Supply-Chain-Management (SCM)/Supply-Chain-Management im Wandel der Zeit

Der weite Weg von EDI bis zum B-to-B

08.03.2002
Hersteller, Lieferanten, Partner, Händler und Importeure elektronisch anzubinden ist seit mehr als 20 Jahren eine Herausforderung für viele Unternehmen. Dank des Internet lassen sich heute anstelle von Eins-zu-eins-Verbindungen mit vergleichsweise wenig Aufwand komplexe Netze für den Informationsaustausch einrichten. Von Mattias Drefs*

In den 80er Jahren legten Forschung und Unternehmen den Schwerpunkt ihrer IT-Aktivitäten erstmals auf die Unterstützung unternehmensinterner Prozesse. Dabei entwickelten sie für einzeln betrachtete Probleme ebenso isolierte Lösungen. Die Fragen lauteten etwa: Welche Losgrößen sind optimal? Wie lässt sich die Rüstzeit von Maschinen minimieren? Was ist nötig, um Rechnungen zeitnah zu erstellen? Auf welche Weise sollten Waren im Lager abgelegt werden, damit die Ein- und Auslagerungszeiten schrumpfen? Jeder dieser Ansätze hat zu einer optimalen Lösung im jeweiligen Bereich geführt, aber die Summe der einzelnen Suboptima führte nicht zu einem Gesamtoptimum.

Dieses Problem ließ sich mit Shop-Floor-Automation und Leitständen beziehungsweise mit dem "MPR-II"-Ansatz lösen (MRP = Material Resource Planning). Letzterer verknüpfte Fertigungsanwendungen mit Dispositionssystemen, Lagerprogrammen sowie Beschaffungs- und Vertriebssystemen. Somit ließen sich Material- und Informationsfluss erstmals gleichzeitig abbilden und die Nachfrage mit dem Bedarf verbinden.

Die Grenzen dieser Systeme zeigten sich jedoch, als es darum ging, die einzelnen Transaktionen eines Unternehmens finanziell zu bewerten. Monatliche Inventurlisten, Lieferscheine und Rechnungen mussten dafür einzeln in die Buchhaltungssoftware eingegeben werden. Ein Controlling aus dem System heraus war nicht möglich. Folglich konnte die Finanzbuchhaltung die gewünschten Informationen nur mit zeitlicher Verzögerung liefern.

Betriebswirtschaftlich nicht tragbarAus diesem Grund wurden zu Beginn der 90er Jahre integrierte Systemlösungen entwickelt. Das war die Geburtsstunde der ERP-Systeme. In der Folge versuchten die Großunternehmen, ihre wichtigsten Lieferanten zügig in die bestehenden Systeme zu integrieren. In den Fokus rückte damals schon der Gedanke des Supply-Chain-Management (SCM), also der integrierten Betrachtung der gesamten Lieferkette über alle Ebenen. Wenn die betriebsinternen Prozesse zwischen einzelnen Werken optimierbar waren, so der Tenor, dann sollte wohl auch die Integration mit den Geschäftspartnern gelingen.

Eines der wichtigsten Werkzeuge hierfür war der Handelsdatenstandard Electronic Data Interchange (EDI). Diese Technik fand vor allem in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern eine gewisse Verbreitung. Für ihren Einsatz wurde eine Eins-zu-eins-Kommunikation zwischen den Unternehmen aufgebaut. Es war genau festzulegen, welches Kommunikationsprotokoll und welche Form der Anwendungspräsentation zum Einsatz kommen und in welchem Format sowie mit welcher Frequenz die Daten übertragen werden sollten.

Doch der Traum vom effizienten Liefernetzwerk erfüllte sich nicht. Die Vielzahl der Parameter erfordert einen so hohen Abstimmungsaufwand, dass ein solches System jeder betriebswirtschaftlichen Kalkulation zuwider lief. Trotzdem galt EDI jahrelang als Synonym für die Lieferantenintegration - einfach deshalb, weil es keine technische Alternative gab.

Internet räumte Hürden aus dem WegEnde der 90er Jahre schwappte der Business-to-Business-Boom über den Ozean nach Deutschland. Mit Hilfe von Desktop-Purchasing-Systemen lassen sich seither die Beschaffungsprozesse für geringwertige Güter, beispielsweise Büromaterial, Werkzeuge oder Hilfs- und Betriebsstoffe, straffen und durch elektronische Kataloge, Workflow-Unterstützung und Genehmigungsregeln stark vereinfachen.

Hinzu kamen die Internet-Marktplätze. Ein Wunschtraum der Betriebswirtschaftler wurde wahr: Die globale Transparenz der Angebote schien in greifbare Nähe gerückt. Angefacht wurde die Euphorie durch die Möglichkeit von Beschaffungsauktionen beziehungsweise Reverse-Auctions. Da jeder Anbieter die Offerten der Wettbewerber sieht und sie, wenn möglich, unterbieten will, können die Einkäufer zum Teil erhebliche Kosteneinsparungen erzielen.

Doch trotz dieser gewaltigen technischen Fortschritte ließen sich damit nicht alle Probleme innerhalb der Supply-Chain lösen. Beispielsweise ist nicht Jeder fähig oder bereit, seine Angebote im Internet öffentlich zu machen. Oder aber der Faktor Preis stellt für die gehandelten Waren und Dienstleistungen nicht die maßgebliche Zielgröße dar.

Dessen ungeachtet haben sich die Grundideen dieser Marktplätze durchgesetzt:

- standardisierte Protokolle (TCP/IP),

- standardisierter Zugriff via Browser,

- dadurch kostengünstiger Zugriff,

- XML als Datenaustauschformat,

- eine zentrale Informationshaltung,

- aktuelle Daten im Online-Zugriff,

- schnelle Kommunikation und

- weitgehender "Self-Service".

