Europaweit standardisierte Vertriebsprozesse

Continental mobilisiert den Außendienst

01.08.2003
MÜNCHEN (kf) - Im Zuge einer Europäisierung ihres operativen Geschäfts beschloss die Continental AG, Hannover, vor sechs Jahren, ihre Vertriebsprozesse landesübergreifend zu standardisieren. Mitterweile hat der Automobilzulieferer in 14 Ländern eine mobile IT-Infrastruktur aufgebaut und ein Vertriebsinformationssystem entwickelt, das die Effizienz des Außendiensts deutlich steigert.

"Das Gros unserer europäischen Kunden hat bereits vor Jahren begonnen, sich grenzüberschreitend zu organisieren", erklärt Hans Borchert, Project Manager im Bereich Marketing Car Tyres Europe bei Continental, die Entscheidung des Unternehmens, der Vertriebsorganisation einen Europa-Anstrich zu verleihen.

Noch Mitte der 90er Jahre erhielten die Mitarbeiter des Continental-Vertriebsaußendienstes die für ihr operatives Geschäft benötigten Informationen per Post beziehungsweise Fax oder mussten ihre jeweiligen Niederlassungen persönlich aufsuchen, um sich mit dem erforderlichen Datenmaterial zu versorgen. Nicht zuletzt aufgrund des steigenden Kostendrucks im Vertriebsbereich sah sich das Unternehmen gezwungen, nach neuen Wegen zu suchen.

Am Anfang stand die Zentralisierung

Im Zuge erster Zentralisierungsmaßnahmen wurden zunächst eine Vielzahl von Niederlassungen und Verkaufsstandorten aufgelöst und erste "mobile" Büros und Home-Office-Arbeitsplätze eingerichtet. "Zu dieser Zeit ist bei uns auch die Idee der Call-Center aufgekommen", erinnert sich Borchert. Bis dahin hätten Mitarbeiter des Vertriebsinnendienstes als dezentrale Auftragsannahmestellen fungiert, bei denen die Kunden ihre Order platzieren konnten. "Heute haben wir hierfür in jedem unserer europäischen Absatzmärkte ein zentrales Call- beziehungsweise Service-Center", so der Projektleiter.

Um seine IT-gestützten Vertriebsprozesse europaweit zu vereinheitlichen und damit effizienter zu gestalten, setzte der Konzern 1997 gemeinsam mit dem Münchner Softwarehaus Beck et al. Projects das Projekt "Moses" (Mobile Office System for Continental''s European Salesforce) auf. Primäres Ziel war es, eine in Sachen Connectivity und Sicherheit zeitgemäße IT-Infrastruktur für den mobilen Außendienst zu schaffen und diese durch eine moderne Informations- und Kommunikationsplattform zu unterstützen. Damit sollten vor allem die Qualität der Kundenbeziehungen weiter verbessert und eine stärkere Fokussierung der einzelnen Außendienstaktivitäten auf die Vorgaben von Continental ermöglicht werden. Darüber hinaus wollte das Unternehmen die Verkaufsaktionen seiner Salesforce beschleunigen und Neugeschäft generieren. Der mit dem Großprojekt verbundene CRM-Ansatz geht jedoch über den Einsatz neuer Technik hinaus. "Zwar ist Moses vordergründig ein System oder ein Werkzeug, es wird aber stets auch als Projekt zur Organisationsentwicklung verstanden", bestätigt Borchert.

Moses - die Applikation

Die Moses-Applikation selbst ist aus einer zuvor in Deutschland eingesetzten Eigenentwicklung namens "Amicus" (Außendienst-Marketing-Informationssystem) mit bereits mobilem Charakter entstanden. "Im Prinzip wurde mit Moses das deutsche Vorreitersystem zu einer dediziert europäischen Lösung ausgebaut", erläutert der Projekt-Manager die Entstehungsgeschichte des hauseigenen CRM-Systems. Es stellt den Vertriebsmitarbeitern jederzeit und unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort die für ihre tägliche Arbeit relevanten Informationen für die Kundenbesuchsvorbereitung und -nachbereitung zur Verfügung. Zudem unterstützt es die Zusammenarbeit der mobilen Außendienstler mit den jeweiligen Landeszentralstellen.

