Web

CW extraKT: Prozessintegration - nicht zu jedem Preis

21.05.2001
Ende der Woche erscheint die neue "COMPUTERWOCHE extra" mit dem Schwerpunkt Business Intelligence. Wir bieten Ihnen exklusiv vorab ein Interview mit Wolfgang Martin von der Meta Group.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit Business Intelligence lassen sich Lieferanten- und Kundendaten analysieren, die Kosten im Einkauf senken und der Umsatz stabilisieren, ohne dass man teure Procurement- oder C-Commerce-Systeme einführen muss, stellt Dr. Wolfgang Martin von der Meta Group im Gespräch mit der "COMPUTERWOCHE extra" fest.

CW: Ist über Data Warehousing und Business Intelligence nicht bereits alles gesagt?

MARTIN: Nicht ganz. Stark im Kommen ist derzeit das Thema Business Performance Management (BPM). Sinn und Zweck dessen ist es, die Leistung von Geschäftsprozessen zu verfolgen und sie dadurch kontinuierlich zu verbessern. Dazu sollte ein geschlossenes System - neudeutsch Closed Loop - zwischen operativen und analytischen Applikationen geschaffen werden. In diesen Kreislauf können Entscheider dann steuernd eingreifen.

CW: Welche Prozesse meinen Sie?

MARTIN: Damit sind alle Geschäftsabläufe gemeint, ob Auftragserfassung oder -bearbeitung, Vorgänge in der Produktion oder Design- und Entwicklungsaufgaben. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man nur das managen kann, was sich messen lässt. Und umgekehrt sollten Unternehmen nur dass messen, was sich auch managen lässt. Konkret sollten Anwender zunächst klären, was sie mit Informationen überhaupt machen möchten, und dann festlegen, welche Daten sie für eine Analyse heranziehen wollen. Dieses Paradigma in die Realität umzusetzen, ist die Aufgabe von Business Intelligence (BI) heute.

CW: Sie gehen bei Ihren Ausführungen davon aus, dass Unternehmen bereits prozessorientiert aufgestellt sind.

MARTIN: So weit sind die meisten Unternehmen noch nicht, obwohl seit zehn Jahren über Prozess-Engineering und -Re-Engineering diskutiert wird. In der Praxis findet man heute eher ein Gemisch aus Prozess- und Funktionsorientierung. Bei diesen Konstellationen sind Kompetenzgerangel programmiert - deshalb funktioniert E-Business auch nicht richtig.

Viele Unternehmen haben es Anfang der Neunziger leider versäumt, sich gemäß ihren Geschäftsprozessen zu organisieren und die Entscheider mit den nötigen Kompetenzen auszustatten. Einen Chief Customer Officer etwa, wie ihn die Meta Group seit langem fordert, der mit allen Kompetenzen ausgestattet ist, kundennahe Prozesse zu verbessern, gibt es sehr selten. Das gleiche gilt für den Supply-Chain-Manager.

CW: Wo kommt bei einer prozessorientierten Organisation Business Intelligence zum Einsatz?

MARTIN: BI bietet dem Prozessverantwortlichen die Möglichkeit, seine Abläufe zu untersuchen und zu bewerten. Maßgeblich dafür sind die Key-Performance-Indikatoren (KPIs). Dazu gehören unter anderem der Grad der Auftragserfüllung, Liefertermintreue, die Durchlaufzeiten etc. Diese KPIs lassen sich in Balanced Scorecards überführen, mit deren Hilfe sich ein Unternehmen wiederum steuern lässt. Mit Fürstentümern, die sich nach klassischen Unternehmensfunktionen orientieren, etwa für die Produktion den Vertrieb oder die Logistik, kommt man hier dagegen nicht weiter. Sie behindern sich gegenseitig, und darüber hinaus sind die Daten und das Verständnis über Informationen aus den unterschiedlichen Funktionsbereichen untereinander nicht kompatibel.

Die alten Zöpfe müssen also weg und den Weg frei machen für eine Prozessorganisation. Um das zu erreichen, sollte der Vorstand schon einmal auf den Tisch hauen. Wir nennen das "organisatorischen Impact".

CW: Balanced Scorecards, KPIs und Process Engineering sind alles alte Bekannte. Ist damit über Data Warehousing und BI nicht doch alles gesagt?

