Corel setzt alles auf neue Produkte

23.07.2002
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Softwareanbieter Corel kämpft seit Jahren um das Überleben und ein eigenes Profil. Neue Tools sollen im Herbst dafür sorgen, dass aus den Verlusten Gewinne werden.

Klein sind die Konkurrenten nicht gerade, die mit dem kanadischen Softwarehaus Corel um Marktanteile streiten: Im Grafikbereich tritt die Firma mit „Corel Draw“ gegen Adobe an, dessen Gesamtumsatz etwa zehnmal so groß ist. Im Office-Segment („Wordperfect“) misst man sich am Wettbewerber Microsoft, der neben seinen finanziellen Ressourcen auch noch über 90 Prozent des Marktes verfügt - und es sich leisten konnte, den kanadischen Konkurrenten mit einer Finanzspritze am Leben zu erhalten.

Im Oktober 2000 hatte Microsoft 135 Millionen Dollar in Corel investiert, um verschiedene „juristische Angelegenheiten“ zu bereinigen. Analysten mutmaßten damals, Microsoft könne es sich mitten im Antitrust-Prozess nicht erlauben, einen direkten Wettbewerber zu verlieren. „Das ist möglicherweise ein Faktor gewesen“, sagt Corels CEO Derek Burney heute.

Für die Kanadier war es fünf vor zwölf, als die rettende Kapitalspritze aus Redmond einging. Vorher war eine geplante Übernahme von Inprise/Borland in letzter Minute geplatzt, die 240 Millionen Dollar Bargeld in die Kassen gebracht hätte. Corels Reserven waren zu dem Zeitpunkt so gut wie aufgebraucht, der Liquiditätsengpass bereits öffentlich eingeräumt worden. Auch die ambitioniert gestartete Linux-Strategie musste aufgegeben werden. Möglich machte den Deal mit Microsoft aber erst der Rücktritt von Corels CEO und Gründer Michael Cowpland, der aus seiner Ablehnung der Gates-Company nie einen Hehl gemacht hatte.

Für eine „Übergangsphase“ wurde Burney daraufhin vom Cheftechniker zum CEO befördert - woran sich bis heute nichts geändert hat. „Meine Beziehung zu Microsoft war immer gut“, so Burney, weswegen die Beteiligung innerhalb eines Monats unterschriftsreif gewesen sei. Schließlich habe der Konzern damals nach Partnern gesucht, die Programme für die neue .NET-Plattform entwickeln wollten: „Daher haben sie uns damals geholfen.“

Die Funktion des Alibikonkurrenten zu Microsoft im Office-Bereich weist Burney jedoch von sich: „Der Wettbewerb läuft weiter“, nur im Grafiksegment sei man inzwischen Partner. Durch Verträge mit Dell und Sony außerhalb Europas wachse die Office-Abteilung beständig und ist laut Burney sogar profitabel. Verluste - davon gab es in den vergangenen Quartalen reichlich - bereiten indes die neuen Enterprise-Produkte, die erst zugekauft oder entwickelt werden mussten. Im vergangenen Quartal (Ende: 31. Mai) belief sich das Nettominus auf 6,3 Millionen Dollar bei 30,8 Millionen Dollar Umsatz.

Im Herbst erscheint das Publishing-Tool "Ventura" in der Version 10, und auch Corel Draw wird dann in der Version 11 auf den Markt kommen. Dies wirkt sich zwar nicht mehr auf die Zahlen des aktuellen Quartals aus, das ähnlich wie der vorige Berichtszeitraum verlaufen soll. Für die Monate September bis November hat Corel allerdings einen Umsatzanstieg von 15 bis 20 Prozent eingeplant. Spätestens 2003 will die Company profitabel sein. Vielleicht können es sich die Kanadier dann auch wieder leisten, eine lokalisierte Version von Wordperfect hierzulande auf den Markt zu bringen - um den Druck auf den einstigen Retter zu erhöhen.