Personal-Bereich ist mit administrativen Aufgaben zugeschüttet, deshalb:

DV-Manager sollen sich mehr um Mitarbeiterbelange kümmern

17.03.1989

MÜNCHEN - "Mehr Personalkompetenz in das Linienmanagement." Dies forderte Bernhard Gerstenberg, Personalchef bei der Münchener Wacker Chemie GmbH, auf dem IDG-CSE-Seminar "Personal-Forum '89" im Januar. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden drastischen Verknappung der Personalressourcen Mitte der neunziger Jahre werde es für den Unternehmenserfolg zunehmend wichtiger, qualifiziertes Fachpersonal zu gewinnen, vor allem aber zu halten, erklärte Gerstenberg im Rahmen seines Vortrags "Fachbereiche im Dialog - Neue Akzente bei der Zusammenarbeit zwischen Personal- und Informatikbereich". Voraussetzung hierfür sei jedoch, die Personalabteilungen von ihrem Status als "Verwaltungsstellen für Personal" zu befreien. Wie Personalleiter und DV-Manager zu einer verstärkten Verlagerung von Führungsaufgaben in die Fachbereiche hinein stehen, brachte die COMPUTERWOCHE in Erfahrung.

Die Arbeitsmarktsituation im DV-Sektor spitzt sich zu. An die 10 000 Stellen stehen derzeit pro Jahr für Computerprofis offen - Tendenz steigend. Doch schon heute können nur wenige adäquat besetzt werden. Vorrangige Aufgabe der Unternehmen, speziell der Personalabteilungen, muß es deshalb sein, konzentriert nach DV-Experten zu suchen, Programme für den DV-Nachwuchs zu entwickeln und - last but not least - die Mitarbeiter zu motivieren, sich langfristig an das Unternehmen zu binden.

Doch mit Routinearbeiten überladen, scheint den Personalleitern bislang die Zeit für unternehmensübergreifende Personalprojekte sowie auf die Zukunft ausgerichtete Personalentwicklungs-Systeme abzugehen. Abhilfe schaffen kann hier nach Ansicht von Wacker-Chemie-Personalchef Bernhard Gerstenberg die Verlagerung von mehr Personalkompetenz in die Fachbereiche. Die Personalabteilungen dürften nicht länger die Verwaltungsstellen für Personal sein. Darüber hinaus sollten sie auch nicht als "Reparatur-Betrieb" für die Linie beziehungsweise für alle unbeliebten Sachthemen - die mit Mitbestimmung oder mit Disziplinarmaßnahmen zu tun haben - in Anspruch genommen werden. Gerstenberg: "Der Personalchef der Zukunft macht seine Kollegen in der Linie für das operationale Tagesgeschäft in Sachen Personal kompetent. Das bedeutet, daß diese für alle Normalfälle im betrieblichen Alltag die Personalentscheidungen beziehungsweise die Personalmaßnahmen selbst treffen können, ohne die Personalabteilungen dafür zu benötigen".

Dieser eher revolutionäre Ansatz ruft bei Personalchefs und DV-Managern jedoch nicht nur Zustimmung, sondern auch ein gebündeltes Maß an Skepsis hervor. Rolf G. Münsterberg, Personaldirektor bei der Mannesmann Kienzle GmbH in Villingen-Schwenningen: "Ein interessanter Ansatz, über den man nachdenken muß und der tendenziell in die richtige Richtung geht. In der Tat ist bei kritischer Betrachtung der Tätigkeitsinhalte mancher Personalabteilungen die Frage zu stellen, ob dort nicht Funktionen wahrgenommen werden, die eigentlich in die Zuständigkeit der jeweiligen Fachvorgesetzen fallen." Eine solche Neuordnung der Aufgabenverteilung ließe sich nur dann realisieren, wenn zuvor bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen würden.

Grundvoraussetzung sei die Klärung der Frage, wie weit man unter Berücksichtigung der betrieblichen Einflußgrößen überhaupt "rückdelegieren" könne. Ferner seien "saubere Schnittstellen" zwingend erforderlich: Die Aufgaben der Fachvorgesetzten müßten von denen der Personalabteilung klar abgegrenzt sein. Nur so ließen sich Überschneidungen und Reibungsverluste bei tagesaktuellen und personalpolitischen Aktivitäten verhindern. Der Fachvorgesetzte, so Münsterberg, müsse außerdem fachspezifisch auf seine "neuen" Aufgaben vorbereitet werden. "Das bedeutet unter Umständen einen erheblichen Schulungsaufwand. Das bedeutet aber auch, daß man künftig noch strenger als bisher darauf achtet, daß Vorgesetzte über Führungsqualitäten verfügen." In vielen Fällen würde sich zusätzlich die Frage nach einer Entlastung von anderen Aufgaben stellen, weil nur so der nötige Freiraum für erweiterte Verantwortlichkeiten in Richtung Führung geschaffen werden könne.

Diese seien nur einige wenige der insgesamt einzuhaltenden Bedingungen. "Eine Unbekannte, aber von zentraler Bedeutung, ist die Antwort auf die Frage, ob die Führungskräfte diese Aufgaben auch wirklich wahrnehmen wollen", so Münsterberg. "Und die Antwort könnte unter Umständen anders ausfallen, wenn deutlich wird, daß dies auch heißt, 'Problemfälle selber zu lösen und nicht an die Personalabteilung zu delegieren'."