MARTIN: Nein, denn die wirtschaftlichen Weichenstellungen haben sich geändert: Ging es Unternehmen zu Beginn und vor allem während des E-Business-Hypes der letzten Jahre hauptsächlich um die Geschwindigkeit, mit der sie sich selbst, Produkte sowie Dienstleistungen auf den Markt bringen konnten, treten nun Kostenaspekte wieder in den Vordergrund. Die Debatte um Kostensenkung wird lauter denn je geführt. Und dabei hat sich herausgestellt, dass Business Intelligence und deren analytischen Anwendungen der einzige Weg sind, Kosteneinsparungen an der richtigen Stelle vorzunehmen. Die einsetzende Rezession in den USA wirkt sich dabei derzeit wie ein Brandbeschleuniger aus.

CW: Hierzulande predigen Management-Berater gerne noch, dass Geschwindigkeit der entscheidende Wettbewerbsvorteil sei. Wie steht es denn jetzt damit?

MARTIN: Das ist auch nicht ganz falsch. Allerdings verschieben sich die Prioriäten: Die jüngsten Kundenveranstaltungen der Meta Group haben gezeigt, dass sich auch europäische Unternehmen verstärkt auf ihre Kosten konzentrieren - allerdings unter Beibehaltung eines möglichst kurzen Time-to-Market. Betriebe haben aber gelernt, dass die Devise des letzten Jahres, so schnell wie möglich auf den Markt zu kommen, allein nicht genug ist.

Ein dauerhaft funktionierendes und erfolgreiches Unternehmen schafft die Balance zwischen der Minimierung der Kosten und Time-to-Market. In der Praxis aber beherrschen viele diesen Drahtseilakt nicht - speziell High-Tech- und Telekommunikationsunternehmen, wie sich in den letzten Monaten zeigt.

CW: Woran machen Sie das fest?

MARTIN: Die Softwareumsätze in den USA sind im ersten Quartal 2001 im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent gesunken. Das bedeutet: Unternehmen stoppen Projekte oder verschieben zumindest ihre Investitionsentscheidungen. Das schwappt auch über den großen Teich und forciert den Markt für analytische Anwendungen. Mit Hilfe der Werkzeuge sucht man nach Möglichkeiten, die Kosten zu senken. Insbesondere verlangt auch E-Business nach BI-Werkzeugen.

CW: Warum? Hier werden Anwendern doch goldene Zeiten versprochen, wenn sie alles elektronisch abwickeln und dabei die Prozesse straffen und übergreifend integrieren: E-Procurement, Supply Chain Management und Collaborative Commerce sind die Schlagworte.

MARTIN: Operative interne Prozesse sowie auch solche mit Lieferanten und Kunden durchgängig abstimmen und gestalten zu wollen - Collaborative Process Engineering nennt das die Meta Group - kostet eine Menge Geld. Ein gutes oder auch schlechtes Beispiel dafür ist E-Procurement. Hier haben sich unter anderem Ariba und Commerce One einen Namen gemacht. Durch moderne Software für den Einkauf sollen die Beschaffungsprozesse billiger und gleichzeitig schneller werden. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Jedoch zielen diese Konzepte im Wesentlichen auf die Beschaffung von indirekten Gütern, meist sogar nur von Hilfsmitteln ab, da sie am leichtesten erfassbar sind.

Der Einkauf dieser Waren macht aber durchschnittlich nur rund zehn Prozent des Gesamteinkaufsvolumens eines Unternehmens aus. Ein solches System kostet jedoch samt Einführung schnell zehn bis 20 Millionen Dollar und spart am Ende dann einige wenige Prozent. Lohnt sich das?

CW: Das heißt, Collaborative Commerce oder Procurement-Systeme rentieren sich nicht?

MARTIN: Das wäre zu pauschal ausgedrückt. Zumindest könnte hier im ersten Schritt eine Analysesoftware gute Dienste tun. Der Mineralölkonzern Shell ist beispielsweise so verfahren. Der Ölmulti baute ein Data Mart, um seine Einkaufsaktivitäten zu untersuchen, und stellte dabei auf der einen Seite fest, wie viel Geld er bei welchem Lieferanten ausgibt. Zudem fand man heraus, wie viel Prozent des Umsatzes der Lieferant wiederum mit Shell gemacht hat.

