Corporate Networks/Verzeichnisdienst erleichtert die spontane Kommunikation Auch virtuelle Arbeitsplaetze per X.500-Directory einbinden

01.12.1995

Von Peter Pawlita*

Mit dem Wandel von Geschaeftsprozessen und Organisationsstrukturen aendern sich gleichzeitig auch die Kommunikationsbeziehungen in den Unternehmen. Neue Technologien kommen zum Einsatz. Dazu zaehlen die X.500-Directories.

Electronic Mail wird lokal und global immer mehr genutzt. Teleworker erwarten sowohl zu Hause als auch auf Reisen einen aehnlich angenehmen Arbeitsplatz wie im Betrieb. Anwender brauchen neben dem Kommunikationsmedium selbst ein staendig aktuelles Nachschlagewerk fuer die Adressen und Eigenschaften aller, mit denen sie in ihrem Unternehmen Kontakt halten muessen. Problematisch ist, dass die Kommunikationsverzeichnisse (Directories) heutiger LAN-Netzwerk-Betriebssysteme und LAN- basierten E-Mail-Systeme in der Regel nur ueber Benutzer der eigenen Domaene Auskunft geben.

An loesungsspezifischen Directories herrscht kein Mangel: oeffentliche und Branchentelefonbuecher; Abteilungstelefonlisten; Telefonverzeichnisse in Nebenstellenanlagen (Private Branch Exchanges = PBX), PC- beziehungsweise Notebook-Anwendersoftware und in Taschenkalendern; E-Mail-Adressverzeichnisse; Rechnerverzeichnisse in verteilten Computersystemen etc.

Leider sind diese Directories im Regelfall anwendungs- und standortspezifisch, redundant sowie inkonsistent und werden von verschiedenen Personen verwaltet. Dies verhindert effektive Kommunikationsbeziehungen auf unternehmensweiter und globaler Ebene, verursacht Zeitverschwendung bei den Benutzern und fuehrt zu redundanter Parallelarbeit bei der Directory-Datenpflege und damit zu groesseren verdeckten Kosten.

Hier schaffen standardisierte, fuer den firmenweiten Einsatz praedestinierte Directories Abhilfe, die auch die existierenden Benutzerverzeichnisse integrieren. X.500-konforme Directories beantworten Fragen wie: "Wie lautet die E-Mail-Adresse von Herrn Mustermann in der Firma xyz?", "Welche Faxnummer hat Kollege Mayer? Wenn er kein Fax hat, ist er ueber E-Mail erreichbar?", "Welche neue Telefonnummer hat Herr Mueller nach seinem Umzug an dem neuen Standort?", oder "Wie heisst der Zustaendige im Bereich abc fuer den Vertrieb der Produkte xyz?"

Durch die mittlerweile starke Dezentralisierung der Anwenderunternehmen sind die Kommunikationsmoeglichkeiten wesentlich vielfaeltiger geworden. Das Firmen-Know-how ist auf eine grosse Zahl von Personen verteilt. Neben geregelten Geschaeftsprozessen mit festgelegten Partnern waechst die Notwendigkeit, fallweise mit verschiedenen Personen in Kontakt zu treten und auf wechselnde Informationsbestaende zuzugreifen.

In dieser Situation wird ein leistungsfaehiges Directory zu einem Navigator, um sich im Labyrinth der Personen und Informationen in einer groesseren Organisation schnell und zuverlaessig zurechtzufinden (vgl. Abbildung 1). Es uebernimmt die Rolle eines Informationsbueros fuer Kommunikation und Informationszugriff. Dabei hilft es nicht nur bei der Suche nach Personen, sondern auch bei der Recherche nach Ressourcen und katalogisierbaren Informationsbestaenden (zum Beispiel "Yellow Pages" fuer Produkte und Dienstleistungen)". Diese muessen nicht auf einem Directory- Server liegen, fuer den Benutzer reicht die "Information ueber Information".

