Die Evolutionsstrategie zum Hochleistungsnetz

Die Migration zu ATM spart Endgeräte zunächst aus

11.10.1996

Anspruchsvollere Applikationen wie zum Beispiel ausgefeilte grafische Anwendungsprogramme oder die Bildverarbeitung werden in den nächsten Jahren ebenso wie die wachsende Leistungsfähigkeit der PCs zu einem erhöhten Bandbreitenbedarf am Arbeitsplatz führen. Die ständig wachsenden Möglichkeiten der Weitverkehrsnetze forcieren zudem den Einsatz von Anwendungen wie E-Mail und Edifact, die die Kommunikation mit Zulieferern, Kunden oder dem Außendienst gestatten. Die Anforderungen in der LAN- wie auch in der WAN-Kommunikation lassen demnach die benötigten Übertragungskapazitäten in Zukunft mehr und mehr in die Höhe schnellen.

Insbesondere der Integration der LANs in WANs müssen künftige Installationen gerecht werden. Die Anwender werden die Bereitstellung von Sicherheits- und Zugriffsmechanismen sowie die Erhöhung der Netzverfügbarkeit einfordern. Zudem ist absehbar, daß die dynamische Zuordnung von Bandbreite und die flexible Vereinbarung von Teilnehmerzugehörigkeiten zunehmend nachgefragt werden.

All diese Anforderungen erfüllt der Asynchronous Transfer Mode (ATM) mehr als alle anderen High-speed-Netze, denn er ist sowohl für die lokale als auch für die Weiterverkehrskommunikation konzipiert. Die bis in den Bereich von mehreren Gigabit/s skalierbare Bandbreite, die Integration von Sprache, Daten und Video sowie die Möglichkeit, weltweite virtuelle Netze mit benutzerspezifischen Verkehrsprofilen aufzubauen, machen ATM zu einer zukunftsweisenden Technologie.

Doch diese Funktionen sind heute noch Zukunftsmusik, denn es fehlen wichtige Standards. Einer Untersuchung des ATM-Forums zur Entwicklung des asynchronen Übertragungsverfahrens zufolge trauen 50 Prozent der Befragten der Technik beim Aufbau von LAN-Backbones in den nächsten zwei Jahren eine wichtige Rolle zu. 60 Prozent der vom Forum Angesprochenen glauben, die ATM-Technologie werde sich im Endteilnehmerbereich erst in den nächsten vier Jahren durchsetzen können.

Doch die Anforderungen an künftige Installationen führen nicht zwangsläufig zur Ausmusterung heutiger Netze. Die schrittweise Migration auf neue Technologien unter Nutzung vorhandener Strukturen ist erforderlich. Nur sie ermöglicht anwender- und insbesondere auch investitionsfreundliche Lösungen. Das Netz von heute muß auf Technologien von morgen vorbereitet werden, so daß es sich den steigenden Anforderungen je nach Bedarf anpassen läßt.

Für einen solchen Migrationsprozeß sind aber auch die entsprechenden Produkte erforderlich. Sie sollten bestehende Kapazitäten und neue Technologien wie etwa ATM gleichermaßen nutzen können. Die Hersteller sind also angehalten, auf- und abwärtskompatible Produkte und Produktgruppen zu entwickeln. Sie sollten zudem den Anforderungen einer langfristigen Migrationsstrategie entsprechen.

Folgende Schritte bieten sich für eine fließende und investitionsfreundliche Migration zu ATM-Installationen an:

Im Gelände- und Gebäudebereich, also dem Backbone, läßt sich die Migration zu höheren Bandbreiten einleiten, indem zentrale Router und Switches installiert werden. Häufig ist die Struktur mit zentralen Switches als Collapsed Backbone aufgebaut. Zur Hochgeschwindigkeitsanbindung der dezentralen Standorte bietet sich dann eines der High-speed-Ethernets mit einer Übertragungsrate von 100 Mbit/s als Full-Duplex-Variante oder Switched Ethernet an (vgl. Abbildung 1). Dazu werden aber in der Regel vielfaserige Lichtwellenleiter benötigt, deren Neuverlegung je nach Geländegröße teuer werden kann.