Folgende Kernvertriebsprozesse werden in der Moses-Applikation abgebildet:

-Die Dokumentation des kundenbezogenen Wissens durch die Module "Kundendatenbank", "Ansprechpartner", "Kundenanalyse" sowie "Konditionen";

-das Monitoring der Kunden-Performance durch die Module "Statistiken", "Zielvereinbarungen", "Soll-Ist-Vergleich", "Offene Aufträge" und "Kreditinfo";

-das Berichtswesen über Kundenbesuche durch die Module "Betreuungsplanung", "Kalender", "Besuchsberichte" und "Wochenberichte";

-das Teilen von Marktinformationen, die man über den Kunden erhält, durch die Module "Wettbewerbsinfo", "Marktinformationen" und "Schwarzes Brett".

Aufgebaut wurde die CRM-Anwendung zunächst ausschließlich auf Lotus Notes 4.6. Die Groupware-Plattform habe sich bewährt, erweise sich allerdings in Sachen Betrieb und Wartung bisweilen als aufwändig, so Borchert. Mittlerweile wurde die Applikation im Zuge der Einführung von Lotus Notes als konzernweiter Collaboration- und Workflow-Standard auf Version 5 migriert. Das erweiterte die Gestaltungsmöglichkeiten nach Angaben des Unternehmens erheblich: So lassen sich heute beispielsweise Java-Applets in die Applikation integrieren.

Komplexität bleibt dem Nutzer verborgen

Heute arbeiten die Außendienstler bei Continental bereits mit der zweiten Notebook-Generation und verfügen über einen eigenen Internet-Account. Der Datenaustausch "on the road" erfolgt über ein GSM/GPRS-Modem, während sich die Verbindung zum firmeneigenen Intranet stationär - etwa im Hotel oder Home-Office - mit Hilfe einer ISDN-Karte oder über DSL herstellen lässt. Via Replikation werden auf der Basis von Lotus Notes/Domino die wichtigsten Kunden- und Produktdaten stets auch offline verfügbar gemacht.

Dank eines Software-Routers bleibt dem Anwender die Komplexität der einzelnen Connectivity-Features verborgen: Ohne Interaktion von Seiten des Nutzers startet der Router die Verbindungsanwahl mit der jeweils verfügbaren Technik (ISDN, GSM/GPRS, DSL oder analoges Modem), fungiert darüber hinaus als Firewall und dient dem Aufbau sicherer Virtual-Private-Network-(VPN-)Tunnels über das Internet. Für die lokale Sicherheit der Continental-Laptops sorgt eine Verschlüsselungssoftware in Verbindung mit einer Smartcard: Nur im Zusammenspiel der beiden Komponenten lassen sich die Daten lesen und verarbeiten.

Rund 1400 Moses-Anwender

Mittlerweile läuft das vor rund fünf Jahren eingeführte Moses-System in 14 europäischen Ländern produktiv - unter anderem in Deutschland, Belgien, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Norwegen, Schweden, Finnland, Österreich, Italien sowie der Schweiz. Ende 2000 war der Rollout, mit dem das ebenfalls in der bayerischen Landeshauptstadt ansässige Dienstleistungsunternehmen Beck et al. Services betraut war, abgeschlossen. Parallel dazu wurde im Frühjahr 2000 auch der nordamerikanische Markt angebunden - auf die gelungene Überzeugungsarbeit im "Heimatland von Siebel" seien die IT-Verantwortlichen in seinem Unternehmen besonders stolz, so Borchert. Letzten Relikten der alten Infrastrukturen wiederum soll noch in diesem Monat der endgültige Gnadenstoß versetzt werden. Je nach Größe der nationalen Vertriebsorganisation sind für den Automobilzulieferer in den jeweiligen Ländern zwischen acht und 180 Außendienstler unterwegs. Genutzt wird Moses derzeit von insgesamt rund 1400 Vertriebsmitarbeitern - nach Angaben des Projekt-Managers eine der bislang "umfangreichsten Application-Communities".

