Hallbergmoos: Arbeiten neben dem Rollfeld

Die Kirche steht noch im Dorf

03.11.2000
Von VON Ingrid
Hallbergmoos vor den Toren Münchens im Landkreis Freising erlebte in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg: vom ärmlichen Dorf zum Hightech-Standort. Dort entstehen dank der unmittelbaren Nähe zum Flughafen jede Menge neuer Jobs.

Von der Beschaulichkeit und dem Charme eines kleinen Bauerndorfes ist in Hallbergmoos kaum noch etwas zu spüren. Solche Träumereien wälzen die im Minutentakt durch den Ort polternden Lastkraftwagen nieder, die Aushuberde abtransportieren und neue Baustoffe anliefern. Auslöser für den Aufmarsch der lautstarken Karawane war der Beschluss, einen Flughafen mitten in ein Sumpf- und Wiesengebiet zu bauen. In den 70er Jahren fiel die Entscheidung für den Flughafen-Neubau im Erdinger Moos. Zahlreiche Bürgerinitiativen versuchten jahrelang, den Bau zu verhindern - erfolglos. "Die Leute haben sich bis zuletzt gegen den Flughafen gewehrt", so Klaus Stallmeister, seit 1996 erster Bürgermeister der Gemeinde Hallbergmoos."Aber sie sind zweigleisig gefahren und haben sich gesagt: Wenn es schon nicht zu verhindern ist, wollen wir das Beste daraus machen." Mit dieser Schläue schaffte mancher Landwirt den Sprung in die Millionärsliga, denn ein Fünftel der

Flughafenfläche gehörte Einwohnern von Hallbergmoos. Der Nachbarort Franzheim hatte weniger Glück, denn er verschwand vollständig unter Rollfeld und Abfertigungshalle des Neubaus.

Mit dem Flughafen kamen auch die Jobs

Trotzdem ließ das neue Zeitalter noch auf sich warten. Erst 25 Jahre nach dem Beschluss der Bayerischen Staatskanzlei eröffnete der neue Münchner Flughafen am 17. Mai 1992 seine Gates.

Von anfänglichen Zweifeln am wirtschaftlichen Erfolg ist inzwischen nichts mehr zu spüren. Im ersten Halbjahr 2000 lag die Passagierzahl bei elf Millionen, bis Ende des Jahres sollen es insgesamt 23 Millionen sein. Mit der Fertigstellung des zweiten Terminals im Jahr 2003 sieht die Planung eine weitere Steigerung der Zahl von Fluggästen vor. Mit dem Flughafen kamen nach und nach die Jobs in die Region. Der Landkreis Freising ist stolz auf die niedrigste Arbeitslosenquote der Bundesrepublik. Insgesamt arbeiten am Flughafen 20 000 Menschen in circa 400 unterschiedlichen Unternehmen. "Vor 34 Jahren gab es keine geteerte Straße im Ort", erzählt der Bürgermeister. Die komplette verkehrstechnische Infrastruktur einschließlich einer S-Bahn-Haltestelle rückten den Ort ins Zentrum des Interesses von Investoren.

Anfangs setzten die Planer noch auf Logistikfirmen und sahen kaum Büros vor. Erste Bebauungspläne lagen 1985 auf dem Tisch. Bis die ersten Bürogebäude errichtet waren und die Mieter einzogen, vergingen noch einige Jahre.

Die Deutsche Grundbesitz-Investment GmbH (DGI), eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Bank, investierte kräftig in Bürogebäude. "Wir haben vorher intensive Studien in Auftrag gegeben und sahen das Flughafenumfeld als interessante Geldanlage an", so Christina Winckler von der DGI über die Pläne. Der erste Mieter, der Autohersteller Daewoo, zog im Oktober 1994 ein. Der Isar-Büro-Park der DGI umfasst heute41 000 Quadratmeter und verteilt sich auf drei Grundstücke. Seit 1998 sind alle Räume vermietet.

Allerdings herrschte vor dem großen Aufschwung eine Vermietungsflaute. "Mit der Wiedervereinigung verlagerte sich der Schwerpunkt in die neuen Bundesländer", so Stallmeister. "Viele kündigten die bereits gemieteten Büroräume wieder und wanderten ab." Dass anfangs viele Gebäude leer standen, war ein herber Rückschlag für den Standort. "Wir galten als Negativbeispiel unter den Gewerbegebieten", erzählt der Bürgermeister. "Allerdings schafften es die Vermieter, namhafte Unternehmen herzuholen." Mit einigen wohlklingenden Namen stieg das Interesse von weiteren Firmen, sich ebenfalls in Flughafennähe niederzulassen.

Der kalifornische Netzwerk-Hersteller Cisco Systems gründete 1993 zunächst seine Deutschlandzentrale in Unterschleißheim. 1996 zog das Unternehmen nach Hallbergmoos um. Die Nähe zum Flughafen war dabei ein wichtiges Argument. Heute arbeiten dort circa 250 Mitarbeiter, deutschlandweit sind es 700. In den nächsten zwei Jahren soll der Umsatz des Unternehmens auf mehr als das Doppelte klettern, und auch die Mitarbeiterzahlen werden kräftig steigen. Inzwischen liegen erste Pläne für einen Neubau in Hallbergmoos vor. Zum Preis von 60 Millionen Mark kaufte der Netzwerk-Primus eine Fläche von 96 000 Quadratmeter. Dort soll ein Cisco-Campus entstehen. 2002 soll der erste Bauabschnitt fertig gestellt sein und Arbeitsplätze für 2000 Account Manager, Systems Engineers sowie Marketing- und Finanzexperten bieten.

