Das Angebot der Bundespost bei neuen Diensten unter der Lupe:

Der Kunde steht vor einem Gebühren- und Dienste-Wirrwarr

05.04.1985

Seit einigen Jahren ist die Deutsche Bundespost zum Motor der technischen Entwicklung für die Telekommunikation geworden. Neue Dienste wurden angekündigt (zum Beispiel ISDN) oder bereits eingeführt (Teletex, Bildschirmtext); die Teilnehmerzahlen allerdings bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Rainer Hartlep, Geschäftsführer der Berliner Telerat Beratungsgesellschaft für Telekommunikationssysteme mbH, analysiert im folgenden mögliche Gründe für diese Zurückhaltung und stellt aus der Sicht des Dienstanwenders Wünsche an die Deutsche Bundespost zur Diskussion.

Die Deutsche Bundespost hat in den letzten Jahren durch mehrere neue Fernmeldedienste ihr Dienstangebot im Bereich der Telekommunikation erheblich erweitert. Aus dem früher eher konservativen Monopolunternehmen ist eine dynamische Postverwaltung geworden, die immer neue Impulse zur Entwicklung moderner Telekommunikationssysteme setzt. Das engagierte Vorantreiben der internationalen Normierung von Teletex und vom ISDN ist ein Beispiel für das neue Image der Post.

Trotz dieser gewaltigen Anstrengungen bei den technischen Normierungsarbeiten und großem werblichen Aufwand bei den Diensteinführungen nehmen sich die tatsächlichen Teilnehmerzahlen doch eher bescheiden aus. So gab es am 1. Januar 1985 nach der Poststatistik folgende Netzanschlußzahlen für die neuen Telekommunikationsdienste:

Datex-L 14 534

Datex-P 6 952

Teletex 8 489

Bildschirmtext 21 329

Telefax (am 1.1.84) 13 200

zum Vergleich

Telex (am 1.1.84) 154 983

Datenübertragung im Fernsprechnetz 71 221

Die Zahlen liegen hinter den Prognosezahlen zurück, wobei die Differenz mit dem zeitlichen Abstand der Prognose stark zunimmt. So rechnete zum Beispiel die DBP Anfang 1982 mit 150 000 Bildschirmtext-Teilnehmern für Ende 1984. In einer Prognose des Frühjahrs 1983 waren es noch 41 000, und tatsächlich wurden am Jahresende 1984 zirka 21 000 Teilnehmer gezählt. Die jährlichen absoluten Zuwachszahlen liegen bei den neuen Diensten auch nur in der gleichen Größenordnung wie bei Teletex oder der Datenübertragung im Fernsprechnetz.

Bisher geringer Widerhall bei den Kunden

Daß das neue Angebot der Post doch nur einen relativ geringen Widerhall bei den Postkunden findet, ist eigentlich verwunderlich, denn die neuen Postdienste können die Bürokommunikation wirkungsvoll unterstützen und damit die Büroarbeit effektiver gestalten. Gerade im Büro ist ein großes Rationalisierungspotential enthalten, das bisher überhaupt nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil ausgeschöpft wird. Die zirka 1,1 Millionen Postkunden mit Fernsprechnebenstellenanlagen sind sicherlich auch als potentielle Anwender für Text- und Datendienste zu sehen. Nur rund ein Prozent davon nutzen tatsächlich das neue Angebot.

Die Einführung neuer Dienste wie etwa Bildschirmtext und Teletex erfolgte im allgemeinen nach folgen dem Schema:

1) Frühzeitige Ankündigung der Dienstidee.

2) Durchführung eines Versuchs- oder Probebetriebs mit entsprechender publizistischer Berücksichtigung.

3) Ankündigung der Dienstaufnahme mit Gebührenbekanntgabe und Beginn der Werbemaßnahmen.

4) Verschiebung des Dienstbeginns aus technischen Gründen.

5) Dienstbeginn mit verhältnismäßig geringem Endgeräteangebot.

6) Erhöhung von Gebühren (beispielsweise Grundgebühr bei Teletex oder einmalige Gebühren bei Bildschirmtext).

Verallgemeinert erfolgt die Diensteinführung durch die DBP in folgenden Phasen:

- Weckung des Interesses am Dienst.

- Verwirrung von Dienstinteressen durch

- Probe-, Versuchs-, Test-, Testwirk- und Wirkbetrieb,

- unzureichende Kenntnisse des Postpersonals,

- mehrmalige Verschiebung des Dienstbeginns.

- Enttäuschung von Dienstinteressenten durch

- nicht mögliche Dienstteilnahme, trotz verstärkter Werbung für den Dienst,

- unzureichendes Geräteangebot.

- Verärgerung von Dienstteilnehmern durch

- geringe Nutzungsmöglichkeiten aufgrund geringer Teilnehmerzahlen,

- technische und organisatorische Pannen,

- Gebührenerhöhung.

Ein Postkunde muß schon sehr vom Nutzen des Dienstes überzeugt sein, um in der Einführungsphase diese Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen.