Zu den mit der neuen Lösung erzielten Vorteilen zählt Borchert in erster Linie eine dank höherer Informationstransparenz deutlich verbesserte Kundenbetreuung durch den Außendienst. Das würden unter anderem unabhängige Studien zur Kundenzufriedenheit etwa in Frankreich belegen: "Nicht zuletzt durch die konsequente Nutzung des Systems ist es uns im Mutterland von Michelin gelungen, zur besten Organisation in Sachen Kundenzufriedenheit gekürt zu werden", freut sich der Continental-Mann. Darüber hinaus habe man mit Hilfe der mobilen Infrastruktur nicht nur durch die Schließung von Niederlassungen und entfallende Reisekosten erhebliche Einsparungen erzielt; dank der Implementierung von VPNs sowie Konsolidierungsmaßnahmen im Bereich des Server-Managements hätten sich auch die Kosten für den IT-Betrieb deutlich zurückfahren lassen. Konkrete Angaben zum finanziellen Gesamtaufwand des Moses-Projekts wollte das Unternehmen nicht machen. "Unsere jährlichen Kosten pro Anwender - bezogen auf die mobile Komponente - sind deutlich niedriger als die Kosten bekannter Standardlösungen", so Borchert.

Ernsthafte Stolpersteine in technischer Hinsicht hat es nach Angaben des Projektverantwortlichen weder hinsichtlich der Applikation noch beim Aufbau der Infrastruktur gegeben. Vereinzelt sei es zu Pannen gekommen, weil bestimmte Bugs in der Testumgebung unentdeckt geblieben waren, sich dann aber im Produktivbetrieb bemerkbar gemacht und Schaden angerichtet hätten. "Daraufhin mussten auf einigen Notebooks langwierige Fernwartungen und Software-Updates vorgenommen werden, um die Systeme korrekt nachzukonfigurieren", erinnert sich Borchert.

Für Akzeptanz sorgen

Als größte Herausforderung habe sich jedoch weniger die Technik als vielmehr die Aufgabe erwiesen, den Mitarbeitern die neue Mobillösung schmackhaft zu machen und sie von der damit einhergehenden veränderten Arbeitsweise zu überzeugen. "Man musste den Leuten klar machen, worin der Nutzen des Systems besteht - eine neue elektronisch unterstützte Form des organisierten und strukturierten Arbeitens war angesagt", so der Change-Management-Spezialist bei Continental. Die mit der Einführung der CRM-Lösung verbundenen psychologischen Barrieren werden seiner Ansicht nach immer noch weit unterschätzt. "Man kreiert ein neues System, das für sich spricht, und geht selbstverständlich davon aus, dass sich die User mit wahrer Begeisterung darauf stürzen und es dann konsequent anwenden." Das sei jedoch nicht der Fall. Besonders bei Mitarbeitern, die bisher ein "freizügigeres" Arbeiten gewöhnt seien, stoße man oft auf heftige Widerstände. Das Unternehmen habe jedoch erkannt, dass ein CRM-System nur so effektiv wie seine Nutzung sein könne. Demnach werde bei Continental stets ein Teil des Budgets für akzeptanzfördernde Maßnahmen wie intensive Trainings hinsichtlich der Applikation und der damit verbundenen Geschäftsprozesse verwendet.

