Supply-Chain-Management/Überblick über den Markt für Supply-Chain-Management-Software

Die einstigen Stars sind verblasst

18.04.2003
Nach dem Boom zur Jahrtausendwende wird der Markt für Supply-Chain-Management-Software nun von heftigen Turbulenzen geschüttelt. Statt Wachstumsraten von 20 und mehr Prozent mussten einige Anbieter für 2002 Umsatzeinbußen in mindestens derselben Höhe hinnehmen. Galten in der Vergangenheit i2 und Manugistics als die Marktführer, sorgen inzwischen andere Anbieter für positive Schlagzeilen. Von Jakov Cavar und Christian Glas*

Das Geschäft mit Lösungen zur integrierten Optimierung der Lieferkette stellte in den vergangenen Jahren einen der wichtigsten Wachstumsträger im Software- und IT-Services-Markt dar. Steigerungsraten von mehr als 20 Prozent waren in den Boomjahren um die Jahrtausendwende die Regel. Noch zu Beginn des vergangenen Jahres sprach vieles dafür, dass Lösungen für das Supply Chain Management (SCM) der allgemeinen Branchenkrise widerstehen würde.

Doch zur Jahresmitte erlebte auch dieser Markt einen deutlichen Einbruch; spät, aber nicht minder heftig wurde er von der IT-Krise getroffen. Nach Hochrechnungen von Pierre Audoin Consultants (PAC) sanken die Umsätze für Softwarelizenzen und -wartung in Deutschland zwischen 2001 und 2002 um sieben Prozent auf 185 Millionen Euro. Gleichzeitig verringerte sich das Volumen des Projektgeschäfts (IT-Beratung, -Implementierung und -Integration) um schätzungsweise drei Prozent auf 510 Millionen Euro.

Auch das laufende Jahr wird klar hinter den Erwartungen zurückbleiben. PAC erwartet eine langsame Erholung des Markts ab Mitte des Jahres - aber nur dann, wenn sich die deutsche Wirtschaft insgesamt ein wenig erholt, wovon die Wirtschaftsprognosen derzeit ausgehen. In diesem Fall wäre ein Wachstum von fünf Prozent für den Softwaremarkt und von sieben Prozent für das Projektgeschäft erzielbar. Unsicherheitsfaktoren wie die Auswirkungen des Irak-Kriegs bleiben jedoch bestehen.

Trotzdem sind die mittel- und langfristigen Perspektiven für den SCM-Markt positiv: Der Einbruch lässt sich in erster Linie auf die vo-rübergehend geringe Investitionsbereitschaft seitens der Anwender zurückführen; die Projekte wurden nicht abgesagt, sondern nur verschoben. Aufgrund des Nachholbedarfs ist mittelfristig wieder mit einer Belebung des Marktes zu rechnen. Schon 2004 sollte er wieder mit zweistelligen Raten wachsen.

Im Spannungsfeld zwischen extremem Wachstum, drastischem Markteinbruch, Marktkonsolidierung und erneuter Wachstumsperspektive hat sich die Vielzahl der Anbieter von SCM-Lösungen sehr unterschiedlich entwickelt. Sowohl die Gewinner als auch die Verlierer des Jahres 2002 hatten in letzter Zeit einen Veränderungsprozess zu durchlaufen. Um die unterschiedliche Performance der SCM-Anbieter auf dem deutschen Markt zu verstehen und die von ihnen eingeleiteten Maßnahmen nachvollziehen zu können, müssen die Ursprünge der unterschiedlichen Marktteilnehmer betrachtet werden. Dabei wird schnell klar, dass die als Marktführer deklarierten Anbieter i2 und Manugistics mit ihrem Lösungsportfolio nur einen Teil von SCM abdecken. Ihnen stehen viele andere Hersteller gegenüber, deren Angebote die Spannbreite des SCM-Marktes erst komplettieren.

