Strategien im 21. Jahrhundert

Der lange Marsch zum E-Business

22.02.2000
Von VON Gustav
Das Jahr-2000-Problem gehört der Vergangenheit an - die Gegenwart hat die IT-Manager eingeholt. Besser gesagt, die Zukunft. Denn der Zwang zur Globalisierung, der härtere Wettbewerb und das Internet machen eines unabdingbar: eine schlüssige E-Business-Strategie.

Eines lässt sich beim besten Willen nicht behaupten: Dass die Zeiten für das IT-Management in den Unternehmen einfacher werden - auch wenn das alles bestimmende Thema zu fehlen scheint. Viele DV-Leiter haben mit der erfolgreichen Umschiffung der Millennium-Klippe den "Ritterschlag" erhalten; andernorts, wo es im Zusammenhang mit dem Jahrtausendwechsel vielleicht doch zu größeren Problemen kam, laufen die Mitarbeiter der IT-Abteilung jetzt im Büßerhemd herum.

IT muss neue Geschäftswege ebnen

Doch das ist, Schnee von gestern. Nach den vermeintlich großen Herausforderungen (man vergesse die Euro-Umstellung nicht, die einige Unternehmen noch beschäftigen wird!) müssen sich die IT-Verantwortlichen wieder ihrer eigentlichen Aufgabe widmen: Die IT für den Geschäftseinsatz optimieren. Was auch wieder nur zum Teil stimmt, denn es geht längst um mehr. Die IT selbst steht in der Pflicht, dem Unternehmen neue Geschäftswege und Business-Strategien aufzuzeigen.

Vielen Zeitgenossen mag dieses Postulat wie eine Formel aus den Marketing-Lehrbüchern vorkommen, doch spätestens mit dem Siegeszug des Internet hat die Praxis die Theorie eingeholt. Man kann auch sagen, überholt. Fest steht, dass dem Internet, der globalen Kommunikation, dem E-Business die Zukunft gehört. Strittig ist allenfalls, welche Wirtschaftsbereiche vom Wandel am stärksten (und schnellsten) betroffen sein werden; welche in ihrer derzeitigen Form im Zweifel ganz von der Bildfläche verschwinden werden. Allgemeinplätze? Mag sein, doch für die betroffenen Unternehmen wird dies ganz schnell zur Überlebensfrage. Erst recht, weil sich die sogenannten makroökonomischen Voraussetzungen ebenfalls ändern. Die erwähnte Globalisierung, der notwendige Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, das weltweit zu beobachtende Fusions- und Übernahmefieber.

Spannende Zeiten also für das IT-Management, das unverhofft und - so ist zu befürchten - vielfach unvorbereitet in eine neue Rolle gedrängt wurde. Lange Zeit galten die IT-Shops als bloße Kostentreiber, als "Werkzeug" für das Geschäft, bestenfalls als "strategische Waffe im Wettbewerb". Heute ist das anders. Wer in Sachen Internet zu spät kommt, den bestraft der Markt. Wer die falsche Web-Strategie wählt, ebenfalls. Das ist die einzig gesicherte Erkenntnis.

Die ersten rudern zurück

Die IT-Manager des 21. Jahrhunderts haben deshalb erstmals die Chance, die IT für die Geschäftsentwicklung einzusetzen. Immer öfter, wird vom IT-Department verlangt, dem Top-Management neue Geschäftsfelder durch intelligenten IT-Einsatz zu erschließen. "Business based on IT" sei hierfür ein wichtiges Schlagwort, heißt es in einem Strategiepapier der Diebold Deutschland GmbH. Doch so riesig die Chance auch sein mag, die sich den IT-Spezialisten hier bietet, ihre Verantwortung ist immens. Denn in den meisten Fällen hat man in Anlehnung an die Schützensprache nur einen Schuss. Scheitert das Projekt Internet, steht - man kann es nicht oft genug wiederholen - die Zukunft des Unternehmens auf dem Spiel.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Großteil derjenigen, die Wegbereiter der ersten E-Commerce-Welle waren, derzeit wieder kräftig zurückrudern. Zum Beispiel die Marktforscher der Gartner Group, die im November vergangenen Jahres auf ihrer Management-Konferenz IT-Expo in Cannes durch sehr pessimistische Prognosen für Aufsehen sorgten. 75 Prozent der hochgejubelten "Dot.coms" werden demnach schon in zwei Jahren wieder verschwunden sein. "Das Internet-Geschäft ist nichts für Boutiquen, sondern für Großkonzerne", kommentierte zum Jahreswechsel die US-Investmentbank Morgan Grenfell ähnlich lautende Ergebnisse einer internen Studie. Ist also doch nichts dran am Internet-Hype? Dies zu glauben, wäre fatal. Vermutlich ist es nur so, dass sich die Märkte von morgen bereits heute konsolidieren. Anders formuliert: Die Amazon.coms dieser Welt werden spüren, dass auch das Geschäft im Cyberspace irgendwann profitabel werden muss.