Das A und O ist der User-Support

Als wesentlichen Erfolgsfaktor sieht der Continental-Manager demnach eine umfassende Nutzerbetreuung. Zu diesem Zweck hat das Unternehmen ein zentrales, weltweit agierendes Moses-Support-Center eingerichtet, das in zehn Sprachen geführt und von Beck et al. Services betreut wird. "Wenn man einen Verkäufer in Finnland, Lappland oder Texas in einem einsamen Hotelzimmer mit seinen IT-Problemen allein lässt, kommt das wie ein Bumerang auf das Unternehmen zurück", erläutert Borchert.

"Was wir in der ersten Generation von Moses vielleicht etwas zu wenig unterstützt haben, ist die Funktion des Sales-Managers mit seiner Aufgabe, den Vertrieb zu lenken", räumt Borchert im Nachhinein ein. Notwendig seien demnach Analyse -, Steuerungs- und Monitoring-Tools, die es dem Vertriebsleiter ermöglichen, seinen Führungsaufgaben besser gerecht zu werden.

Die Moses-Applikation wird seit 1998 kontinuierlich weiterentwickelt und an modifizierte Arbeitsabläufe und organisatorische Veränderungen angepasst. Mittelfristig will sich der Konzern an die Entwicklung der zweiten Moses-Generation machen.

Steckbrief

Ziel: weltweite Standardisierung der Vertriebsprozesse, Aufbau einer europaweiten IT-Infrastruktur für den mobilen Außendienst, Entwicklung eines entsprechenden Vertriebsinformationssystems;

Unternehmen: Automobilzulieferer;

Zeitrahmen: Frühjahr 1998 bis Ende 2000;

Ergebnis: besserer Kundenservice, Kostenreduktion im IT-Betrieb, Optimierung in Sachen Connectivity und Sicherheit;

Stand heute: im Produktivbetrieb;

Basis: eigenentwickelte Applikation auf Basis von Lotus Notes 5, Notebooks;

Realisierung: In Eigenleistung mit Unterstützung von Beck et al. Projects und Beck et al. Services.

Das Unternehmen

1871 in Hannover gegründet, gehört der Continental-Konzern heute zu den führenden Automobilzulieferern. Mit rund 64 500 Mitarbeitern an über 100 Produktionsstandorten ist das Unternehmen in Europa, den USA, Asien, Afrika, dem Nahen Osten sowie Mittel- und Südamerika präsent. Continental gliedert sich in die Bereiche Continental Automotive Systems, Pkw- und Nfz-Reifen sowie Contitech. Gefertigt werden unter anderem elektronische Bremssysteme für Pkw, Reifen für Pkw, Nutzfahrzeuge und Zweiräder, Antriebssysteme, Profile, technische Schläuche und Schlauch-leitungen, Formteile, Luftfedern sowie Transportbandsysteme. Im vergangenen Jahr erzielte der Konzern einen Gesamtumsatz von 11,4 Milliarden Euro.

Zehn CRM-Gebote aus dem Hause Continental

Aus Erfahrung wird man klug - Projektleiter Hans Borchert fasst die im Zuge des Moses-Projekts gelernten Lektionen zusammen:

- Ein CRM-Projekt braucht von Anfang an eine klare Mission.

- CRM ist stets als umfassender Ansatz (inklusive Training und Support) und nicht nur als Applikation zu verstehen.

- Bei der Definition der Anforderungen an die Lösung müssen zunächst die Prozesse betrachtet und dann erst die entsprechenden Funktionen festgelegt werden.

- Es lohnt sich, auf hohe Softwarequalität zu achten, um die Betriebskosten niedrig zu halten.

- Benutzerfreundlichkeit der Lösung ist das A und O - nur so lässt sich deren Nutzung sicherstellen.

- Die operative Vertriebsleitung benötigt besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung.

- Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist eine effektive Nutzerbetreuung.

- Permanentes Training sowohl hinsichtlich der Tools als auch der Geschäftsprozesse ist ein Muss.

- Die Systemnutzung ist ständig zu beobachten.

- Last, but not least: Die Anwender müssen durch internes Marketing stets aufs Neue motiviert werden.