Die Vielzahl neuer und angekündigter Dienste verwirrt den potentiellen Nutzer. Der Postkunde kann heute aus einem reichhaltigen Angebot der DBP auf dem Fernmeldesektor schöpfen. Das beginnt bei zahlreichen Fernsprechapparaten wie Design- und Komfortfernsprecher, geht über Dienste fürs Fernsprechen wie "Gedan" und Service 130 und endet bei unterschiedlichen Diensten für die Text- und Datenübertragung wie zum Beispiel Datel-Dienste, Telex, Teletex und Bildschirmtext. Daneben werden neue Dienste (Telebox, Temex, Textfax) beziehungsweise Netze (ISDN, Breitband-ISDN, IBFN) angekündigt.

Der Nutzer steht vor einem Angebot mit Bezeichnungen, die ihm unverständlich sind (zum Beispiel "Gedan") oder die leicht verwechselt werden (Teletex und Teletext), vor Diensten, die teilweise das gleiche bewirken (Telebox und Mitteilungsdienst am Bildschirmtext) und vor heutigen Diensten, die unter dem Eindruck der Ankündigung neuer Dienste für die nächsten Jahre als veraltet erscheinen.

Die Folge für den verwirrten und verunsicherten Nutzer: Er nimmt einen Dienst, den er überblicken kann (zum Beispiel Datenübertragung im Fernsprechnetz) oder wartet ab, bis er erkennt, welcher Dienst sich mit hohen Teilnehmerzahlen durchsetzt oder bis ein zukünftiger und damit leistungsfähiger Dienst angeboten wird.

Der gewerbliche Postkunde sollte sich bei der Auswahl eines Postdientes natürlich besonders von den Kosten leiten lassen. Neben dem Endgeräteaufwand sind die Postgebühren entscheidend. Die Berechnung der auf ihn zukommenden Gebühren wird ihm nicht leichtgemacht. Will er zum Beispiel Daten übertragen, so hat er dazu folgende Möglichkeiten:

- Datenübertragung im Fernsprechnetz

seriell mit 300, 1200,2400, 480 Bit/s parallel

- öffentliches Direktrufnetz

mit 50, 300, 1200, 2400, 4800, 9600, 48 000 Bit/s

- Datex-L

mit 200, 300, 2400, 4800, 9600, 64 000 Bit/s

- Datex-P

mit 300, 1200, 2400, 4800, 9600, 48 000 Bit/s

- Bildschirmtext

Aufgrund der jeweiligen Anwendung scheiden einige Angebote von vornherein aus, aber es bleiben im allgemeinen doch mehrere übrig, von denen nun die Gebühren für das vorgesehene Datenaufkommen berechnet werden müßten. Erschwerend kommt hinzu, daß nicht nur ein Parameter für die Kommunikationsgebühr bestimmend ist, sondern je nach Dienst die Entfernung, die Zeit, das Datenvolumen oder die Verbindungsanzahl beziehungsweise mehrere dieser Parameter gleichzeitig entscheidend sind. Da sich das Datenvolumen mit der Zeit ändert, ist eine Verschiebung der Gebührenrelation praktisch zwangsläufig. Die wirtschaftliche Auswahl eines Dienstes zur Datenübermittlung ist nicht zuletzt auch wegen der unübersichtlichen Gebührenblätter der Post eigentlich nur durch den Fachmann möglich - ein weiteres Hindernis für eine große Verbreitung von Diensten.

Gebührenermittlung nicht immer einfach

Selbst bei der Beschränkung auf einen Dienst ist die Gebührenermittlung nicht immer einfach. Das Bestreben, jede kostenverursachende Funktion eines Dienstes mit einer Gebühr zu belegen, führt zwar zur größtmöglichen Gebührengerechtigkeit, aber auch zu einer fast unmöglichen Gebührenvorherbestimmung.

Der Optimist könnte nun glauben, daß mit der für das Ende der achtziger Jahre angekündigten Einführung eines Dienste-integrierenden digitalen Fernmeldenetzes (ISDN) die aufgezeigten Probleme der Vergangenheit angehören werden. Die Idee des ISDNs ist ja die einheitliche Übermittlung und damit auch Tarifierung aller Telekommunikationsdienste. Nun werden aber für eine Übergangszeit von sicherlich 20 bis 30 Jahren die bisherigen Dienste neben dem ISDN bestehen bleiben. Der mögliche Anwender muß also einen weiteren Dienst in seine Betrachtungen miteinbeziehen, denn ein ISDN-Dienst muß nicht unbedingt gebührengünstiger als ein heutiger Dienst sein.

Das ISDN läßt zusätzlich eine große Anzahl neuer Dienstmerkmale wie beispielsweise Gebührenübernahme, Anklopfen und Anrufweiterschaltung zu. Nach den bisherigen Erfahrungen wird mit einer individuellen Gebühr zu rechnen sein. Es ist daher anzunehmen, daß die Gebührenübersichtlichkeit durch die ISDN-Einführung nicht zunehmen, sondern eher abnehmen wird.

