Content-Management/Content-Billing: Herausforderung und Lösungen

Content-Provider sind auf präzise Nutzungsabrechnung angeweisen

15.09.2000
Bis 2003 wird es das Geschäftsmodell des klassischen Telekommunikations-Betreibers nicht mehr geben. Das behauptet die Philips Group in ihrer Studie "Netpressure.com Bandwidth Demand in the Content Economy". Der Autor der Studie David Prior hält "Content" in der Telekommunikation für den Wert der Zukunft. Schon im Jahr 2005 sollen Inhalte Umsatzquelle Nummer eins werden. Jörg Stimmer und Johannes Koethke* zeigen das Szenario auf.

Der Grund für den Boom ist die rasant wachsende Nachfrage nach Anwendungen und Applikationen. Beispiel mySAP.com: Kunden können Applikationen der betriebswirtschaftlichen Standardsoftware über das Internet nutzen, ohne sie selbst zu betreiben. Auch andere Spezial-Software ist immer öfter per Internet zu beziehen. Denn Bandbreite steht in Zukunft fast unbegrenzt zur Verfügung. Der Transport von Datenmengen allein wird deshalb in Zukunft nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, die Margen werden fallen. Heute zahlen Kunden meist für den Zugang zum Internet und die benötigte Transportkapazität. Stattdessen wird künftig immer öfter der übertragene Inhalt gemessen und individuell bepreist. Denn er bildet für den Endkunden den eigentlichen Wert.

Hinter "Content" steht ein Mehrwert, der über die reine Übertragungsleistung hinausgeht und nicht allein belegte Bandbreite oder Verbindungsdauer bestimmen. Beispiele sind Video- oder Music-on-Demand, interaktive Spiele sowie Informationen über Finanzen, Wirtschaft oder Sport. Hinter einer Videokonferenz hingegen steht keine Applikation, die einen expliziten Content für den Endkunden generiert oder verwaltet.

Nicht zu verwechseln ist Content-Billing mit dem klassischen Geschäftsablauf von E-Commerce. Content wird über das Netz transportiert und meist aus einer Applikation heraus generiert. E-Commerce hingegen nutzt das Netz lediglich für die Abwicklung des Geschäftsvorgangs, zum Beispiel zur Bestellung per Kreditkarte. Die eigentliche Leistung erhält der Kunde nicht über das Netz. Beispiel Kinokarte: Solange eine Karte per Handy oder Internet bestellt, aber an der Kinokasse hinterlegt und bezahlt wird, spricht man von von E-Commerce. Hat das Handy hingegen selbst einen kleinen Kartendrucker oder überträgt ein Mobilfunksystem am Kinoeingang ein elektronisches Ticket, liegt Content-Billing vor.

Alle Content-Provider sind auf präzise Nutzungskontrolle angewiesen, um ihre im Netz erbrachten Leistungen auch abzurechnen. Sie benötigen so genannte Call Detail Records (CDRs), die den Wert der verkauften Leistung angeben. Sie erzeugt ein klassisches Billing-System auf Basis der per Handy oder Internet eingegangenen Transaktionen. Im Anschluss erstellt es daraus die Rechnungen. Die Schwierigkeit liegt in der Geschwindigkeit des Internet: Bestellt ein Kunde ein Musikstück via Web, muss der Anbieter die wichtigsten Daten des Kunden möglichst schnell erfassen. Denn meist kennt er weder Namen noch Anschrift oder Zahlungsmoral. Der Musik-Fan hingegen will einfach und zügig registriert und sofort im Netz freigeschaltet werden.

Deshalb muss der Content-Provider seine Bonitätsprüfung sehr schnell durchführen, um zu entscheiden, welche Dienste der Kunde sofort nutzen darf und welche vielleicht erst später. Eine Möglichkeit der Absicherung ist das so genannte "Pre-Paid": Der Kunde zahlt eine bestimmte Summe im Voraus und erhält erst dann den Gegenwert. Das System muss allerdings erkennen, wann die Vorauszahlung aufgebraucht ist, um den Zugriff auf weitere Musikstücke sofort zu sperren. Dieses "Real-Time Billing" setzt voraus, dass alle Prozesse in der Verarbeitungskette nahezu in Echtzeit arbeiten - eine Herausforderung für alle beteiligten Systeme.

