Freie RZ müssen sich berufsständisch organisieren:

Die Konkurrenz der Schlafzimmerlocherinnen

02.09.1977

Buchführungsmonopole für Steuerberater; mittlere Datentechnik und Kleincomputer; freie Kapazität von Firmengroßrechenzentren; mangelnde Berufs- und Standesorganisation der Datenverarbeiter; weder Berufsbild noch Ausbildungsorganisation - Stichworte, die fragen lassen: Wo hat das freie Rechenzentrum seine Zukunft?

Das mühsame Dahinsiechen der freien Rechenzentren hat sich diese Branche im wesentlichen selbst zuzuschreiben. Die Vielfalt der Interessengruppen und Zielrichtungen von Herstellern, Anwendern und Vermittlern von Jobs hat es bisher verhindert, daß sich der Berufsstand "selbst findet".

Spektakuläre Pleiten und oft mangelhafte Vorkenntnisse von Berufsangehörigen tragen nicht zur Konsolidierung der Branche bei. Was ist zu tun, um dieser für eine leistungsfähige Wirtschaft lebensnotwendigen Branche zu dem Platz zu verhelfen, der ihr eigentlich zukommt?

Man sollte sich zunächst einig sein, was ein freies Rechenzentrum eigentlich ist. Das Wort "frei" sollte zunächst ersetzt werden durch das Wort "unabhängig". Unabhängig von Herstellern, von einem anderen Betrieb und dessen EDV-Anlage und von Interessens- und Berufsgruppen. Nur so ist eine echte, maximale und objektive Wettbewerbssituation gegeben.

Zunächst ist für ein praxisnahes, umfassendes und qualifiziertes Berufsbild zu sorgen, in dem sowohl der Berater und Organisator wie auch der Programmierer und Hardwarefachmann, ja eventuell sogar der Bilanzbuchhalter, Betriebsberater und Datenschutzbeauftragte seine Heimat finden könnte. Realisierbar sind diese Ziele nur durch eine starke und aktive Berufsorganisation. Österreich hat hier bereits vor vielen Jahren ein recht praktikables Muster geschaffen, indem es im Bereich der "Kammern der gewerblichen Wirtschaft" eine derartige Berufsgruppe schuf. Diese Kammer entscheidet über die Befähigung und Zulassung datenverarbeitender Unternehmen und kontrolliert diese.

Solange diese subjektiven Gefahren nicht gemeistert sind, sind die Rechenzentren den objektiven Gefahren chancenlos ausgeliefert. Welche aber sind nun diese "Todbringer"? Sie lassen sich im wesentlichen mit dem Begriff "unfreier Wettbewerb", verursacht durch Gesetzgeber und Kapazitätsüberhang, zusammenfassen.

In einer Fachzeitschrift wurde kürzlich der Tod der Rechenzentren durch die Minis prophezeit. Dabei wurde der Umsatzanstieg der Branche von (...)0 Millionen auf 1,4 Milliarden DM angegeben, also eine Umsatzsteigerung von mehr als 70 Prozent für eine "sterbende Branche". Eine weitere Zahl besagt, daß etwa 700 000 Firmen von Rechenzentren betreut werden, jedoch 600 000 indirekt über Steuerberater angeschlossen seien. Ursache dieser Situation ist das Steuerberatergesetz - die "Minis" sind es nicht.

Das freie Rechenzentrum wird immer den kürzeren Arm haben, wenn es bei einem Angebot mit dem Steuerberater des möglichen Auftraggebers im Wettbewerb steht. Obige Zahle bestätigen dies überdeutlich. Sie bestätigen aber auch, daß die Entscheidung des EDV-Kunden bei der Auftragsvergabe nicht von der Preis- und Leistungssituation, sondern nur vom "Vertrauen in den Berater" beeinflußt

wird. Damit werden dem Berater EDV-Kenntnisse unterstellt, die er aufgrund seiner Ausbildung gar nicht besitzen kann.

Die zweite "unfreie Wettbewerbssituation" resultiert aus den sogenannten freien Kapazitäten. Welchem Datenverarbeiter sind nicht jene Fälle bekannt, in welchen für eine Flasche Whisky und einen "Blauen" der Computer einer Firma noch ein paar Stunden länger läuft? Nur knapp 10 Prozent jener Firmen, welche ihre Dienste als Datenverarbeiter anbieten, haben eigene EDV-Anlagen zur Verfügung. Von den sogenannten "Schlafzimmerlocherinnen bis hinauf zu Sparkassen, Banken und Großkonzernen wird nebenbei EDV-Service angeboten. Selbst die (auch mit den Geldern der freien Rechenzentren finanzierten) kommunalen Rechenzentren nehmen recht gerne und auch weit unter Selbstkostenpreis (jede Mark ist Gewinn) Fremdaufträge entgegen.

Es mag sein, daß dieser und jener Rechenzentrumsgroßkunde auf einen "Mini" umsteigt. Diese Firmen waren aber nie die eigentlichen Rechenzentrumskunden. Es sind vielmehr meist Betriebe, welche die EDV-Umstellung durch Rechenzentrumsaufträge ausloten und Erfahrungen sammeln wollen.

Computer sind wie Musikinstrumente - man muß sie nicht nur besitzen, sondern auch beherrschen. Wer den EDV-Organisator, Programmierer, Operator und Hardwarespezialisten nicht zur Verfügung hat, wird bald zu der Erkenntnis kommen, daß er diese Leistungen rationeller und risikoloser beim Rechenzentrum einkauft.

Die Wirtschaftssituation der Zukunft und der rasche Prestigeverfall des Computers werden manches gebrannte Kind einer der verflossenen Computergenerationen in die Arme eines seriösen Rechenzentrums treiben. Die "Minis" können und werden dann Aufgaben übernehmen, wie die meisten Tischrechner mit 20 und mehr Funktionen, die dann doch nur vorwiegend zum Addieren und Multiplizieren eingesetzt werden, also Datenerfassungs- und Terminalfunktionen.

Nicht das Großrechenzentrum mit Mammutkapazität (wer hat heute schon zuwenig Kapazität?) wird der Partner eines gesunden Mittelstandsunternehmens sein, sondern das kleine, flexible Servicebüro, das notfalls auch einmal die Datenerfassung übernimmt und über Nacht Führungszahlen für die Konferenz am nächsten Tag ausdrucken kann.

An den Rechenzentren selbst und am Gesetzgeber wird es liegen, ob die Wirtschaft ferner genug und wettbewerbsfähige freie Rechenzentren zur Verfügung hat, um künftig bestehen zu können.

Umsatzsteigerungen von mehr als 70 Prozent und Kundenzugänge von beinah 100 Prozent sind Projektionen in die Zukunft.

*Andreas Mayer ist Geschäftsführer des abs Rechenzentrums in München