Die bisherigen Benutzer von Datennetzen waren im wesentlichen größere Unternehmen, bei denen auch aufgrund der Projektgröße eine eingehende Analyse des Dienstangebotes notwendig war. Daten- und Textübertragungen werden aber heute wegen des verstärkten Mikrocomputer-Einsatzes auch für mittlere und kleinere Unternehmen interessant. Das bedeutet, daß der zukünftige Benutzer kein Fachmann, ja auch kein interessierter Laie auf dem Gebiet der Telekommunikation ist. Genauso selbstverständlich, wie heute das Flugzeug ohne flugtechnische Kenntnisse benutzt werden kann, um von A nach B zu gelangen, muß es ohne fernmeldetechnische Kenntnisse möglich sein, Informationen entsprechend der gesetzten Anforderungen von A nach B zu übertragen.

Für den Massenverkehr sollten daher wenige, aber für die jeweilige Anwendung wirkungsvolle Dienste angeboten werden. Dabei sind im Interesse der Übersichtlichkeit durchaus nicht-optimale Lösungen für spezielle Anwendungen in Kauf zu nehmen.

Denkbar wäre etwa folgendes Dienstangebot:

- Teletex für die Textübertragung,

- Telefax für die Festbildübertragung,

- Datex-D mit 300 Bit/s für druckende Endgeräte,

- Datex-B mit 2400 Bit/s für Bildschirmarbeitsplätze,

- Datex-R mit 48 beziehungsweise 64 KBit/s für Rechnerkopplungen.

Für spezielle Anwendungen könnten durchaus daneben weitere Dienstangebote bestehen, deren Nutzung aber durch entsprechende Tarifierung für die breite Masse interessant wäre.

Diesem Vorschlag liegt der Gedanke zugrunde, daß ein möglicher Benutzer nicht ein bestimmtes Netz nutzen will, sondern Informationen (Texte, Daten, Festbilder) übermitteln möchte. In welchem Netz dies geschieht, ist ihm sicherlich egal, und ob die DIN-A4-Seite in 10 oder 0,5 Sekunden übertragen wird, ist angesichts der Transportzeiten innerhalb des Hauses (Absender und Empfänger) von mehreren Stunden auch uninteressant. Wichtig sind die ständige Verfügbarkeit und Kostenklarheit.

Da wegen der bisherigen technischen Entwicklung unterschiedliche Dienste bestehen, die auch nicht sofort umgeschichtet werden können, wäre eine Vereinheitlichung der Gebühren für den Anwender von Vorteil. Es zeigt sich, daß die Gebührenunterschiede relativ gering sind. Warum also nicht eine einheitliche und vom Netz unabhängige Gebühr!

Neben einer Vereinheitlichung der Datel-Dienste könnte die Deutsche Bundespost durch weitere Maßnahmen die Attraktivität ihrer Dienste steigern:

- Um den Nutzen der neuen Telekommunikationsdienste stärker herauszustellen, sollte die DBP in ihrer Werbung Anwendungen stärker hervorheben: Da der Dienst für den potentiellen Benutzer sehr abstrakt erscheint, muß nicht der Dienst, sondern die Anwendung verkauft werden!

- Dienste mit geringen Teilnehmerzahlen können durch öffentliche Endgeräte attraktiver werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Telebrief-Dienst mit der Verbindungsmöglichkeit zu jedem Telefax-Gerät. Doch warum sind nicht gerade die Postämter zur Annahme von Telebriefen vorgesehen, die auch zu unüblichen Zeichen geöffnet haben?

- Die Dienstbezeichnungen sollten anschaulich, unverwechselbar und verständlich sein.

- Die Mitarbeiter der Post sind vor einer Diensteinführung umfassend zu schulen.

- Für Diensteinführungen sind realistische Termine zu nennen, und die Postkunden sollten nicht mit überzogenen Zukunftsperspektiven verunsichert werden.

Notwendige Kundenüberlegungen

Wie kann sich nun der geplagte zukünftige Anwender in diesem Telekommunikationswirrwarr, das ja nicht nur durch die Post, sondern auch durch Herstellerfirmen, diverse Publikationen und nicht zuletzt durch die immer kürzer werdenden Innovationszyklen verursacht wird, zurechtfinden?

Er sollte folgende Punkte berücksichtigen:

1) Der Einsatz moderner Kommunikationstechniken im Büro ist überfällig. Fast alle Bürokommunikationsprobleme (ausgenommen Bewegtbildkommunikation) können bei fachmännischer Beratung mit heutigen Diensten und Geräten befriedigend gelöst werden.

2) Es hat daher keinen Sinn, auf neue Systeme zu warten. Außerdem leisten neue Systeme und Dienste nicht immer mehr, manchmal sogar weniger als die heute vorhandenen.

3) Nicht allen Zukunftsperspektiven und vor allem den Terminankündigungen der Post Glauben schenken.

4) Immer daran denken, daß die heute bestehenden Dienste noch Jahrzehnte weiterbestehen werden.

5) Nach dem Schmalband-ISDN kommt das Breitband-ISDN, das IBFN, das ?, das ? ? Es gibt keinen Abschluß der technischen Entwicklung.