Data-Center-Konzepte im neuen Licht (Teil 7) Konsolidierung von Datenmassen auf Mainframes nicht oekonomisch

17.12.1993

MUENCHEN (jm) - Die Glashauskonzepte der MIS-Zentren wandeln sich, aber sie wandeln sich gemaechlich. Beim Umstieg von Grossrechnern auf alternative Mainframe-Systeme stellt sich die Software-Altlast als groesstes Problem. Dies muessen all diejenigen Anwender erfahren, die sich mit dem Gedanken tragen, einen Wechsel vorzubereiten.

Zu ihnen gehoert beispielsweise das Kreditkarteninstitut American Express Company (Amexco), das die Sicherung seiner Konkurrenzfaehigkeit immer weniger auf die Rechenleistung herkoemmlicher Mainframes zu stuetzen gedenkt. Auch Amexco wendet sich vermehrt Parallelarchitekturen zu, wenn es um klassische IT- Aufgaben oder um Entscheidungshilfesysteme geht. In der Ausschoepfung der Potentiale von Parallel- oder Cluster-Konzepten sehen die Finanzdienstleister erhebliche Wettbewerbsvorteile.

Allerdings seien Anbieter moderat- und massiv-paralleler (MPP) Rechner noch weit davon entfernt, zu ihrer Hardware ausgereifte Softwareprodukte etwa fuer zeitkritische OLTP-Anwendungen offerieren zu koennen. Solche Applikationen wuerden wohl, so die Einschaetzung bei Amexco, in den kommenden fuenf Jahren noch kaum zu gewaertigen sein.

Dramatische Vorteile in puncto Preis-Leistung

Trotzdem denkt die Eurocard-Konkurrenz intensiv darueber nach, von herkoemmlichen Mainframe-Architekturen auf Parallelkonzepte umzusatteln. "Die Nutzung paralleler Architekturen verspricht geradezu dramatische Vorteile in puncto Preis-Leistung", urteilt das Kreditkartenunternehmen in einem internen Report. Ausserdem koenne man mit diesen Maschinen ein Niveau an Rechenleistung erzielen, das konventioneller Computertechnologie schlicht verschlossen bleibe.

Die Amexco-Fachleute raeumen uebrigens auch mit dem verbreiteten Vorurteil auf, moderat- oder massiv-parallele sowie Cluster- Systeme seien durch ihre Hard- und Softwarekonzeption auf technisch-wissenschaftliche Aufgabenstellungen beschraenkt und beispielsweise fuer kommerzielle Belange untauglich. Prinzipiell seien diese Rechnerstrukturen vielmehr fuer unterschiedlichste Problemstellungen in der DV geeignet.

Amexco hat sich bei diesen Einsichten offensichtlich nicht auf die Beratung durch aushaeusige Wissenstraeger verlassen. Vielmehr testeten die Anbieter bargeldloser Services die Tauglichkeit unterschiedlicher Hardwarekonzepte selbst. Sie verglichen sechs Anwendungen auf einer ebenso grossen Zahl von Rechnersystemen. Bei der Hardware waren vier unterschiedliche Parallelkonzeptansaetze vertreten. Eine der Testapplikationen kreierte dabei aus auf unterschiedlichen Medien abgelegten Informationen zu potentiellen Kreditkartenbenutzern eine Datenbank. Dieses "Prospect-Credit"- System lief unter einem nicht naeher bezeichneten Parallelrechner hundertmal schneller als auf einem ES/9000-Prozessor, berichtete Amexco in dem Report, der der COMPUTERWOCHE-Schwesterpublikation "Computerworld" vorliegt. Das Ergebnis dieses Benchmarks veranlasste das Unternehmen postwendend, ein Pilotprojekt einzurichten, das schon Anfang kommenden Jahres in ein Produktionssystem einmuenden soll.

Trotz solch optimistisch stimmender Ergebnisse und obwohl man plant, kommendes Jahr verschiedene Applikationen fertigzustellen, die die Rechenleistung von massiv-parallelen Systemen nutzen koennen, ist die MPP-Technologie noch weit davon entfernt, blaue Glashaeuser rasch aufs Altenteil zu schicken. "Zu behaupten, wir liefen geradenwegs in die neue Rechnerwelt ueber, hiesse, die Wirklichkeit verzerrt wiederzugeben", rueckt denn auch Bob Mercurio ueberzogene Erwartungen zurecht.