Mit Hilfe der Lieferantenbeurteilung lassen sich die wichtigen Geschäftspartner finden, mit denen man dann in konkrete Preisverhandlungen treten kann, um bessere Einkaufskonditionen herauszuholen. Dies ist zunächst effizienter, als teure Procurement-Systeme zu installieren.

Shell hat solche Untersuchungen für die Minimärkte auf seinen Tankstellen gemacht. Bei der Konsolidierung des Getränkeverkaufs fanden die Analysten erstens heraus, dass in den Shops große Mengen Coca Cola verkauft werden. Die zweite Erkenntnis war, dass man der größte Wiederverkäufer für die braune Limonade ist. Mit diesem Ergebnis hat man die Verkäufer bei Coca Cola konfrontiert. Deren Kommentar gegenüber Shell lautete: "Schade, dass ihr das jetzt wisst."

CW: Wie kommt man denn an solche Daten?

MARTIN: Dun and Bradstreet liefert beispielsweise Informationen, anhand deren man herausfiltern kann, wie Lieferanten untereinander verflochten sind. Daraus lässt sich ein Gruppenumsatz herausrechnen und das verglichen mit den Geschäftszahlen in unserem Beispiel von Coca Cola ergibt den Umsatzanteil. Dabei helfen mittlerweile auch Produkte wie das Metadaten-Management von Kalido. "E-Source" von i2 Technologies (ehemals Aspect Development - Anm. d. Red.) und das "Supplier Relationship Management" (SRM) von SAS eignen sich ebenfalls dafür. Auch Informatica hat neue analytische Applikationen vorgestellt, mit denen eine Lieferantenbeurteilung möglich ist. Alle diese Systeme greifen dazu auf Daten von Dun and Bradstreet zurück.

CW: Welchen Effekt hatte die Erkenntnis für Shell?

MARTIN: In Verhandlungen mit dem Vertrieb von Coca Cola wurden günstigere Zahlungsbedingungen und Rabatte erzielt. Das spart Shell nun etliche Millionen. Hätte man mit Hilfe von Commerce One, Ariba oder einer anderen Procurement-Lösung versucht, die operativen Beschaffungsprozesse zu integrieren, hätte es deutlich mehr gekostet, dasselbe zu erreichen.

CW: Was empfehlen Sie Anwendern?

MARTIN: Im ersten Schritt sollten Unternehmen mit Hilfe von BI-Anwendungen den Einkauf untersuchen, die Kostentreiber ausmachen und das Verhältnis zu den Lieferanten analysieren. Zweitens lassen sich dann konkret Konditionsverhandlungen führen. Einem Zulieferer bieten sich neben Rabatten aber auch andere Möglichkeit, seinen Top-Kunden entgegenzukommen: Etwa durch eine höhere Liefertermintreue, bessere Produktqualitäten etc.

Sind die Möglichkeiten der Analyse ausgereizt, sollten Unternehmen als letzten Schritt überlegen, ob die Einführung von Procurement-Systemen und Collaborative Commerce noch weitere positive Auswirkungen auf das Geschäft haben kann.

CW: Das klingt banal: Erst denken und dann handeln. Wird das nicht schon immer so gemacht?

MARTIN: Nein. In der Vergangenheit hieß es immer, die operativen Prozesse müssen zuerst mit Systemen unterstützt werden, damit man daraus Daten für die Analyse gewinnen kann. Jetzt gibt es auch Beispiele, wo die Analyse zuerst kommt. Mit einem kleinen Data Warehouse für Supplier-Relationship-Management bekommt man für 20 Prozent der Investitionskosten mindestens 80 Prozent des Werts von Beschaffungslösung à la Ariba und Commerce One.

CW: Funktioniert das auch in anderen Anwendungsbereichen?

MARTIN: Ähnliche Erfahrungen haben wir im Bereich Customer Relationship Management (CRM) gemacht: Zuerst sollten Unternehmen herausfinden, wer überhaupt die Kunden sind, und sich dann überlegen, welchen Service man den verschiedenen Gruppen zuteil werden lassen möchte - Direkt- oder Partnervertrieb, Betreuung durch ein Call Center oder Verkauf und Betreuung via Web. Zu guter Letzt sollten dann entsprechende IT-Systeme die Vertriebs-, Service- und Marketingaktivitäten unterstützen.