Der Markt steht auf zwei Säulen

Grundsätzlich lässt sich der SCM-Markt in zwei Hauptsegmente gliedern: Supply Chain Planning (SCP) und Supply Chain Execution (SCE). SCP-Lösungen zielen auf die strategische Ebene ab und ermöglichen die simultane Planung von Beständen, Materialflüssen und Kapazitäten in Beschaffung, Produktion, Absatz, Distribution und Transport für die gesamte Lieferkette. Darüber hinaus zählt PAC hierzu auch Lösungen und Funktionen für die Modellierung der logistischen Infrastruktur.

Der SCE-Bereich stellt die operative Ebene des Supply-Chain-Managements dar. Hier geht es um die Abwicklung und Kontrolle der Kunden-, Bestell-, Produktions- und Transportaufträge im Supply-Chain-Netz. Auch Logistiklösungen und Lagerverwaltungssysteme fallen in diesen Bereich. Last, but not least lässt sich das Supply-Chain-Event-Management aufgrund seines Echtzeitcharakters ebenfalls dem SCE-Sektor zuordnen. (Näheres hierzu verrät der Beitrag auf Seite 38.)

Im Prinzip sind alle reinen SCM-Anbieter eindeutig einem der beiden Bereiche zuzurechnen. Schwieriger wird es bei den Unternehmen, die ihre Wurzeln im Enterprise Resource Planning (ERP) haben. Sie bieten in der Regel Lösungen für SCP und für SCE an. Deshalb beanspruchen sie häufig für sich, das breiteste SCM-Portfolio zu besitzen.

Eine Besonderheit des Supply-Chain-Planning-Segmentes liegt in der hohen Marktkonzentration: Die beiden Anbieter i2 und Manugistics trugen entscheidend dazu bei, dass sich das SCM-Konzept zu einem Wachstumsmotor innerhalb des Software- und IT-Services-Markts entwickelte. Daneben spielt auf deutscher Ebene die Wassermann AG aus München (mittlerweile von Swisslog übernommen) eine wichtige Rolle.

Durch ihre Fokussierung auf SCP und ihre lange Erfahrung verfügen i2 und Manugistics über das tiefste Angebot in diesem Bereich. Beide fahren eine internationale Strategie und wenden sich vor allem an Großunternehmen. Wassermann hingegen positioniert sich als lokaler Anbieter mit speziellem Know-how bei mittelständischen Fertigungsbetrieben und der Pharmabranche.

Pragmatismus im Kommen

Typische SCP-Projekte sind charakterisiert durch hohe Komplexität, aufwändige Implementierung sowie eine lange Amortisationszeit. Genau diese Art von Projekten wichen im vergangen Jahr einer pragmatischeren Vorgehensweise mit kleineren, modularen Vorhaben, die eine schnellere Rentabilität versprachen. Diese Entwicklung traf vor allem i2 und Manugistics hart. Zudem hatte i2 wegen Massenentlassungen und angeblich unsauberer Bilanzierungsmethoden mit einer schlechten Presse zu kämpfen und musste auch noch den Markteinbruch einer seiner Hauptzielgruppen, des Hightech-Sektors, verkraften. Deshalb dürften die deutschen Umsätze von i2 im vergangenen Jahr um etwa 60 Prozent abgenommen haben. Wassermann hingegen erzielte - aufgrund der Kombination aus kurzen Realisierungszeiten und geringeren Projektkosten - sogar ein leichtes Wachstum.

Während das SCP-Konzept erst Ende der 90er Jahre einen starken Auftrieb erfuhr, ist der SCE-Markt wesentlich reifer. Neben den internationalen Marktführern Manhattan Associates, EXE Technologies und Catalyst spielen in Deutschland insbesondere die Anbieter Inconso (aus einem Management-Buyout entstandener Nachfolger der Heyde AG) und PSI Logistics eine wichtige Rolle. Daneben existiert eine Vielzahl kleiner und lokal oder auf Branchen beziehungsweise Themen spezialisierter Anbieter. Konkurrenz erhalten sie auch durch Logistik- und Warehouse-Experten wie Swisslog oder Siemens Dematic.