Der Direktor fuer die Abteilung Advanced Technology bei der Amexco Travel Related Services Technologies moniert naemlich die sattsam bekannten Schwachstellen, die alternativen Grossrechnerkonstrukten gegenueber herkoemmlichen Mainframes anhaften. Der Manager klagt, Minuspunkte seien beim System-Management und der Software- Entwicklung zu konstatieren; Maengel gebe es in Sachen Zuverlaessigkeit und bei der Sicherheit, Defizite zudem an ausgekluegelten Programmiersprachen, Entwicklungswerkzeugen und der Integration von MPP-Systemen in existierende DV-Umgebungen. Was in der Grossrechnerwelt verlaessliche Groessen sind, ist hier offensichtlich noch wenig ausgereift.

Vor allem kritisiert Mercurio die mangelnde Zuverlaessigkeit der Parallelsysteme: "Eine 90prozentige Ausfallsicherheit koennen Sie im kommerziellen Anwendungssektor getrost vergessen", so der Amexco-IS-Manager. Die Hersteller der Parallelsysteme haben dieses Manko offensichtlich erkannt und unterstreichen deshalb lieber die vorteilhafte Preiswuerdigkeit ihrer Hardwareprodukte. Kontert Mercurio nuechtern: "Lieber zahle ich mehr, und mein System ist dafuer weniger problemanfaellig."

David Frankel, Technologiedirektor beim Marktforschungsunternehmen Gary Smaby Inc. aus Minneapolis, haut in die gleiche Kerbe: "In der Industrie kann man ganz eindeutig ein erhoehtes Interesse an der Nutzung von Parallelsystemen fuer zeit- und geschaeftskritische Aufgabenstellungen erkennen." Trotzdem sei etwa die bislang fuer diese Rechnergattung verfuegbare Management-Software relativ wenig ausgereift. Diese Aussage treffe zumindest auf Geschaeftsoperationen zu, bei denen eine 365 Tage rund um die Uhr funktionale DV erste Anforderung sei.

Amexco ist nicht das einzige Finanzdienstleistungsunternehmen, das sich massiv-paralleler Rechnersysteme bedient. Das amerikanische Bankhaus Citicorp. installierte neun Datenbankmaschinen von AT&T/ NCR-Aufkauf Teradata, also DBC/1012-Maschinen. Die Banker benutzen ihre Parallelrechner dazu, Daten von Giro- und Sparkonten, von Kreditkarten-Kontobewegungen sowie ueber Hypothekenbelastungen eines Bankkunden zu konsolidieren, also zu einem Gesamtbild zusammenzufassen. Amexco scheint sich uebrigens durchaus bewusst, dass eingefuehrte Bankinstitute und Novizen im Kreditkartenmarkt wie AT&T oder die GTE Corp., daneben aber auch Automobilkonzerne, sich im Bereich der Parallelsysteme engagieren.

Glaubt man Amexco-Manager Mercurio, so gesellt sich zur Problematik unausgereifter Softwareprodukte zudem eine personelle: "Ich versuche haenderingend, Leute mit Programmierkenntnissen auf dem Gebiet der Parallelarchitekturen zu finden." Offensichtlich Fehlanzeige, denn auch Anbieter von Parallelsystemen - "Ich habe sogar bei denen schon vorgefuehlt und gefragt, woher die eigentlich ihre Leute rekrutieren" - konnten ihm keine Ratschlaege geben.

Datenmassen nutzen - wettbewerbsfaehig bleiben

Trotzdem scheinen die Vorteile alternativer Rechnerstrukturen auf Basis von MPP- oder Cluster-Systemen fuer American Express auf lange Sicht auf der Hand zu liegen. Um in der internationalen Konkurrenz bestehen zu koennen, muessen brachliegende Potentiale genutzt werden. TB-grosse Datenfriedhoefe, deren Konsolidierung zu zielgenaueren Erkenntnissen ueber die Beduerfnisse von Konsumenten und damit zu wettbewerbswirksamen Vorteilen fuehren, lassen sich durch herkoemmliche Mainframe-Systeme nicht beackern.

Konzeptionell, so die Meinung bei Amexco, koenne man sich zwar durchaus auch mit herkoemmlicher Mainframe-Technologie an die Datenmassen heranwagen: "Aber auch gesetzt den Fall, wir wollten solche Operationen ueber Nacht in Batch-Verarbeitung abwickeln - es wuerde bei weitem unsere Hardwarekapazitaeten sprengen." Solche Kaerrneraufgaben seien nur durch mehrere Mainframes zu realisieren und damit wirtschaftlich voellig uninteressant, argumentieren auch diverse Marktanalysten.

Genau hier setzen Anbieter von skalierbaren Parallelsystemen und Brancheninsider wie Frankel mit ihrer Argumentation an: "Man kann mit kleinen MPP-Maschinen erste Aufgabenstellungen erledigen. Waechst die Datenbank, laesst sich auch die Hardware graduell ausbauen."

(wird fortgesetzt)