Die virtuelle Welt des Fliegens

09.12.2002
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Für viele wird der Traum vom Fliegen hinter dem Knüppel der eigenen Maschine in der realen Welt wohl ein unerfüllbarer Wunsch bleiben. Dank Internet, moderner Rechner und ausgefeilter Simulationssoftware kann der Kindertraum aber virtuell erfüllt werden.

Langsam bewegt sich der Finger von der Maschine weg, im Hintergrund drehen die Düsentriebwerke hoch, und aus dem Lautsprecher krächzt die Stimme von Munic Ground Control „Hillair 8078, pushback, taxi to Runway 8R, cleared for EDDM to LFMN, fly heading 180“. Die umständliche Suche nach der passenden Tastaturkombination, um das Pushback - wie das Zurücksetzen des Flugzeuges aus der Parking-Position in der Fliegersprache heißt - einzuleiten, reißt den Piloten aus seinen Träumen. Er sitzt nicht im Cockpit eines Candair Jets auf dem Flug von München (Rufzeichen EDDM) in das sonnige Nizza (Rufzeichen LFMN), sondern an einem trüben Nachmittag vor seinem PC-Flugsimulator.

Foto: Microsoft
Foto: Microsoft

Wachsende Flugzeugflotte

Was vor knapp 15 Jahren im Zeitalter der 286er Prozessoren und monochromer Bersteinmonitore mit einer knatternden Cessna auf dem virtuellen Flughafen von Chicago begann, hat sich über Jahre zu einer komplexen Simulation der Zivilluftfahrt entwickelt, die selbst Flugschulen zur Ausbildung nutzen. Flogen die Piloten des ersten Microsoft-„Flightsimulator“ noch durch eine flache Welt mit Bauklötzchengrafik, so erwartet den virtuellen Flieger der aktuellen 2002er Version eine fotorealistische Landschaft mit Tälern und Bergen. Im Lauf der Zeit wuchs auch die Flugzeugflotte: Neben der Ursprungs-Cessna stehen heute Wasserflugzeuge, Business-Jets, Helikopter oder Düsenriesen wie die Boeing 747 im Hangar.

Maßgeblich zum Erfolg der Microsoft-Simulation im Vergleich zu anderen Produkten trug die Zubehörindustrie bei, die sich rund um den Flightsimulator entwickelte. Von Steuerpedalen, kompletten Steuerhörnern über Panel-Nachbildungen für Autopilot- und Navigationsinstrumente bis hin zu vollständigen Cockpit-Imitationen bekommt der Enthusiast fast alles - lediglich der Geldbeutel setzt Grenzen. Zahlreiche kommerzielle Zusatzszenerien bilden unter anderem mit der detailgetreuen Nachbildung von Flughäfen einen weiteren Reiz.

Diese grafische Aufwertung muss nicht immer Geld kosten. Bereits früh etablierte sich eine engagierte Gemeinde von Simulatorfans, die mit Hilfe von Microsofts Software Development Kits (SDKs) selbst neue Szenerien erschuf, an neuen Flugzeugen arbeitete oder die Flughäfen im Detail ausbaute.

Eine neue Ära begann für den Flugsimulator dann mit dem Siegeszug des Internets. Vorbei waren die Zeiten, in denen der PC-Pilot alleine mit seinem Jet durch die künstliche Welt düste. Über das globale Netz lädt er heute die aktuellen realen Wetterbedingungen und meldet seinen Flug bei der Flugsicherung an. Die Vereinigungen Virtual Air Traffic Simulation Network (Vatsim, 45.000 Mitglieder) und International Virtual Aviation Organization (Ivao, 30.000 Mitglieder) lotsen den Piloten durch den Luftraum. Und die Piloten selbst gründeten virtuelle Fluglinien wie etwa Fly Onyx oder Skyways VA, die in der Welt der Bits und Bytes regelmäßig zu Linienflügen starten.