Knopfdruck statt Kreuzchen

Die Kölner stimmten per Wahlcomputer ab

17.09.1999
MÜNCHEN (uo) - Politisch brisant und technisch interessant war die Kölner Wahl am 12. September; der SPD war im Vorfeld ihr Spitzenkandidat abhanden gekommen, und sie verlor. Die Wahltechnik allerdings gewann das Vertrauen der Bürger. Sie stimmten per Knopfdruck auf Computern ab, Stimmzettel und Bleistift waren nur noch bei Briefwählern gefragt.

Die Spannung ist fühlbar, sie kribbelt auf der Haut: Das ist der Wahlsonntag im Kölner Wahlamt. Erhöhten Puls und nervöse Aufmerksamkeit ruft jedoch nicht nur der politische Entscheid hervor. Es geht auch um den Einsatz von elektronischen Wahlkabinen. Kommen die Wahlhelfer damit zurecht? Akzeptieren die Wähler das Medium? Fällt irgendwo der Strom aus? Müssen defekte Geräte kurzfristig ausgetauscht werden?

Der zuständige Projektleiter ist Ludger Ahrens-Beck, der stellvertretende Leiter des Kölner Wahlamts. Er ist sich sicher, daß alles wie am Schnürchen klappt. Immerhin gab es zur Europawahl am 13. Juni dieses Jahres bereits eine Generalprobe. Allerdings wurde damals in zehn Wahllokalen parallel noch mit Stimmzetteln gewählt. Damit wollte man überprüfen, ob die Bürger Bedienungsprobleme haben oder das Gerät ablehnen. Die Ergebnisse der elektronischen und der traditionellen Wahl erwiesen sich als deckungsgleich. Anders als bei der herkömmlichen Auszählung lagen die ersten Computerauswertungen wie auch zur Kommunalwahl bereits zehn Minuten nach Schließung der Wahllokale vor.

Das Wahlgerät "ESD 1" stammt von der niederländischen Nedap N.V., Groenlo. Es ersetzt den Stimmzettel, die Wahlurne und die Wahlkabine. Ausgestattet ist das 30 Kilogramm schwere Hard- und Softwaresystem im Koffer mit einem Motorola-Prozessor "68000", einem festverdrahteten, in C codierten Echtzeit-Betriebssystem und der auf Eprom gespeicherten Anwendung. Integriert ist außerdem ein Drucker, der auf einer Art Kassenbeleg das jeweilige Wahlprotokoll und -ergebnis ausdruckt, und ein Datenträger, der die Stimmen und das Ergebnis sowie die üblichen statistischen Angaben enthält. Während der Beleg in die Wahlunterlagen des Wahlvorstands eingeklebt wird, geht der Datenträger ins Wahlamt oder zu einer der anderen acht Bezirkszentralen. Dort gelangen die Daten von einem Nedap-Lesegerät in die angeschlossenen PCs und von dort auf den Großrechner. Der Wähler sieht eine Folie vor sich, die die papiernen Stimmzettel abbildet. Sie verdeckt eine Tastatur mit 1016 Knöpfen. Die Tastaturbelegung mit Kandidaten beziehungsweise Parteien muß für jede Wahl neu programmiert werden. Das übernimmt derzeit noch der Gerätehersteller in Absprache mit der Kölner Stadtverwaltung. Mit der Anpassung für die Wahl am 12. September, bei der über den Stadtrat, die Bezirksvertretung und den Oberbürgermeister abgestimmt wurde, waren drei Personen an fünf Tagen beschäftigt.

Die Wähler merken nichts von der Komplexität. Sie drücken lediglich auf das Kandidaten- oder Parteifeld, das sie ansonsten angekreuzt hätten. Gerade ältere Mitbürger, bei denen Akzeptanzprobleme befürchtet wurden, zeigen sich angetan. Bei der Wahl auf Tastendruck entfällt beispielsweise das lästige Eintüten in diverse Briefumschläge. Darüber hinaus steht eine Korrekturtaste zur Verfügung sowie ein Schalter für eine ungültige Wahl, sprich: Wahlenthaltung. Sind alle Eingaben gemacht, erfolgt die elektronische Abgabe, und das Gerät schaltet auf "gesperrt". Betritt ein anderer Wähler die Kabine, schaltet ein Wahlvorstand das Gerät frei.

Einer der Hauptgründe für die Einführung liegt laut Ahrens-Beck darin, daß es für die Stadt immer schwieriger geworden sei, qualifizierte Wahlvorstände zu bekommen. Auch in anderen Gemeinden ist es ein offenes Geheimnis, daß Wahlhelfer betrunken amtierten, Wahllokale verspätet öffneten oder zu früh schlossen, daß Wahlzettel am nächsten Tag unter Schultischen auftauchten und Auszählungen wiederholt werden mußten.

Das elektronische Wählen ermöglichte dem Kölner Wahlamt zu rationalisieren: Während bis dato 803 Wahllokale mit je sieben Wahlvorständen besetzt werden mußten, gab es jetzt bei 711000 Wahlberechtigten nur noch 600 Wahllokale mit je sechs Wahlhelfern. Zur Landtagswahl am 14. Mai 2000 soll sich die Personenzahl auf je fünf verringern. Da jeder Helfer eine Entschädigung von 50 Mark bekommt, der Schriftführer 80 Mark, spart die Stadt Köln bei den Personalkosten - bei der jetzigen Wahllokalbesetzung - rund 270000 Mark je Wahlgang.

Trotzdem amortisiert sich die Anschaffung der Geräte erst in zwölf bis 15 Jahren, so Ahrens-Beck. Die jetzige Ausstattung hat 4,6 Millionen Mark gekostet. Dazu kommen die Ausgaben für die Folien, für die derzeit pro Stück rund 20 Mark aufzuwenden sind. Die Kölner streben jedoch deren Fertigung in Eigenregie an. Außerdem bietet die Stadt die Wahlgeräte anderen Kommunen zur Miete an. Doch noch tragen beispielsweise Wahlamtsvertreter aus Saarbrücken, München, Frankfurt am Main und Hannover Skepsis zur Schau.