An modernen, integrierten Arbeitsplaetzen in Wirtschaft und Verwaltung sollten die erforderlichen Directory-Daten "on demand" sofort verfuegbar sein, um eine schnelle und reibungslose Kommunikation sicherzustellen. Die Directories sollten nahtlos mit Anwendungen wie etwa E-Mail integrierbar sein. Insbesondere muessen sich Adressdaten zwischen Directory und den produktiven Kommunikationsdiensten leicht importieren und exportieren lassen.

In vielen elektronischen Geschaeftsprozessen (zum Beispiel Electronic Data Interchange = EDI) kann die Adressenbereitstellung aus dem Directory voellig automatisch erfolgen. Fuer die Routinekommunikation sollte das Directory nicht als eigenstaendiger Service sichtbar sein, sondern als unsichtbarer Helfer fungieren. Der Idealzustand ist ein Directory fuer verschiedene Anwendungen mit einfacher Bedienung und komfortablen Suchhilfen.

Zudem sollte ein qualifizierter Datenbestand vorhanden sein, der neben Adressen auch Angaben wie Profile, Ersatzadressen bei Abwesenheit etc. umfasst. Der Zugriff auf den globalen Datenbestand wird durch einen Durchgriff ueber das lokale Verzeichnis ermoeglicht. Wuenschenswert ist eine einheitliche Sicht auf alle entfernten Directories, wie es mit X.500 moeglich wird (vgl. Abbildung 2). Der Austausch von Daten zwischen den Directory- Servern erfolgt automatisch und fuer den Benutzer unsichtbar.

X.500-Directories ermoeglichen den Online-Zugriff von jedem Punkt der Welt aus. Das gilt auch fuer virtuelle und mobile Arbeitsplaetze sowie fuer den Soho-Bereich. Der Directory-Service ist rund um die Uhr verfuegbar.

Ein unternehmensweites Directory stellt ein uebergreifendes Kommunikationsverzeichnis auf Unternehmensebene bereit. Ein echtes Corporate Directory muss fuer alle Mitarbeiter eines Unternehmens nutzbar sein. Es integriert sowohl traditionelle E-Mail-Teilnehmer als auch die Nutzer anderer Kommunikationsdienste wie Fax, Telex und Telefon.

Additive Funktionen von Directories

Diese Directories eignen sich neben E-Mail auch fuer andere Kommunikationsanwendungen wie verteilte Verarbeitung (zum Beispiel Distributed Computing Environment = DCE), andere OSI-Dienste (wie FTAM, EDI) etc.

Corporate Directories verfuegen darueber hinaus ueber additive Funktionen zum Beispiel zur Integration vorhandener Datenbestaende. Dazu kommen Accounting-Funktionen zur quantitativen Erfassung beziehungsweise Abrechnung der tatsaechlichen Nutzung. Corporate Directories werden von einer verantwortlichen Organisationseinheit betrieben oder mindestens koordiniert.

Die einzige derzeit bekannte Technologie zur Realisierung unternehmensweiter, herstellerunabhaengiger Directories ist X.500. Fuer den Benutzer am Arbeitsplatz verhaelt sich ein Corporate Directory auf Basis von X.500 wie das in Abbildung 1 gezeigte Information Office oder ein elektronischer Navigator. Es bietet Informationen ueber Objekte und Partner in einem weitverzweigten vernetzten System. Weiterhin ist es aufgrund offener Application Programming Interfaces (APIs) eine "Middleware" fuer verschiedene Anwendungen, die darauf zugreifen und sich der dort gespeicherten Informationen bedienen.

Verteilbar auf beliebig viele Rechner

Die fuer den Einsatz wichtigsten Eigenschaften eines X.500- Directorys sind vor allem seine leichte Verteilbarkeit auf beliebig viele Rechner, also Skalierbarkeit, ferner die leichte Verteilung von Datenbestaenden auf mehrere Rechner und das automatische Weiterreichen von Anfragen, wenn der befragte Rechner die gewuenschte Information nicht enthaelt.

