Ehrgeizigstes Projekt der Deutschen Börse scheitert

Der Neue Markt wird beerdigt

04.10.2002
MÜNCHEN (CW) - Die einen hatten es erwartet, andere wurden kalt erwischt: Die Deutsche Börse AG will, dass der Neue Markt bis spätestens Ende 2003 verschwindet. Für die betroffenen Unternehmen beginnt nun das große Rätselraten, wie es weitergeht.

Die Aufregung hätte größer nicht sein können. Nationale wie internationale Medien hoben die Nachricht vom Ende der deutschen Wachstumsbörse auf die erste Seite - kaum jemand wollte sich eines Kommentars enthalten. Blickt man jedoch genauer hin, so bleiben noch viele Fragen.

Anstelle den zwei Segmenten Geregelter und Neuer Markt wird am Börsenplatz Frankfurt künftig in den zwei Zulassungsbereichen "Domestic Standard" und "Prime Standard" sortiert. Von den Veränderungen sind also sämtliche der rund 400 notierten Unternehmen betroffen und nicht etwa nur Neuer-Markt-Firmen. Innerhalb dieser beiden Gruppen werden zum einen die großen Unternehmen aus dem DAX zusammengefasst sowie zwei Gruppen von Indizes für kleinere und mittlere Unternehmen aus der Technologiebranche auf der einen und aus den so genannten klassischen Branchen auf der anderen Seite.

Die Unterscheidung nach einem Premium- und einem "Haus- und Hof-"Standard unterscheidet nach Angaben der deutschen Börsen weder nach Qualität, in- oder ausländischer Ausrichtung der Firmen, sondern lediglich nach den Anforderungen, die sie zu erfüllen haben, um zugelassen zu werden. Während Unternehmen für den Domestic-Standard die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen müssen, sollen jene für den Prime-Standard Quartalsberichte abliefern, ihre Bilanzen nach international anerkannten Regeln veröffentlichen, einen Analystenkalender vorlegen sowie mindestens einmal pro Jahr eine Analystenkonferenz abhalten.

Soweit zu dem bislang vorgelegten "Konzept", mehr ist das Projekt nämlich bislang noch nicht. Als erstes muss dieses am 16. Oktober vom Börsenrat abgesegnet werden, erst danach sollen genaue Details diskutiert werden. Außer dass der Neue Markt verschwindet, gilt bislang lediglich als sicher, dass der DAX seinen Namen beibehalten wird. Wie die anderen Indices heißen sollen, wer zur Technologiebranche zählt und wer nicht, steht noch in den Sternen.

Entsprechend vage fallen auch die ersten Reaktionen der betroffenen Unternehmen aus - davon abgesehen, dass viele Firmen, die nicht in ständigem Kontakt mit der deutsche Börse AG standen, eiskalt erwischt wurden. Marco Fonatana beispielsweise, Finanzchef bei AC Service, glaubt, dass es schwer ist, die Situation jetzt schon zu bewerten. Grundsätzlich begrüßt er jedoch den "Ettikettenwechsel", da der Name "Neuer Markt" nun verschwinden wird. Auch bei der COR AG ist man der Meinung, dass eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist: "Wir müssen noch sehen, was zum Beispiel auf der Kostenseite dazu kommt", beantwortet er die Frage, wo COR sich künftig sieht.

Gemischte Reaktionen

Positiv reagiert hingegen Hannes Niederhauser, Vorstandschef der Kontron AG. Er setzt auf mehr Glaubwürdigkeit durch die klare Unterscheidung der Segmente, die Zeit dafür war seiner Meinung nach überreif. "Wir begrüßen, dass die Deutsche Börse endlich etwas tut", sagte er. Der gleiche Tenor war auch beim Integrations-Dienstleister SAP SI zu vernehmen, das Unternehmen habe bereits seit längerem mit der deutschen Börse im Clinch gelegen und bereits mit einem Delisting gedroht, berichtet eine Pressesprecherin.

Ganz anders klingt hingegen das Statement der Soft M AG, die sich von der Börse fallengelassen fühlt: "Die Deutsche Börse schmeißt die Flinte ins Korn und lässt ihre Kinder im Stich", wütet man dort. Für das Unternehmen geht die ursprüngliche Intention des Neuen Marktes nun den Bach herunter: "Wir halten ein solches Börsensegment dynamisch wachsender Unternehmen - analog zur Nasdaq - für absolut notwendig. Ein wesentlicher Vorteil des Neuen Markts geht im neuen Konzept verloren: die überblickbare Größe, in der auch kleinere Unternehmen Beachtung finden. (rs)