Damit ließen sich zwei technische Hürden für die integrierte Lieferkette beseitigen: Für die Applikations-Kommunikation gibt es mit TCP/IP nun einen weltweit akzeptierten Standard, und die Anwendungen sind mit Hilfe eines Web-Browsers von jedem Arbeitsplatz aus erreichbar. Eine zentrale, von allen Mitgliedern der Supply-Chain genutzte Datenbasis ermöglicht den beteiligten Unternehmen eine kostengünstige und leicht zugängliche Datenhaltung.

Einfache, aber ausbaufähige LösungenSeit einigen Jahren gibt es eine Reihe von Unternehmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, unternehmensweite "Komplettlösungen" für das Supply-Chain-Management anzubieten. Doch die meisten Projekte, die auf dieser Basis realisiert werden sollten, sind an der Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gescheitert. Die Hauptgründe dafür liegen aus IT-Sicht in der kostenintensiven und aufwändigen Kommunikation zwischen den Beteiligten innerhalb des Liefernetzwerks und in den umfassenden Anforderungen an die Software, die sich nicht erfüllen ließen.

Verschärfter Wettbewerb, massiver Kostendruck sowie der Zwang, immer effizienter zu werden und einen schnellen Return-on-Investment zu erreichen, haben einen neuen Pragmatismus bewirkt. Vorrang hat heute nicht mehr das hundertprozentig optimale System, das vielleicht nie erreicht werden kann, sondern die einfache und schnelle Lösung, die jedoch ausbaufähig im Sinne eines Baukastensystems sein muss. "Collaboration" ist das Ziel, das diese neue Denkrichtung verfolgt.

Unternehmen können bei der Realisierung ihrer SCM-Lösung in überschaubaren und finanziell abschätzbaren Schritten vorgehen, ohne das große Ziel aus den Augen zu verlieren. Voraussetzung hierfür sind ein modularer Aufbau des Softwarepakets sowie seine Integrierbarkeit in vorhandene Systeme und zukunftsweisende E-Business-Lösungen. Diese Schritte sind im Einzelnen:

1. Informationsaustausch und Sourcing: Zeitlich fixierte Bedarfs-, Bestands- und Kapazitätsangaben bieten schon heute einen Planungsvorteil für das gesamte Liefernetzwerk. Kurzfristige Bedarfsschwankungen und Lieferengpässe können einfacher erkannt, Gegenmaßnahmen schneller ergriffen werden. Beispielsweise lassen sich Online-Ausschreibungen direkt im Liefernetzwerk generieren, ohne dass systembedingte Verzögerungen auftreten.

2. Simulation und Engpassanalyse: Auf der Grundlage der gewonnenen Informationen ist es in einem zweiten Schritt möglich, Simulationen vorzunehmen und Engpässe zu ermitteln. What-If-Szenarien ermöglichen veränderte Angebote und Nachfragen ohne eine komplette Neuplanung. Kann ein Auftrag um zwei Tage vorgezogen werden? Was bedeutet es, wenn ein Zulieferer seine Ware erst einen Tag später liefert? Mit solchen Szenarien lassen sich beispielsweise Lastspitzen und Marktveränderungen simulieren, ohne die Planungssysteme der beteiligten Partner untereinander zu synchronisieren.

3. Gemeinsame Planung: Marktplatzlösungen ermöglichen es den Beteiligten, gemeinsam Nachfrageprognosen und Produktionsplanungen anzustellen. Das setzt selbstverständlich großes Vertrauen in die gemeinsame Arbeit voraus, denn schließlich werden die Ergebnisse in die eigenen Systeme überführt. Wesentlich vereinfacht wird der gemeinsame Planungsprozess, wenn alle relevanten Informationen in einer einzigen zentralen Datenbank gespeichert sind.

4. Integrierte Planung und Collaboration: Auf der Basis eines unternehmensübergreifenden Datenmodells lassen sich künftig unterschiedliche Planungsprozesse zusammenfassen. Damit ist sogar weltweite Transparenz erreichbar - als Voraussetzung für schnellere Planungszyklen und eine verbesserte Genauigkeit.

Die unternehmensübergreifende "Collaboration" geht inzwischen über den Planungsansatz hinaus. Zielrichtungen sind etwa die gemeinsame Produktentwicklung, der Zusammenschluss von Handelspartnern zur Logistikoptimierung und der Aufbau von Systemen zur Unterstützung dynamischer Entwicklungsprozesse. Endziel ist der Aufbau eines Netzwerks, das allen beteiligten Unternehmen einen deutlichen Mehrwert bietet.

Mit Hilfe des "Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment" (CPFR) können Hersteller und Händler ihre Produktdaten zusammenbringen und Planung, Prognose sowie Bestandsführung aufeinander abstimmen. Die "Just-in-Time-Bestellung" rückt damit näher.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die wirklich durchgängig vernetzte Supply-Chain Realität wird. Die Technik dafür ist vorhanden: das Internet als größtes Kommunikationsnetz der Welt, leistungsfähige E-Business-Lösungen und die geeigneten Datenbanken. (qua)

* Mattias Drefs ist Marketing-Verantwortlicher für den Bereich Supply-Chain-Management und Internet-Business bei Oracle Deutschland.

Abb.1: Der Aufwand lohnt sich

"Collaboration" ist die höchste Stufe der unternehmensübergreifenden Integration. Quelle: Oracle

Abb.2: Die Entwicklung von SCM

Quelle: Oracle