamtunternehmens kennen, zudem sollten sie mit den Zielen und der Strategie des Unternehmens vertraut sein.

Zweitens beduerfen Projektleiter der Kenntnis und Beherrschung der Methoden und Techniken des Projekt-Managements im allgemeinen sowie der unternehmensinternen Projektorganisation im besonderen.

Soziale Handlungskompetenz ist die dritte Bedingung. Dazu gehoeren Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Persoenlichkeit und Autoritaet des Projektleiters sowie die Faehigkeit zur effektiven Fuehrung von Gruppen, Teamgeist, Stressstabilitaet, zielgerichtete Gespraechsfuehrung und Durchsetzungsvermoegen.

Das hier vorgestellte Qualifikationskonzept bezieht sich auf die erforderlichen sozialen Handlungskompetenzen und die Methodenkompetenz der kuenftigen Projektleiter bei der Heimstatt. Das entsprechende Fach- und unternehmenstypische Handlungswissen wird in der hier vorgestellten Ausbildungsreihe nicht beruecksichtigt, sondern erst in den weitergehenden Personalentwicklungsmassnahmen. Neben der Teilnahme an der Projektleiterausbildung sollte den Mitarbeitern die Moeglichkeit gegeben werden, in Projekten mitzuarbeiten, um dort Erfahrungen zu sammeln und neu erworbene Fertigkeiten einzusetzen.

Die Ausbildungsmassnahmen sind in verschiedene Module und Bausteine gegliedert. Eine im Herbst 1994 durchgefuehrte Qualifikationsmassnahme soll hier beispielhaft kurz dargestellt werden.

In einem Modellprojekt werden die Wissensinhalte unmittelbar waehrend der Aufgabenbearbeitung erlernt. Praktisches Handeln und Ueben wechselt sich mit fachlicher Wissensvermittlung ab. Ein durchgaengiges Szenario fuer einen typischen Projektverlauf durchzieht ein Ausbildungsmodul mit verschiedenen Lerninhalten.

Unser Beispiel ist das Modellprojekt "Flexible Arbeitszeitregelung" (vgl. Kasten 2). Eine Gruppe von elf Mitarbeitern der Heimstatt sollte ein neues, flexibles Arbeitszeitmodell fuer die Bausparkasse konzipieren.

In diesem Modellprojekt konnten sie zwei Kompetenzfelder ueben: die Methodenkompetenz mit Planung, Steuerung und Verfolgung eines Projekts sowie Aufwandsabschaetzung sowie soziale Handlungskompetenz. Dazu zaehlen das Fuehren von Projektteams, Praesentations- und Argumentationstechniken, die Steuerung von Entscheidungsprozessen, Kreativitaetstechniken in der Projektarbeit sowie Information und Kommunikation. Auch Ueberzeugungsarbeit und das Durchsetzen von Projektergebnissen (Projekt-Marketing) gehoeren dazu.

Die Themen wurden den Teilnehmern in einem fachlichen Input vermittelt. Im Verlauf des Seminars bekam die "Projektgruppe" verschiedene Aufgaben und Auftraege. Ihre Ergebnisse musste sie vor den "Kontrollgremien der Projektorganisation" praesentieren und durchsetzen.

Jeder Seminartag wurde mit einem gemeinsamen Tagesfeedback abgeschlossen. Inhalt dieser Gespraechsrunden waren die gezeigten sozialen Kompetenzen wie Fuehrung, Teamverhalten, Argumentationsgeschick, Durchsetzungsvermoegen, der Umgang mit Konflikten und die gegenseitige Motivation.

Voraussetzung fuer den langfristigen Erfolg von betrieblichen Ausbildungskonzepten ist die Akzeptanz der Lernziele und Lerninhalte durch die betroffenen Mitarbeiter.

Wissen allein ist nicht praxisrelevant

Das obere Management sollte von deren Zielsetzung und Nutzen ebenfalls ueberzeugt sein und die Mitarbeiter bei der Umsetzung unterstuetzen. Neues Wissen und die erworbenen Faehigkeiten und Fertigkeiten muessen im Unternehmen auch angewandt werden duerfen.

Bei der Qualifizierung zu Projektleitern sollte es nicht zu einer Diskrepanz zwischen den vermittelten Inhalten und der vorgefundenen Arbeitsrealitaet im Unternehmen kommen. Eine solche Erfahrung wirkt besonders auf junge Nachwuchskraefte extrem demotivierend. Teilnahmevoraussetzungen, Ziele und Inhalte einer Ausbildungsreihe sollten auch fuer andere Mitarbeiter transparent sein, da der Transfer von neu erworbenem Wissen stark von der Akzeptanz und der Unterstuetzung durch Kollegen abhaengt.

