Interview

"Der Markt ist manchmal schon brutal"

10.07.1998

CW: SAP hat mit der Initiative Supply Chain Optimization, Planning and Execution Vertriebs- und Marketing-Lösungen sowie Software für das Management von Lieferketten angekündigt. Damit verlassen Sie den Markt der Enterprise-Resource-Planning-Systeme, den Sie dominieren.

Zencke: Wir haben die klare Marktführerschaft bei ERP-Systemen, darauf kann man auch ein bißchen stolz sein. Aber es gibt ganz sicher keine Dominanz oder gar ein Monopol, denn unser Markt ist sehr wettbewerbsintensiv.

CW: Der Vergleich mit Microsoft ist also unzulässig?

Zencke: Wir agieren in einem Segment, in dem die Kunden ein Interesse daran haben, daß es am Ende nicht nur die SAP gibt. Der Bereich der betriebswirtschaftlichen Applikationen ist für Anwenderunternehmen sehr sensibel. Daher prüfen sie genau, welche Lösung etwas taugt. Und die Wahl fällt nur dann auf uns, wenn wir die Anforderungen erfüllen.

Der ERP-Markt wird sich wahrscheinlich analog zur Automobilindustrie entwickeln - am Ende bleiben von den 50 Anbietern vielleicht noch fünf führende und 20 insgesamt übrig. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob Microsoft den Desktop zu 98 Prozent beherrscht oder ob wir in unserem Bereich der betriebswirtschaftlichen Anwendungen einen Marktanteil von vielleicht 30 Prozent verbuchen können.

CW: Mit den Scope-Ankündigungen haben Sie bei Spezialanbietern wie i2 und Manugistics, aber auch Siebel und Vantive, mit denen Sie bis dato zusammengearbeitet haben, für Wirbel gesorgt. Um sich zu stärken, fusionieren einige vorsichtshalber oder gehen strategische Allianzen mit Rivalen ein.

Zencke: Der Markt ist manchmal schon brutal. Der eine oder andere dieser Anbieter hat anscheinend geglaubt, ohne jeden Konkurrenzdruck agieren zu können. Nach dem Motto: Es gibt nur ein oder zwei Wettbewerber, und neue kommen nicht hinzu. Aber das funktioniert so nicht. Entweder bleibt ein Anwendungsgebiet ein Nischenmarkt, oder es ist ein allgemeiner Trend zu erkennen. Das ist zur Zeit der Fall, der Markt fordert solche Produkte. Daher versuchen natürlich auch Anbieter wie die SAP, hier Fuß zu fassen. Wir haben uns bisher zwar auf die Entwicklung von ERP-Systemen konzentriert, aber das hindert uns nicht daran, künftig eigene Vertriebssysteme anzubieten, auch wenn einige gerne eine Trennlinie dazwischen sähen.

CW: Nur einem Trend zu folgen kann auch ins Auge gehen.

Zencke: Wir beobachten den Markt sehr genau, und wenn wir feststellen, daß ein Trend sich verfestigt und mehr ist als nur eine kurze Euphorie oder ein Hype, müssen wir Lösungen dafür anbieten - sonst sind wir schnell weg vom Fenster.

CW: Warum sollen Kunden auf SAP warten, bis Sie vielleicht Mitte nächsten Jahres eine vollständige Produktpalette anbieten? Hersteller von Lieferkettensoftware wie i2 und Manugistics sind dagegen schon seit einigen Jahren auf dem Markt.

Zencke: Diese Systeme sind sehr unterschiedlich: i2 hat seine Wurzeln im Bereich Kapazitätsplanung in der Fertigung der High-Tech-Industrie, Manugistics deckt die Bedarfsplanung in der Konsumgüterindustrie und Transportoptimierung ab. Beide versuchen nun erst einmal, die Funktionen des anderen zu entwickeln. Da haben wir einen Startvorteil, weil wir gleich beide Gebiete abdecken werden.

CW: Die SAP hat sowohl mit i2 als auch mit Manugistics zusammengearbeitet. Nun kommen Sie mit einer Lösung, die die Stärken dieser beiden Anbieter vereinigen soll. Haben Sie den Mitbewerbern zu tief in die Karten geschaut?

Zencke: Nein, da ist nichts dran. Wir kennen i2 seit rund zehn Jahren und haben uns das Produkt gut angeguckt, was aber nicht bedeutet, daß wir das interne Design geprüft haben. Uns interessierte eher das Prinzip der Software und was man damit erreichen kann. Die Technologie, die damals noch im Forschungsstadium war, ist mittlerweile reif, sie setzt sich durch und ist nicht mehr nur für Spezialfälle geeignet.

CW: Das Verhältnis zu den Partnern ist aber nicht mehr so rosig.

Zencke: Was uns an der Zusammenarbeit mit i2 gestört hat, ist, daß Kunden für eine Supply-Chain-Management-Lösung mehr bezahlen sollten als für eine volle R/3-Lösung. Und wenn man dann hinter die Technik dieser Spezialpakete schaut, stellt man fest, daß viele Anbieter ihre Lösungen nicht einmal selbst entwickelt, sondern zusammengekauft und gebündelt haben.