ERP-Anbieter mischen mit

Wegen der geringeren Projektgröße und der schnelleren Rentabilität war der SCE- Bereich wesentlich weniger vom Markteinbruch des vergangenen Jahres betroffen als der SCP-Sektor. Die hier vertretenen Anbieter können ebenfalls einen Technologievorsprung gegenüber den ERP-Anbietern vorweisen, der sich unter anderem in der Funktionstiefe der Lösungen manifestiert. Daneben kommt ihnen zugute, dass sie meist ein tieferes Know-how bezüglich der logistischen Prozesse mitbringen.

Die SCM-Komponenten von ERP-Anbietern haben ihren Ursprung im Material Requirements Planning (MRP) der frühen 70er Jahre. Dabei ging es um die material- und mengenbezogene Produktionsplanung und -steuerung (PPS). In den 80er Jahren wurde dieses Konzept um die Kapazitätsplanung (MRP II), in den 90ern um die finanzielle Bewertung der Materialien und Mengen (ERP) erweitert. Als SCM-Lösungen sind aber erst die Komponenten zur Auftragsabwicklung und -kontrolle sowie die auf dem MRP-II-Ansatz aufbauenden Systeme für Advanced Planning and Scheduling (APS) zu verstehen, die allerdings derzeit nur etwa jeder fünfte ERP-Anbieter tatsächlich im Portfolio hat.

Die ERP-Spezialisten mit SCM-Werkzeugen lassen sich wiederum in zwei Gruppen einteilen: Große, international agierende Softwareunternehmen wie SAP, J.D. Edwards, Peoplesoft, Baan, Oracle, Intentia und IBS bieten ein umfassendes SCM-Portfolio an, das sowohl SCE- als auch SCP-Werkzeuge umfasst. Zumeist werden diese Komponenten als Add-ons zu den eigenen ERP-Systemen verkauft, manchmal auch als Stand-alone-Lösungen.

Die Wettbewerbsvorteile dieser Anbietergruppe liegen im Kundenzugang über die ERP-Installationsbasis. Davon profitiert in Deutschland selbstverständlich vor allem die SAP. Im Augenblick lässt sich ein starker Trend weg von Best-of-Breed- und hin zu integrierten ERP-Lösungen beobachten. Ein Grund dafür ist, dass die ERP-Anbieter im Hinblick auf die Funktionstiefe den Abstand zu den Spezialisten verkürzen und zugleich mit dem Thema Integration punkten konnten.

Die mittelständischen ERP-Spezialisten offerieren in der Regel keine Stand-alone-Lösung; einige haben jedoch Logistik- und APS-Komponenten in ihre Suite integriert. Die für den deutschen Markt wichtigsten Anbieter sind Infor, Pro-Alpha, AP AG, PSI, CSB-System und Soft M. Diese Anbieter haben sich auf bestimmte Branchen oder Subbranchen, meist im Manufacturing-Umfeld, spezialisiert und versuchen, mit ihren integrierten Lösungen branchenspezifische Prozesse abzubilden.

And the winner is ...

Der große Gewinner auf dem deutschen SCM-Markt war im vergangenen Jahr die SAP. Zwar konnte das Walldorfer Unternehmen seine Umsätze mit SCM-Software kaum steigern, doch vergrößerte es seinen Marktanteil deutlich auf 35 Prozent. (Diesen scheinbaren Widerspruch lösen Konkurrenten und Analysten dahingehend auf, dass viele Anwender der SCM-Module keine nennenswerte Nutzungsgebühren an SAP entrichten, Anm. d. Red.)

