Von der Standbildübertragung bis zum Business TV, Teil 2

Die Bildverarbeitung orientiert sich zunehmend am Medienbereich

30.08.1991

Technische Fortschritte erlauben es den Anwendern aus diversen Branchen bereits heute, sich der Bildverarbeitung als Bestandteil der Bürokommunikation zu bedienen. Zunehmende Bedeutung gewinnt dabei der Medienbereich - repräsentiert durch das Business-TV (BTV). Dirk Nouvortne* beschreibt im folgenden Artikel die verschiedenen Bildübertragungsmöglichkeiten mit ihren betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Potentialen.

Videokonferenzen führen bei bestimmten Geschäftsreisen - vor allem solchen, die zum Zweck relativ kurzer Besprechungen über größere Entfernungen durchgeführt werden müssen - zur Reduzierung direkter Reisekosten (Fahrtkosten, Tageskosten etc.) sowie indirekter Reisekosten (verfügbare Arbeitskapazität). Die Gesamtkosten für einen Besprechungsteilnehmer ergeben sich aus den Fahrtkosten für das gewählte Verkehrsmittel einschließlich etwaiger Zubringer (Taxi etc.), dem Tagesgeld (und gegebenenfalls Übernachtungskosten) sowie den mit den Verlustzeiten multiplizierten Arbeitskosten. Als Verlustzeit ist die Abwesenheit vom eigenen Arbeitsplatz abzüglich der tatsächlichen Besprechungsdauer anzusetzen. Außerdem sind Rüstzeiten im Zusammenhang mit der Reise anzusetzen.

Nicht alle Besprechungen lassen sich durch Videokonferenzen substituieren. Besprechungen mit ausgeprägtem "politischen" Charakter sollten nach wie vor persönlich geführt werden. In der Regel fallen hier vor allem Besprechungen auf Top-Management-Ebene darunter. Dort jedoch, wo Besprechungen zur innerorganisatorischen Abstimmung dienen beziehungsweise bei Konferenzen mit ausgeprägtem Beratungscharakter, zum Beispiel Experten-Hearings, anstehen, bietet sich der Dienst an. Potentielle Anwendungsfelder sind Routinekonferenzen, Objektbewertungen, sachorientierte Beratungen und Schulungen.

Ein herausragendes Kennzeichen von Videokonferenzen ist der Punkt-zu-Punkt-Charakter. Im Fall einer Punkt-zu-Mehrpunkt-Beziehung spricht man von einer Broadcast-Anwendung. Einsatzgebiete sind hier vor allem Schulungen und Seminare, die an verschiedenen Orten empfangen werden. Hier lassen sich in besonderem Maße Reisekosten einsparen. Allerdings werden je nach Größe der Zuhörergruppe größere Anforderungen an die Studiotechnik gestellt. Moderne Varianten im Zusammenhang mit dem Einsatz der Videokonferenztechnik für Schulungszwecke versuchen eine echte Schulungssituation nachzuempfinden, etwa indem sich ein Zuhörer bei dem Referenten bemerkbar macht und anschließend auf den fragestellenden Teilnehmer eine Kamera gerichtet wird, so daß der Referent Sichtkontakt hat.

Business-TV nutzt als Trägermedium Satelliten

Letzte Bildkommunikationsanwendung ist das Business-TV. Stand bei der Videokonferenz vor allem der interaktive "Just-in-time-Charakter" im Mittelpunkt der Anwendung, ist es beim BTV vor allem der Programmcharakter. BTV ist vom Ansatz her eine Art Privatfernsehen, gesendet und produziert beispielsweise von Großunternehmen beziehungsweise Unternehmensverbänden zum Zweck innerbetrieblicher oder Kunden-Information. Bedingt durch die Liberalisierung im Telekommunikationswesen, bleibt es nicht mehr nur den öffentlichen und privaten Fernsehunternehmen überlassen, TV-Programme auszustrahlen. Live-Übertragungen und Studioproduktionen sind mit den Möglichkeiten des BTV realisierbar. Punkt-zu-Punkt- und Punkt-zu-Mehrpunkt-Verbindungen sind möglich. Als Trägermedium für sie agieren Satelliten, die für eine räumlich weite Verbreitung sorgen.

Technische Voraussetzung ist ein Fernsehstudio in der Unternehmenszentrale oder ein mobiles Übertragungsstudio (Ü-Wagen). Von hier werden die Signale an eine Erdfunkstelle der Telekom übertragen, die sie über die Orbitalstation (Uplink) an die Empfangsstationen weiterleitet. Neben den stationären Erdfunkstationen sind auch mobile Einheiten einsetzbar, die im Rahmen des "Satellite News Gatherings" (SNG) zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um Erdfunkstellen, wie sie während des Golf-Krieges zum Einsatz gekommen sind, beziehungsweise um vollausgerüstete Lkw-Produktions- und Übertragungsinstallationen.