CW: Welche weiteren BI-Trends sehen Sie in den nächsten zwei Jahren?

MARTIN: Kennzahlensysteme und Datenanalyse gehören im Controlling mittlerweile zum Stand der Technik. Neu ist, dass nun auch andere Unternehmensfunktionen und -prozesse sich analytischer Software bedienen - wie bereits erwähnt im Bereich Beschaffung oder in Form von Marktplatz-Analytics. Dazu integrieren Procurement-Anbieter Analysefunktionen in ihre Produkte. Ein weiteres Feld ist CRM: Auch hier bieten Hersteller eigene Analysebausteine an oder kooperieren mit BI-Anbietern.

CW: Ein Schlagwort im Zuge von E-Business ist E-Intelligence, speziell die Analyse von Click-Stream-Usage, die viele Anbieter stark bewerben.

MARTIN: Zunächst einmal ist E-Intelligence nichts anderes als BI, jedoch in Echtzeit. Das gab es so bislang nicht. Allerdings haben die bisherigen Verfahren der Web-Usage-Analyse keinen großen Nutzen. So wird beispielsweise festgestellt, wie viel Klicks pro Tag und Seite ein Unternehmen hat, oder vielleicht auch noch, auf welcher Page die meisten User aussteigen. Dabei handelt es sich aber um rein beschreibende Statistiken, die zwar toll aussehen - viele bunte Charts etc. Aber was macht man damit? Es lässt sich in der Folge höchstens darüber spekulieren, warum eine Seite oder Produkt mehr Interesse beim Web-Surfer findet, ein anderes weniger.

CW: Wie sollte man E-Business-Daten denn auswerten?

MARTIN: Das Verhalten der Nutzer zu verfolgen und zu analysieren ist grundsätzlich schon wichtig. Wenn dabei festgestellt wird, dass Anwender in manche Bereiche etwa in Kataloge nicht vordringen, können Wizards oder elektronische Guides durch den Prozess leiten und versuchen, dem User auf Basis seines bekannten Nutzerprofils ein neues Produkt zu verkaufen. Die Stichworte hier sind Cross- und Up-Selling. Das wäre ein sinnvolles Beispiel für BI im E-Business.

Die Auswertung dafür steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Anbieter, die sich damit beschäftigen sind Quadstone, MINE it, Data Distilleries, Eudaptics, Prudsys, SPSS mit "Customer Centric", Blue Martini und der deutsche Anbieter Innovations.

CW: Ein weiterer Trend ist "Analytics goes mobile". Was genau ist darunter zu verstehen?

MARTIN: Das bedeutet, den Kunden über Lokalisierung gezielt anzusprechen, also ihm etwa den Hinweis auf das aktuelle Kinoprogramm schicken, vor dem er gerade steht - Location based Services nennen das die Anbieter. Ein weiteres Beispiel wäre, wenn eine Einkaufs-Mall an den Kunden, der sich gerade in der Einkaufsmeile befindet, die aktuellen Angebote sendet. Das ist zwar noch Zukunft, rückt aber auf Basis neuer leistungsfähiger Mobilfunkstandards wie UMTS in greifbare Nähe. UMTS-Lizenzen enthalten unter anderem die Möglichkeit, die Navigations- und Lokalisierungsdaten weiterzugeben - das haben die Datenschützer bisher noch nicht bemerkt.

Aber auch im Bereich Business-to-Business lassen sich Anwendungsbeispiele für Mobile Analytics finden. So können Unternehmen quasi online ihren Außendienst unterstützen, indem sie dem Verkäufer vor Ort während des Verkaufsgesprächs Produkt- und Preisänderungen mitteilen. Auch neueste Informationen zur Verfügbarkeit von Waren und der Bonität des Klienten könnten dem Vertriebsmitarbeiter sinnvoll unterstützen. Der erste Schritt dahin sind SMS-Nachrichten.

CW: Wann rechnen Sie damit, dass Mobile Analytics im großen Stil betrieben wird?

MARTIN: Nicht vor 2003 beziehungsweise 2004.