„Das faire Unternehmen gibt es nicht“

12.03.2003
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Den Abschied von Worthülsen wie „Bei uns steht der Mitarbeiter im Mittelpunkt“ fordert der Betriebswirtschaftsprofessor Christian Scholz in seinem aktuellen Buch „Spieler ohne Stammplatzgarantie“. Er plädiert für eine „neue Ehrlichkeit“ sowohl von Arbeitgeber- als auch Mitarbeiterseite.

CW: Sie skizzierten vor Jahren das Bild eines Unternehmens, bei dem es nur eine kleine Kernmannschaft gibt, aber viele freie Mitarbeiter, die nur zeitweise dazu gehören dürfen. Beschreibt Ihr Buch den Endpunkt dieser Bewegung?

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Gibt es eine "neue Ehrlichkeit"?

Die Thesen von Christian Scholz sind provokativ: Unternehmen sind darwinistisch, Mitarbeiter opportunistisch. Und es gibt keine Stammplatzgarantie - bei Bayern München nicht und auch nicht bei Microsoft. Werden aus den fürsorglichen Arbeitgebern ausbeuterische Frühkapitalisten und aus Mitarbeitern Egomanen, die nur ihren Vorteil suchen? Über eine lebhafte Diskusssion freut sich die CW-Online-Redaktion.

SCHOLZ: Wir nähern uns einem veränderten Gleichgewicht. Unternehmen konzentrieren sich auf ihren Kern und sind am persönlichen Schicksal der Mitarbeiter allenfalls mittelbar interessiert. Keiner hat mehr einen Stammplatz: die Mitarbeiter nicht, aber auch nicht die Unternehmen in ihren Märkten. Den fairen und fürsorglichen Betrieb gibt es ebensowenig wie den loyalen und altruistischen Mitarbeiter. Braucht es aber auch nicht! Auf dieser Basis muss man anfangen zu diskutieren und sich von Worthülsen wie „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“ verabschieden. Jeder Einzelne und jedes Unternehmen hat es in der Hand, zeitgemäße Beziehungen mit einer „neuen Ehrlichkeit“ einzugehen, bei der man akzeptiert, dass Firmen im gewissen Rahmen darwinistisch sein müssen und Mitarbeiter naturgemäß opportunistisch handeln.

CW: Können sich angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage Bewerber überhaupt noch etwas anderes als Opportunismus leisten?

SCHOLZ: Vor drei Jahren lautete die Frage andersherum: Gibt es bei Arbeitskräftemangel überhaupt Darwinismus? Damals hatte das Trendmagazin „Bizz“ ein Interview zum Thema Darwiportunismus abgesetzt, weil dies im Widerspruch zu einem Bericht über HP stand. Dort gebe es weder unternehmensseitigen Darwinismus noch mitarbeiterseitigen Opportunismus. Spätestens seit dem HP-Compaq-Zusammenschluss weiß man es besser. Jetzt beklagt man generell den wirtschaftlichen Darwinismus und übersieht latenten Opportunismus. Doch den gibt es - nur versteckter und damit für Unternehmen gefährlicher.

Zur PersonChristian Scholz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes. Er lehrt, forscht und berät in den Bereichen strategisches Personal-Management und internationale Organisationsentwicklung

Zum BuchChristian Scholz: Spieler ohne Stammplatzgarantie. Der Darwiportunismus in der neuen Arbeitswelt. Weinheim (Wiley VCH) 2003, 24,90 Euro. ISBN 3-527-50052-9

 

 

CW: Wie äußert sich versteckter Opportunismus?

SCHOLZ: Mitarbeiter bewerben sich jetzt bei Arbeitgebern, zu denen sie eigentlich nicht hinwollen und bei denen sie auch nicht bleiben werden. Hiervon sollten Firmen bei ihrer Personalauswahl ausgehen, vor allem aber bei der Personalentwicklung.

CW: Aber gerade in der Personalentwicklung wird gespart. Liefern Sie mit dem Darwiportunismus nicht Argumente, das Budget für die Personalarbeit noch stärker zu reduzieren?