Der SAP-Erfolg ging vor allem zu Lasten von i2 und Manugistics. Die Walldorfer nutzten dabei ihre ureigensten Stärken: die große Installationsbasis des Core-Produkts R/3, die finanzielle Stabilität des Unternehmens sowie die Möglichkeit, Marktschwankungen durch die Breite des Portfolios und die Präsenz in nahezu jeder Branche auszugleichen. Außerdem gelang es ihnen, den Technologievorsprung der Spezialisten stark zu verringern.

Auf der Gewinnerseite finden sich auch Manhattan Associates und Wassermann. Die Amerikaner, die übrigens nicht aus New York, sondern aus Manhattan Beach in Kalifornien stammen, haben es 2002 geschafft, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Dabei kamen ihnen im Wesentlichen zwei Faktoren zugute: Es gibt derzeit eine verstärkte Nachfrage nach SCE-Lösungen, weil sie sich schnell auszahlen. Zudem war der wichtigste deutsche Anbieter im SCE-Umfeld, die Heyde AG, in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Zum Erfolg beigetragen hat sicher auch, dass der Markteintritt nicht mit der für amerikanische Anbieter typischen aggressiven Vertriebsstrategie, sondern fast schleichend, unter Berücksichtigung der lokalen Bedürfnisse, erfolgte.

Fokussierung auf den Mittelstand

Mit der Inconso AG existiert inzwischen ein finanziell stabiler Nachfolger der Heyde AG, der durch die Übernahme der alten Heyde-Kunden eine solide Marktposition innehat und ausbaut. Doch Inconso erzielt den Großteil seiner Umsätze mit Beratungsleistungen, während Manhattan Associates wesentlich stärker auf Standardsoftware setzt.

Wassermann zählt zwar das eine oder andere Großunternehmen zu seinen Kunden, der Fokus des Unternehmens liegt aber bei mittelständischen Betrieben im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Kfz-Zulieferindustrie und der Pharmabranche. Diese klare Fokussierung zieht ein gutes Verständnis für die jeweiligen Geschäftsprozesse nach sich und senkt sicherlich den Entwicklungsaufwand.

Als Lösungsanbieter sieht Wassermann seinen Schwerpunkt - anders als i2 und Manugistics - nicht in der Software. Vielmehr arbeitet der in München beheimatete Anbieter mit einer Kombination aus Tools sowie Prozess- und Softwareeinführung. Der reine Softwareumsatz macht nur etwa 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus (bei i2 und Manugistics liegt er bei über 80 Prozent). Ein leichtes Umsatzwachstum und die damit verbundene Steigerung des Marktanteils im vergangenen Jahr lassen sich in erster Linie auf das Business-Modell zurückführen, das für die Bedürfnisse des Mittelstands maßgeschneidert ist und auch den Großen der Branche als Beispiel dienen könnte: Das Engelt, das der Kunde zu entrichten hat, orientiert sich anteilig an der im Vorfeld definierten Zielerreichung. (qua)

*Jakov Cavar und Christian Glas sind Berater bei Pierre Audoin Consultants (PAC) in München, wo sie derzeit an einer neuen Marktstudie über den SCM-Markt in Deutschland arbeiten.

Die Top-Anbieter in Deutschland

Rang / Unternehmen / Nationalität / Umsatz* / Marktanteil in Prozent

1 / SAP / Deutschland / 64 / 352 / i2 / USA / 15 / 83 / Manugistics / USA / 7 / 44 / PSI / Deutschland / 3,5 / 25 / Wassermann / Deutschland / 3,5 / 2/ Gesamtmarkt / 185

*in Millionen Euro; nur Lizenz- und Maintenance-Ausgaben

Quelle: PAC GmbH

Abb: Der deutsche Markt für SCM-Software

Planungs- und Ausführungs-Tools stehen für die beiden Hauptausprägungen des SCM-Markts. Dazwischen bewegen sich die ERP-Anbieter. Quelle: Pierre Audoin Consultants