Eine Alternative ist das Erhöhen der Backbone-Geschwindigkeit oder die Verwendung dezentraler Internetworking-Komponenten. In einem solchen Distributed Backbone kommt gewöhnlich FDDI zum Einsatz (vgl. Abbildung 2). Sollte die FDDI-Übertragungsbandbreite von 100 Mbit/s nicht ausreichen, besteht auch hier die Möglichkeit, diese verteilte Backbone-Struktur als mehrere Subnetze oder als Collapsed FDDI-Backbone zu konfigurieren. Letzterer Fall erfordert zentrale Switches oder Router.

ATM wird mit einer Datenrate von 155 Mbit/s in Zukunft eine wichtige Alternative sein. Seine Leistungsfähigkeit kann es allerdings nur in Verbindung mit ATM-tauglichen Applikationen (Bandwidth on demand) und der Integration von Sprache und Daten voll ausspielen. Aufgrund der großen installierten Basis herkömmlicher LANs wird insbesondere dem Internet-Working in gemischten LAN- und ATM-Umgebungen mit Hilfe der LAN-Emulation oder der Spezifikation Multiprotocol over ATM (MPOA) eine wichtige Bedeutung bei der Netzwerkevolution zukommen (vgl. Abbildung 3). Bis zum Teilnehmer erfolgt der Datentransport via Shared oder Switched LANs, wobei der Einsatz dedizierter LANs kontinuierlich zunehmen wird. In Verbindung mit ATM lassen sich dann auch virtuelle Netze sinnvoll verwirklichen.

Bandbreitenprobleme im Endgeräteumfeld lassen sich umgehen, indem die Teilnehmerzahl je Subnetz reduziert wird. Die Stichworte heißen hier Group- oder Port-Switching, denn diese Verfahren teilen die verfügbare Bandbreite, beispielsweise 10 Mbit/s beim Ethernet, unter weniger Stationen auf. Kleine Subnetze mit maximal 30 Teilnehmern und dedizierte 10-Mbit/s-Lösungen pro Endgerät sind zudem erste Schritte auf dem Weg zu einer durchgehenden ATM- Verkabelung bis zum Arbeitsplatz.

Reicht eine Zerstückelung des Netzes dennoch nicht aus oder erfordern bestimmte Anwendungen schnellere Zugriffszeiten, als das installierte Verfahren liefern kann, hilft nur die Migration zu einem schnelleren Netz. Dann stehen dem Endgerät oder dem Server statt der 10 Mbit/s von Ethernet beispielsweise die 100 Mbit/s des FDDI- oder Fast-Ethernet-Verfahrens zur Verfügung. Dieser Vorteil wird allerdings teuer erkauft, denn jedes Endgerät benötigt ein neues Controller-Board.

In diesem Umfeld heute schon auf ATM zu setzen wäre jedoch verfrüht. Es gibt bis dato noch keine Applikationen, die die ATM- Eigenschaften wirklich nutzen. Zudem ist insbesondere der Betrieb von ATM-Installationen teuer, so daß der Einsatz im Endgerätebereich nur selten Sinn macht. Mit ersten standardkonformen Anwendungen ist ab 1997 zu rechnen. Frühestens 1998 werden diese dann verfügbar sein. In absehbarer Zeit wird es also gemischte Installationen geben, in denen dedizierte LANs die Teilnehmer versorgen und das Backbone Daten mit ATM- Geschwindigkeit verschickt.

Angeklickt

Wird die Bandbreite in der lokalen Netz-Installation knapp, hilft häufig schon eine Neustrukturierung. Die Verkleinerung der Teilnehmerzahl in einem Subnetz sowie die Installation zentraler Switches und Router beseitigt vorübergehend den Flaschenhals. In diesem Umfeld könnte ATM seinen Platz als Backbone-Technik finden. In absehbarer Zeit wird es das High-speed-Verfahren jedoch schwer haben, den Weg bis zum Desktop zu finden. Bis dahin dürfte das Bild der Netzinstallationen von einer Kombination der unterschiedlichen Übertragungstechniken geprägt sein.

*Bernd Kögler ist Leiter des Geschäftsbereichs Netzwerktechnik der Richard Hirschmann GmbH & Co. in Esslingen am Neckar.