SCHOLZ: So hart das klingt, für ihre „Employability“, also Marktfähigkeit und Einsetzbarkeit, sind Mitarbeiter allein verantwortlich. Sicher hat das Unternehmen Interesse an qualifzierten Mitarbeitern, die es bald nicht mehr so einfach auf dem Arbeitsmarkt bekommt. Das wird auf ein Teilen von Kosten und Erträgen der Personalentwicklung hinauslaufen, aber immer unter der Beachtung des jeweili-gen „Mischungsverhältnisses“ aus unternehmensseitigem Darwinismus und mitarbeiterseitigem Opportunismus. Die Personalentwicklung wird also zu einer differenzierten risikobehafteten Investitionsentscheidung.

CW: Sie befassen sich in Ihrem Buch mit verschiedensten Firmen, unter anderem mit HP. Warum ist das Unternehmen so interessant?

SCHOLZ: Vor Jahren war HP ein Unternehmen, in dem Mitarbeiter in der firmeneigenen Kultur aufgingen, als HPler dachten und sich HP um jeden Einzelnen kümmerte. Das war aber selbst am Höhepunkt der New Economy kaum mehr finanzierbar. Eigentlich hätte der externe Druck in verstärkten internen Wettbewerb transformiert werden müssen. Ergebnis: Darwiportunismus als Kombination aus Opportunismus und Darwinismus. Doch das war angesichts der Erlebniswelt der Mitarbeiter schwierig. Als einzige Chance blieb die Fusion mit Compaq, ein Schock, der den Druck auf die Mitarbeiter erhöhte und HP zu einer Firma machte, in der Darwinismus im Mittelpunkt steht. HP war somit immer ein tolles Unternehmen für die Lehrbücher: zuerst wegen seiner faszinierenden Kultur, jetzt als Muster für eine darwiportunistische Entwicklung.

CW: Die Stimmung in den Unternehmen ist teilweise miserabel. Was raten Sie den Chefs?

SCHOLZ: Zunächst gilt es genau zu analysieren, wo man steht. Welcher externe Darwinismus wirkt auf das Unternehmen? Von welchen Mitarbeitergruppen ist auszugehen? Dann muss man sich überlegen, ob man das in dieser Form möchte. Für Bayern München gilt als Erfolgsrezept „Darwiportunismus pur“. Das ist das Ziel und das ist klar kommuniziert. Die „Rotation“ von Ottmar Hitzfeld bringt selbst Nationalspieler auf die Reservebank - mal kürzer, mal länger. Gleichzeitig kämpft jeder Spieler primär für sich.

 

CW: Und dieses Modell soll funktionieren?

SCHOLZ: Bayern München fährt damit gut, vor allem weil alle personalpolitischen Aktivitäten auf diesen Darwiportunismus abgestimmt sind. Der finanzielle, aber vor allem der soziale Kontrakt basiert hier nicht auf „Versorgung und Loyalität“: Bayern München wird auch den besten Leistungsträger der vergangenen Saison sofort freisetzen, wenn man es für richtig hält. Aussagen wie „Der Mitarbeiter hat sich Verdienste um das Unternehmen erworben“ zählen dabei nicht.

CW: Haben nur mehr Intriganten, Ehrgeizlinge mit Ellenbogen und - wie es die Schweizer Finanzzeitung „Cash“ in einer Besprechung des Buches ausdrückte - „Speichellecker“ eine Karrierechance?

SCHOLZ: Das sieht auf den ersten Blick so aus und macht es nicht einfach. Deshalb gibt es im Buch auch ein eigenes Kapitel zur individuellen Karrierestrategie. Der „liebe nette Kerl“ oder der besonders biegsame Mitarbeiter hat gegenwärtig scheinbar die besten Karten, weil Ellenbogen-Opportunisten solche Personen als devotes Fußvolk brauchen und sie auch (ein wenig) für ihre Unterwürfigkeit belohnen. Nur werden solche Firmen langfristig nicht überleben. Mein Rat: Darwinismus im Unternehmen und Opportunismus der Kollegen als Spiel auffassen, das man verstehen muss, aber nie persönlich nehmen darf. Ferner den Job suchen, der dem eigenen Darwiportunismus-Grad am nächsten kommt: Als Investment-Banker weiß ich dann, worauf ich mich einlasse, ebenso als Sachbearbeiter in der Kfz- Zulassungsstelle. Vor allem aber muss jeder davon ausgehen: Es gibt keine Stammplatzgarantie - bei Bayern München nicht und auch nicht bei Microsoft oder Daimler-Chrysler. Es

geht darum, eine Welt zu gestalten, in der Unternehmen und Mitarbeiter ihren eigenen Interessen nachgehen und gerade so die Potenziale der wechselseitigen Freiheiten nutzen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

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