Daß die Fachvorgesetzten gerade bei unangenehmen Entscheidungen die Verantwortung immer wieder gern den Personalprofis zuschieben, brachte diesen nicht nur ein Mehr an Arbeit ein, sondern zudem ein schlechtes Image. Peter Clotten, Leiter des Zentralbereichs Informatik und Kommunikationswesen der Münchener Wacker Chemie GmbH: "Müssen Mitarbeiter entlassen werden, so kommt die Entscheidung aus den Fachbereichen. Die Personalabteilung aber wird zum Buhmann, weil sie die Kündigungen formell unter Dach und Fach bringt." Überhaupt, so Clotten, sei die Personalabteilung mit administrativen Aufgaben zugeschüttet. "Auch bei Neueinstellungen oder Weiterbildungsmaßnahmen von Mitarbeitern ist die Personalabteilung dazu verdammt, die gesamten Verwaltungsarbeiten zu erledigen, obwohl in diesen Fällen Vorbereitungen und Entscheidungen ebenfalls in den Abteilungen getroffen werden."

Gerade von der aufwendigen Administration muß der Personalbereich nach Ansicht von Clotten zukünftig entlastet werden. "Nur mit den erforderlichen vollständigen Disziplinarfunktionen ist der Fachvorgesetzte in der Lage, nicht nur den Vorschlag zu einer Gehaltserhöhung zu machen, sondern diese tatsächlich zu gewähren - möglicherweise in Rahmen eines zur Verfügung stehenden Budgets." Die Personalabteilung bleibe zwar übergeordnete Instanz, doch übe sie dann für die Fachbereiche nur noch Beratungs- und Coaching-Funktionen aus.

Daß mit mehr Führungsverantwortung auch mehr Verwaltungsaufgaben, zum Beispiel bei der Einstellung neuer Mitarbeiter, auf die Fachvorgesetzten zukommen, trifft bei anderen DV-Managern jedoch auf wenig Gegenliebe. Gibt Heinz Rettenmaier, Org./DV-Leiter bei der Zahnradfabrik Friedrichshafen, zu bedenken: "Werden solche administrativen Arbeiten von der Personalabteilung verlagert, so führt dies zu einem überproportionalen Zuwachs der Verwaltungsaufgaben und damit auch an Zeitaufwand in den Fachabteilungen." Denn während es im Personalbereich für solche Aufgaben Experten gäbe, müßten sich in den Fachbereichen Nicht-Experten damit auseinandersetzen. Rettenmaier: "Ich will kein Spezialist in Personalarbeit sein. Damit habe ich ohnehin schon genug zu tun. Ich bin Computerexperte, meine Aufgabe ist die Informationstechnik. Das kann ich besser als beispielsweise Bewerbungen abwickeln oder Personal einstellen."

Sicherlich, so gesteht der Friedrichshafener DV-Profi ein, ließen sich bestimmte Zuarbeiten stärker in die Fachabteilungen verlagern. "Wenn ich zum Beispiel intern einen neuen Mitarbeiter suche, dann fülle ich ein Formular aus für die interne Stellenausschreibung und schicke dies per Bürokommunikation an die Personalabteilung. Doch die eigentliche Abwicklung und die Verantwortung dafür sollte dann von den für solche Angelegenheiten ausgebildeten Fachleuten übernommen werden." Somit sei zwar eine Umverteilung von Aufgaben in begrenztem Umfang möglich, doch müsse die Hauptlast weiterhin die Personalabteilung tragen. Zu groß ist für Rettenmaier auch die Gefahr, daß jede Abteilung ihr eigenes System entwickelt und der Rahmen des Unternehmens - beispielsweise bei der Gehaltsfindung - gesprengt wird. "Außerdem ist der Personalbereich so sensibel, daß man bei falscher Handhabung in diesen Angelegenheiten sehr viel kaputt machen kann."

Auch Heinz Rau, Ressortleiter DV bei der Nestlé Deutschland AG, Frankfurt, will die Personalabteilung von gewissen administrativen Aufgaben nicht befreit wissen. "Abmahnungen beispielsweise sind eindeutig Sache des Personalbereiches." Zwar sei es zeitraubend, wenn man die Personalabteilung zu solchen Disziplinarmaßnahmen drängen müsse. Doch die Kompetenz, Abmahnungen selbst zu schreiben, wolle er dennoch nicht haben: "Denn da gibt es auch noch arbeitsrechtliche Grundsätze zu beachten, die ich nicht immer im Kopf habe. Solche Angelegenheiten sollte deshalb dort abgewickelt werden, wo die Spezialisten dafür sitzen."

Über mangelnde Kompetenz in Sachen Personalverantwortung kann sich Rau nicht beklagen. "Ich führe Mitarbeitergespräche und entscheide mehr oder weniger über Gehaltserhöhungen - in dem Rahmen, den unser Unternehmen setzt". Auch ist er autonom, was die Weiterbildung seine Mitarbeiterstamms anbelangt. "DV-Kurse, wie beispielsweise RPG III oder Datenbankdesign für die AS/400, gelten bei uns als reines Spezialistentum und werden nur im Rahmen eines Budgets kontrolliert. Die Mitarbeiter melden sich an und holen sich bei mir die Unterschrift. In solchen Fällen erfährt die Personalabteilung nicht einmal etwas davon."

Für eine weitere Verlagerung von Personalkompetenzen in die Fachbereiche ist der Frankfurter DV-Profi indes nicht zu begeistern. Die Fachvorgesetzten in seiner Abteilung haben zwar Vorschlagsrecht, aber keine Entscheidungsbefugnis. Dies empfindet er als sachgerecht. "Natürlich müssen die Abteilungsleiter auch Personalpflege betreiben, Mitarbeitergespräche führen oder Gehaltswünsche entgegennehmen". Doch schwerpunktmäßig sollten sie sich mit ihrer Facharbeit beschäftigen. Rau: "Damit sind sie mehr als ausgelastet."