Der erfolgreiche Einsatz von Projekt-Management haengt massgeblich von der Qualifikation der betroffenen Mitarbeiter ab. Jede Methode, jede Organisationsform und jedes Tool ist nur so gut, wie die Mitarbeiter diese zu nutzen wissen. Entsprechende Massnahmen sind dann erfolgreich, wenn sie auf die individuellen Beduerfnisse eines Unternehmens hin konzipiert und zugeschnitten sind. Die wesentlichen Qualitaetskriterien sind:

- bedarfsgerecht: Qualifizierung hat als Ziel immer die Handlungsfaehigkeit der Mitarbeiter, nicht Bildung als Selbstzweck, Incentive oder Sonderurlaub.

- zeitgerecht: Qualifizierung findet "just in time", nicht auf Vorrat oder auf Verdacht statt. Der Lernerfolg ist umso groesser, je mehr sich das Gelernte auch in der Praxis umsetzen laesst.

- vorgangsbezogen: Qualifizierung orientiert sich an den am Arbeitsplatz und in der Praxis tatsaechlich anfallenden Arbeitsablaeufen und Anforderungen, nicht an einem vermeintlich allgemeingueltigen Curriculum.

- zielgruppenspezifisch: Die Zeit des Giesskannenprinzips in der beruflichen Bildung ist vorbei. Qualifizierungsmassnahmen und - methoden muessen sich an Vorwissen, an der Lernmotivation und der Arbeitswelt der jeweiligen Zielgruppe orientieren.

Die Qualitaet von Bildungsmassnahmen haengt von der Methode der Wissensvermittlung ab. Das Lernen in und durch Modellprojekte bietet sich beim Lerninhalt "Projektleitung" besonders an. Viele Kompetenzen, die ein Projektleiter gerade in solch komplexen sozialen Situationen wie in der Projektarbeit benoetigt, lassen sich nicht aus Buechern oder Vortraegen erwerben.

Lernen heisst in diesem Bereich: Tun, Handeln, Ueben, Fehler machen duerfen, Erfahrungen sammeln. All dies muss sich in einem fuer den Mitarbeiter sinnvollen und praxisnahen Szenario abspielen. Erfahrung und Know-how im Bildungsbereich sind dabei ebenso wichtig wie erforderliche Fachkenntnisse.

Das Unternehmen

Gruendung: 1928

Sitz der Hauptverwaltung: Muenchen

Bausparsumme 1993: 14,5 Milliarden Mark

Seminarablauf im Modellprojekt "Flexible Arbeitszeitregelung" (FAZ)

1. Tag

Fachlicher Input: Projekt-Management "Handwerk oder Magie?"

Fachlicher Input: Anforderungen an einen Projektleiter

Planspiel: Einfuehrung ins Planspiel "FAZ"

Planspiel: Projektantrag

Planspiel: Praesentation vor dem Entscheidungsausschuss

Tagesfeedback

2. Tag

Fachlicher Input: Entscheidungsprozesse ergebnisorientiert steuern

Fachlicher Input: Projektorganisation bei der Heimstatt (Modell)

Planspiel: Erstellung Projektplan in zwei Gruppen

Planspiel: Projektbesprechung - Zusammenfuehren der Gruppenergebnisse

Tagesfeedback

3. Tag

Fachlicher Input: Praesentationstechniken

Planspiel: Voruntersuchung

Planspiel: Praesentation vor dem Projektkontrollausschuss

Tagesfeedback

4. Tag

Fachlicher Input: Kreativitaetstechniken in der Projektarbeit

Planspiel: Entwicklung des Arbeitszeitmodells

Planspiel: Praesentation vor dem Entscheidungsausschuss

Tagesfeedback

Projektfeier

5. Tag

Fachlicher Input: Informieren, Kommunizieren, Ueberzeugen und Durchsetzen von Projektergebnissen

Fachlicher Input: Projekt-Marketing

Planspiel: Planung von Projekt-Marketing-Massnahmen

Planspiel: Planung der Einfuehrung

Planspiel: Praesentation der Ergebnisse in der Projektgruppe

Tagesfeedback

Fachlicher Input: "Tips fuer die Praxis"

Transfer in die Praxis

Seminarfeedback

* Diplompsychologe und -sozialpaedagoge Tobias Bruecher ist Berater bei der HMT Informations-Systeme GmbH in Grasbrunn-Neukeferloh.