Der Empfang der Fernsehsignale erfolgt in der Regel über Satellitenempfangsanlagen, wie sie auch für den privaten Fernsehempfang eingesetzt werden (Downlinks). Der Antennendurchmesser beträgt dabei zwischen 0,9 und 1,5 Meter. Zur vertraulichen Kommunikation ist die Verschlüsselung der Übertragungssignale möglich.

Live-Übertragungen unterscheiden sich in vielfältiger Weise von Aufzeichnungen. Live-Produktionen erfordern eine tiefgehende Kenntnis und Erfahrung in der Fernsehproduktionstechnik. Der Zuschauer verfügt über große Erfahrung mit dem Fernsehen, daß nahezu alle Regeln des Öffentlichen Fernsehens auf BTV-Sendungen zu adaptieren sind, sollen die Produktionen erfolgreich sein und ihr Ziel erfüllen. Amateurhaftes Agieren schadet dem Ziel. Bei der Kostenbetrachtung muß damit auch der Notwendigkeit Aufmerksamkeit geschenkt werden, eigens geschultes Personal und Produktionseinrichtungen vorzuhalten.

Vor diesem Hintergrund sollte man im Anwenderunternehmen Überlegungen anstellen, zumindest bei nicht regelmäßigen Sendungen, auf entsprechende Dienstleistungen professioneller Unternehmen zurückzugreifen, die sich dabei nicht nur auf die technische Beratung und Ausführung konzentrieren, sondern auch den kreativen, präsentationsbezogenen Bereich umfassen können (unter anderem Regisseure und Cutter).

Diese Art des "Outsourcings" erscheint bei den notwendigen Investitionen im Verhältnis zum Nutzen ohnehin die sinnvollere Vorgehensweise im Rahmen von BTV zu sein.

Dies leitet über zu den potentiellen Anwendungen und dem prognostizierten Nutzen von BTV. BTV bietet sich an bei

- simultanen technischen oder vertriebsbezogenen Schulungen an mehreren Orten,

- innerbetrieblicher, flächendeckender Information durch das Management,

- Produktpräsentationen beziehungsweise Servicedarstellungen sowie Werbung und

- im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit.

Folgende Anwendung läßt sich im Versicherungswesen aus dem Bereich Produkt-Marketing vorstellen: Ein Versicherungsunternehmen kann mittels BTV einer Reihe zugeschalteter Industrieunternehmen, beispielsweise aus dem chemischen Bereich, Informationen zum Thema "Umwelthaftpflicht" mit Videoeinspielungen über Präzedenzfälle zukommen lassen. Der Erfolg eines derartigen Programms hängt dann nicht nur von den flankierenden Maßnahmen des Akquisitionspersonals ab, sondern maßgeblich auch von der kreativen Präsentation des Programms. Entscheidend ist, daß Medienprofis hinzugezogen werden müssen.

Der Nutzen von BTV liegt vor allem in

- der Verbesserung der Produktivität des Managements,

- dem Verkürzen von Entscheidungsprozessen,

- der schnelleren Einführung von Produkten auf dem Markt,

- der schnellen und gleichzeitigen Schulung von räumlich entfernten Mitarbeitern und

- der Erweiterung der Corporate Identity von Unternehmen über weite räumliche Entfernungen.

Für BTV gibt es bisher kaum Anwendungsbeispiele

Im Bereich von BTV lassen sich je nach Häufigkeit und Intensität des Einsatzes mehrere Stufen unterscheiden. Zunächst zu nennen sind die Ad-hoc-Services.

In diesem Fall werden für einmalige Sendungen die Übertragungs- und Produktionseinrichtungen gemietet, etwa anläßlich von Tagungen in Hotels oder bei Unternehmen, wo das Equipment temporär installiert wird.

Wenn ein räumlich weit verstreutes Unternehmen ständig BTV-Equipment einsetzt, kommen als zweite Möglichkeit private Netzwerke in Betracht.

Drittens ist ein Programm-Netzwerk denkbar; es zielt mehr auf eine Branche beziehungsweise auf einen Industriezweig als auf die Nutzung durch eine einzelne Unternehmung.

Business-TV steht als neue Technologie noch am Anfang, so daß es noch nicht sehr viele Anwendungsbeispiele gibt. Mit der Implementierung breitbandiger Übertragungswege und deren flächendeckender Verbreitung wird BTV wie auch die anderen Bildübertragungstechniken, zunehmend Bestandteil einer modernen Bürokommunikationsinfrastruktur.

*Dirk Nouvortne ist Abteilungsleiter für Büro/Telekommunikation beim Gerling-Konzern in KöIn.