Cisco verpflichtete für die Planung des Campus den Reichstagsarchitekten Sir Norman Forster. Das gut gehütete Geheimnis um den Architekten fand schon vor der offiziellen Stellungnahme den Weg an die Öffentlichkeit.

Bürgermeister und Gemeinderat waren nicht gerade begeistert, dass ein Stararchitekt das neue Gebäude entwerfen soll. Sie befürchteten ein futuristisches Gebäude, das die Architekturfreaks begeistert, aber bei den eigenen Bürgern auf Ablehnung stößt und nicht in die Landschaft passt. Die Aufregung im Ort hat sich inzwischen wieder gelegt, denn der Projektleiter kam extra angereist, um sich das Grundstück anzusehen und mit dem Gemeinderat zu sprechen. Offenbar ist es ihm gelungen, die aufgeregten Gemüter wieder zu beruhigen.

Weiter Weg zur Arbeit

Auch SAP zog es nach draußen. Seit den 80er Jahren hatten die Walldorfer ein Büro in München, 1997 zogen sie nach Hallbergmoos um. Wie günstig das Mietangebot war, wollte Unternehmenssprecher Markus Berner nicht verraten. "SAP ist ein kostenbewusstes Unternehmen", so sein Kommentar. Inzwischen arbeiten die 320 Mitarbeiter in einem unternehmenseigenen Neubau. Von den 11 500 Quadratmetern Gesamtfläche ist derzeit ein Teil untervermietet, aber die Softwareschmiede geht von einem steigenden Beratungsbedarf aus. Für eine personelle Aufstockung bietet das Gebäude noch jede Menge Platz. Neben einer kleinen Entwicklungsabteilung kommen die meisten Mitarbeiter aus dem Beratungs- und Vertriebsbereich. Die Flughafennähe und gute Autobahnanbindung waren auch hier entscheidende Argumente.

Im Juli dieses Jahres eröffnete die Beratungsgesellschaft KPMG ihr zweites europäisches E-Business-Kompetenzzentrum in Hallbergmoos. Für das Solution Center in Stockley Park bei London und den Standort in Hallbergmoos investierte der neue "Gewerbebürger" insgesamt 27,5 Millionen Dollar. Entscheidend bei der Standortwahl war vor allem die Nähe zu Cisco Systems und SAP. Auf den mehr als 1000 Quadratmetern Bürofläche sollen mit den Technologiepartnern neueE-Business-Lösungen entstehen. Bis Ende des Jahres möchte KPMG dort 650 E-BusinessExperten beschäftigen.

Allerdings löst der Standort nicht bei allen dort angesiedelten Unternehmen Begeisterungsstürme aus. Der Internet-Buchhändler Amazon beschäftigt 200 Mitarbeiter im dortigen Industriegebiet. Besonders glücklich ist Pressesprecher André Schirmer nicht über den Standort. "Die Entscheidung traf noch Telebuch aus Regensburg vor der Fusion." Besonders für Pendler aus München, die mit der S-Bahn anreisen, ist es ein weiter und umständlicher Weg zur Arbeit. Die S-Bahn-Haltestelle liegt einige Kilometer von Industriegebiet und Ortskern entfernt auf der grünen Wiese. Ein Bus bringt die Mitarbeiter an ihre Arbeitsstätten. Nachdem Amazon erst kürzlich in Bad Hersfeld ein Logistikzentrum fertig gestellt hat, plant das Unternehmen keinen weiteren Neubau. "Wir wachsen ständig weiter; irgendwann sind die Kapazitäten hier erschöpft", so Schirmer. Neben dem Industriegebiet wächst auch die Gemeinde. Gerade bei Flughafenangestellten ist der

Ort beliebt. Deshalb mischt die Verwaltung bei der allgemeinen Bauwut ebenfalls mit. Neben einem neuen Rathaus möchte Bürgermeister Stallmeister den zugereisten Neubürgern eine interessante Infrastruktur bieten. Dazu gehören ein Sport- und Freizeitpark, ein Bürgerzentrum, ein Kinderhort und eine neue Schule. Eine neue Gemeindehalle und eine Kläranlage sollen folgen. "Wir möchten etwas für die Lebensqualität der Menschen hier tun", so Stallmeister. Dafür investieren wir 100 Millionen in den nächsten Jahren." Derzeit leben circa 7000 Einwohner im Ort. Lebens- und Wohnmöglichkeiten für insgesamt 15 000 bis 20 000 Menschen hält der Bürgermeister für eine realistische Schätzung für die kommenden Jahre. Durch den Flughafen und die Lärmschutzauflagen sind die möglichen Baugebiete jedoch deutlich eingeschränkt. Nicht jeder möchte unbedingt in der direkten Einflugschneise wohnen. Selbst in den kurzen

flugfreien Zeiten kehrt nicht wirklich Ruhe ein. Eine Wartungsfirma für Flugzeuge sorgt mit Triebwerksprobeläufen auch nachts für zusätzlichen Lärm.

Hallbergmoos gehört nicht nur zu den jüngsten Gemeinden mit einem Durchschnittsalter von 34,8 Jahren, sondern vermutlich auch zu denen mit den höchsten Steuereinnahmen pro Kopf. Die Spanne der Gewerbesteuereinnahmen bewegt sich zwischen drei und 40 Millionen Mark im vergangenen Jahr. Nicht schlecht für ein ehemals ärmliches Dorf.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München