Konsolidieren wird sich laut Gartner aber auch einiges auf Seiten der Anwender. Binnen der kommenden drei Jahre rechnen die Auguren, dass drei Viertel aller Unternehmen mit ihren E-Business-Projekten gescheitert sein werden. Ursache für den Misserfolg: Konzeptionsloses Angehen der E-Commerce-Thematik. Womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären. Längst kennt man einige der Todsünden beim Start der Internet-Aktivitäten. Etwa, dass die Umsetzung einer E-Business-Strategie eigentlich Chefsache sein müsste, vielfach dann aber doch nur von einer handverlesenen Zahl von Freaks daran gebastelt wird. Dass eine mehr oder weniger gelungene Website nicht schon der Abschluss, sondern der Beginn einer neuen Epoche für das betreffende Unternehmen sein muss. Dass es nicht genügt, bisherige Geschäftsabläufe eins zu eins auf das Internet zu übertragen - erst recht nicht, wenn man bisher schon alles andere als kundenorientiert war. Dass man, wenn schon die Zukunft im

Internet liegt, dorthin in aller Regel nicht die Vergangenheit, die bewährten Strukturen und Strategien, mitnehmen kann - jedenfalls nicht in ihrer bisherigen Form. Übrig bleiben werden, so die Analysten von Gartner, nur die Firmen, denen eine tatsächliche Einbindung sämtlicher Geschäftsabläufe und IT-Infrastrukturen in das Internet gelungen ist.

Für die Tatsache, dass in Sachen E-Business der Marsch durch das Tal der Tränen noch lange nicht zu Ende ist, spricht nach Ansicht der Gartner Group auch noch etwas anderes: Die meisten IT-Spezialisten unterschätzen nicht nur den strategischen, sondern auch den finanziellen Aufwand für einen funktionsfähigen Auftritt im Cyberspace. Wiederum rund drei Viertel aller Firmen veranschlagen, so die Marktforscher, ihre entsprechenden Budgets zu niedrig. Dies gelte vor allem für Companies, die stark auf ihre Kontakte zu Kunden und Handelspartner angewiesen sind.

Unterschätzter E-Business-Aufwand

Hohe Investitionen sind also gefordert, doch diese werden zunächst nicht belohnt. Bis 2005 rechnet Gartner damit, dass die Ausgaben für einschlägige Anwendungen samt Infrastruktur in Westeuropa auf einen Anteil von mindestens 7,5 Prozent des Umsatzes steigen müssen. Mit anderen Worten: eine Vervierfachung des bei deutschen Großkonzernen üblichen IT-Budgets. Gleichzeitig behaupten die Auguren, dass in den kommenden drei Jahren weniger als 30 Prozent der ausschließlich im Internet tätigen Firmen einen operativen Gewinn erzielen werden. Zunächst keine sehr erfreulichen Perspektiven für so manches Anwenderunternehmen, das glaubt, einen vermeintlich lukrativen Geschäftszweig im Internet entdeckt zu haben. Erst recht nicht für die besagten "Dot.coms" wie Amazon, E-Bay, ricardo.de und Konsorten.

Doch was heißt dies nun für das IT-Management? Es muss, wie vorhin beschrieben, seine Rolle in der Unternehmenshierarchie neu definieren. Die ewig aktuelle CIO-Problematik kommt hier zum Tragen. Oder der etwas pragmatischere Gartner-Ansatz eines zentralen Change Managements - einer Art abteilungsübergreifenden Task-Force, innerhalb derer Unternehmensführung, IT-Spezialisten, Marketing und Vertrieb gemeinsam die wichtigen (IT-) Entscheidungen vorbereiten. In jedem Fall müssen aber vom Vorstand mehr Investitionen gefordert werden - für die Ingangsetzung eines Prozesses, dessen Verlauf und Ende noch unkalkulierbar sind. Das IT-Management muss seine alten Hausaufgaben gewohnt zuverlässig erledigen. Besagte Einbindung aller Geschäftsabläufe in das Internet ist aber leichter gesagt als getan. Wie ist es um die Zukunft von Standardsoftware bestellt? Wie mache ich meine SAP-Installation Internet- und Intranet-fähig? Welche Produkt- und Herstellerstrategie fahre ich

im Zusammenhang mit Trends wie Supply Chain Management, Customer Relationship Management oder Application Service Providing? Dies ist nur eine kleine Auswahl von Fragen, die sich derzeit bei den vermeintlich klassischen IT-Themen aufdrängen.