X.500 kann als marktreife Technologie gelten, da mittlerweile mehrere entsprechende Produkte existieren. In einer gewachsenen Umgebung mit vorhandenen E-Mail-Systemen muessen im Regelfall die Daten der E-Mail-System-eigenen Adressverzeichnisse weiter nutzbar bleiben. Daher muss ein neu einzufuehrender X.500-Verzeichnisdienst meist mit bereits vorhandenen Verzeichnissen der E-Mail-Systeme zusammenarbeiten. Generell gilt das Ziel, dass das Unternehmen jederzeit ueber ein aktuelles Gesamtverzeichnis aller Mitarbeiter verfuegt.

Zur Integration existierender lokaler Verzeichnisse in einer einheitlichen X.500-Datenbasis bietet sich die sogenannte Directory-Synchronisation an. Dabei werden alle lokalen E-Mail- Verzeichnisdaten (oder auch deren Aenderungen) in ein gemeinsames X.500- Directory importiert und dort allen Benutzern zur Verfuegung gestellt.

"Schmiermittel" fuer die Kommunikation

Corporate Directories mit X.500 werden ein "Schmiermittel" fuer eine verbesserte, raschere und spontanere Kommunikation und damit unverzichtbar fuer eine schlanke Kommunikation in den Unternehmen sein. Zur Nutzung des Directory-Service lassen sich PC- Arbeitsplaetze in verschiedener Form einbinden.

Eine Moeglichkeit sind Client-Softwareprodukte, die mit dem X.500- Service auf dem Server ueber unterschiedliche Netze zusammenarbeiten (vgl. Abbildung 3). Praktikabel ist auch die Nutzung von Anwendungen mit Hilfe des standardisierten X.500-APIs (XDS/XOM). Die Anbindung kann ferner ueber Client-Server-Protokolle erfolgen.

Man unterscheidet dabei das standardisierte Directory Access Protocol (DAP) und das verwandte Light-Weight Protocol (LDAP). Schliesslich sind "Enabler" fuer PC-Anwendungen wie zum Beispiel MAPI verwendbar. Fuer den gelegentlichen Zugriff auf X.500- Directories kommen auch die populaeren World-Wide-Web- Browser im Internet in Frage.

Der Nutzen eines X.500-Directorys steigt, wenn es mehrere Anwendungen beziehungsweise Services gleichzeitig unterstuetzt. Zu denken waere hier etwa an Buero-, Sprach- und Telekommunikations- Anwendungen wie E-Mail (zum Beispiel X.400) und Telekommunikationsdienste wie Telefax, Bildschirmtext, Teletex, Computer Supported Telephony oder Bildfernsprechen/Videokonferenz etc. Genausogut bieten sich Online-Informationsdienste wie Yellow- Pages-Services (elektronische Nachschlagewerke aehnlich Branchentelefonbuechern) an. Konforme Directories gelangen ferner zum Einsatz bei offener, verteilter Verarbeitung (DCE), Datenkommunikation (FTAM, EDI, vorhandene Transportnetze, etc.) und Netz-Management.

Im Zusammenhang mit Security-Konzepten eignet sich die X.500- Middleware vorzueglich, um darauf eine solche Security- Infrastruktur zu realisieren. Fuer verschiedene Anwendungen werden heute leider vielerorts loesungsspezifische Systeme implementiert, die natuerlich nicht zueinander passen. Schluessel und digitale Unterschriften sind personenspezifisch, ihre Speicherung in einem Directory damit naheliegend. X.500 bietet eine standardisierte Methode zur Feststellung von Identitaeten von Personen (Authentizierung). Corporate Directories mit X.500 werden derzeit immer haeufiger bei vielen grossen Kunden geplant und realisiert. Ein Beispiel ist das Corporate Directory im weltweiten Siemens Corporate Network.

Der wie bei jeder neuen Technologie vorhandene Anwendungsstau loest sich allmaehlich auf, auch weil entsprechende Produkte in den USA einen wachsenden Markt finden. Einen weiteren Schub werden die bei den Telecom-Gesellschaften in Vorbereitung befindlichen oeffentlichen X.500- Directories bringen.

*Dr. Peter Pawlita ist Manager Strategisches Marketing- Kommunikationsprodukte der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG in Muenchen.