Die Technologieberater von Diebold sehen deshalb - jenseits aller berechtigten Bevorzugung des Themas E-Business - folgende Schwerpunkte als Zukunftsaufgaben des IT-Managements:

-IT-Competence Center,

-IT-Organisation für das Wissens-Management,

-Internet/Intranet: Aufbau, Management und Weiterentwicklung,

-Human Resource Management,

-Datenschutz und Datensicherheit,

-Service Level Management,

-Management von IT-Innovationen,

-Management des Software-Lifecycle sowie

-Management der Konsolidierung von IT-Einheiten.

Geht man diese Liste in ihren wesentlichen Punkten durch, heißt dies laut Diebold für die jeweilige IT-Abteilung im Unternehmen vor allem eines: Know-how und Dienstleistungen weltweit an allen Standorten auf gleichem Niveau zur Verfügung zu stellen, mit Competence Centern für alle Geschäftseinheiten einen qualitativ hohen Service zu leisten - die vielzitierte Globalisierung lässt grüßen! Zudem werden, nein müssen, die IT-Abteilungen mehr denn je eine Rolle als Wissens-Broker für technische und organisatorische Fragestellungen übernehmen. Also ihre Kollegen in den Fachabteilungen darin beraten, welche IT-basierten Services für ihr Geschäft und ihre tägliche Arbeit notwendig sind (und welche nicht). Der alte Interessenkonflikt zwischen dem IT-Establishment und dem oft gefährlichen Halbwissen der Anwender in den übrigen Unternehmensbereichen, der Anfang der 80er Jahre mit dem Vordringen der PCs seinen Anfang nahm und nun in seine

nächste, vielleicht entscheidende Runde gehen dürfte.

Diebold nennt einen von mehreren möglichen Konfliktherden. Aufgaben wie Web-Administration und Web-Design werden, so die Berater, zwangsläufig in den Alltag der IT-Abteilungen einziehen und in vielen Bereichen "Mission-critical"-Applikationen unterstützen, die dadurch ebenfalls Internet-fähig werden. Doch genau hier drückt das IT-Management momentan der Schuh. Man hat weder die notwendigen Skills noch ausreichende Ressourcen an Mitarbeitern. Nicht unbedingt eine gute Ausgangsposition, wenn man unternehmensintern vielleicht gerade dabei ist, die Meinungsführerschaft in punkto Internet-Strategie vom Marketing oder Vertrieb zurückzuerobern. Genauso wenig hilfreich ist diese Situation bei Verhandlungen mit einer Branche, die derzeit geradezu einen kometenhaften Aufstieg nimmt: den sogenannten Internet-Agenturen und -Dienstleistern wie Pixelpark oder Razorfish.

Viel Arbeit, wenig Ehr’ für die IT-Abteilung

Viel Arbeit, unter Umständen aber wenig Ehr’ für die IT-Verantwortlichen, die sich auf diese neuen Herausforderungen einstellen sollten. Auch weil, wie nicht wenige Fachleute hierzulande glauben, die vergangenen zwei Jahre bedingt durch die Jahr-2000-Problematik regelrecht verschlafen wurden. Einmal mehr, so scheint es, waren die US-Amerikaner schneller - und besser. Dort hat man nicht nur die Millennium-Umstellung entschlossener angepackt, sondern auch den Strukturwandel in Richtung E-Business. Der Kreis schließt sich. Diebold-Berater Dieter Böhm schwant deshalb nichts Gutes. Das IT Management in Deutschland müsse spätestens jetzt die notwendigen Diskussionen lostreten, auch wenn es die entsprechenden Fragen nicht immer beantworten darf, forderte der Experte Ende vergangenen Jahres auf einer Strategiekonferenz seines Unternehmens. Ansonsten bleibe nur die Hoffnung, dass die meisten Anwender ihre Jahr-2000-Projekte auch zu einer Reorganisation beziehungsweise

Internet-Anpassung ihrer Geschäftsabläufe genutzt haben. Sonst hätte man letzten Endes "Millionen in die Hand genommen, nur um Jahr-2000- und Euro-fähig zu sein".

*Gustav Herrlich ist freier Journalist in München.