Doch der Kunde erwartet nicht nur Schnelligkeit, sondern möglichst nur einen Ansprechpartner und eine Rechnung. Um Video-on-Demand anzubieten, müssen jedoch mehrere Dienstleister Hand in Hand arbeiten: Der Endkunde zahlt den per Internet bestellten James-Bond-Film "Golden Eye" über seinen Service-Provider oder Netzbetreiber an den Content-Provider. Dieser betreibt die Video-Applikation und stellt den gewünschten Film zur Verfügung. Als Rechnungsteller kommen beide Anbieter in Frage: Der Service-Provider oder Netzbetreiber hat oft eine langjährige Kundenbeziehung und genießt damit bereits Vertrauen. In der Festnetztelefonie übernimmt beispielsweise die Deutsche Telekom oft die Rechnungslegung und das Inkasso für Call-by-Call-Anbieter oder Servicenummern. Dieses Third Party Billing wickelt die Telekom über die so genannte Tina-Schnittstelle (Telekom Internet Nutzer Administration) ab, die der Content-Provider mit Rechnungsdaten versorgt. Doch auch der Content-Provider selbst könnte die Rechnung stellen.

Verrechnet werden die Leistungen intern: Über die reine Transportleistung hinaus ist denkbar, dass der Content-Provider einen content- oder kundenabhängigen Betrag an den Netzbetreiber oder Service-Provider zahlt. Denn er profitiert oft von Bekanntheit und Kundenstamm des Vermittlers. Der Kunde merkt hiervon nichts: Seine Rechnung kommt wie gewohnt vom Service-Provider oder Netzbetreiber (siehe Abbildung). Dieser steht auch für mögliche Beschwerden zur Verfügung und verweist bei Bedarf auf die Kundenbetreuung des Content-Providers. Zahlt der Kunde direkt an den Content-Provider, bieten sich Kreditkartenzahlung oder für Kleinstbeträge Micropayment-Methoden an. Ein Beispiel ist die Cyber-Cash-Karte, die Deutsche Bank 24 und Yahoo bereits gemeinsam anbieten.

Beim Content-Billing stellen sich zwei Herausforderungen: die Erfassung der Nutzungsdaten und ihre kundengerechte Verarbeitung beziehungsweise Darstellung.

Aus dem Netz sind die Nutzungsdaten in der Regel schwer oder gar nicht zu erhalten. Denn herkömmliche Systeme greifen lediglich auf die geräteabhängigen Logfiles einzelner Internet-Router zurück und können Internet-Dienste nur unzureichend abrechnen. Spezielle IP-Billing-Systeme hingegen versuchen derzeit, den kompletten TCP/IP-Verkehr aus Gateways, Remote Access Servern, Routern und Content-Servern mitzuschreiben. Das Mediation Device übersetzt die aufgeschlüsselten IP-Daten in ein einheitliches Format und leitet sie an das Billing-System weiter. So genannte Network-Proben (beispielsweise von Cyber Solutions) für die Datenerhebung liefern Logfiles, die nicht nur reine Volumendaten enthalten, sondern auch Einzelheiten über die genutzten Dienste wie Web-Zugriff oder E-Mail-Versand. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die verbrauchsabhängige Abrechnung.

Den zweiten Teil der benötigten detaillierten Call Detail Records stellen Management-Systeme der Content-Provider zur Verfügung. Zum Beispiel lassen sich die Bond-Filme "Golden Eye" und "The world is not enough" voneinander unterscheiden. Die Schwierigkeit liegt in der Integration von Management- und Billing-Systemen: Denn entsprechende Schnittstellen müssen erst entwickelt werden. Ein wichtiger Schritt hierzu sind einheitliche Standards, für die sich die im Juni 1999 gegründete Organisation IPDR (The Internet Protocol Detail Records Organisation, www.ipdr.org) einsetzt. Ihr gehören mehr als 115 Unternehmen an, darunter Netztechnik- und Softwareanbieter wie Telesens sowie Systemintegratoren und IP Service-Provider. Zum Board gehören unter anderem AT&T, Andersen Consulting, Convergys, Hewlett-Packard und Telestrategies.

Die IPDR definiert die wesentlichen Elemente des Datenaustausches zwischen Netzwerkelementen und betrieblichen Support-Systemen und entwickelt Standards und Referenzmodelle. Sie sollen die Integration von IP-basierenden Dienstleistungen in Support-Systeme für Carrier und Provider erleichtern. Netzbetreiber sowie Internet und Application Service Provider erhalten so die Garantie, dass ihre Investitionen in IP-Billing-Lösungen zukunftssicher und flexibel sind. Die IPDR erlaubt den Betreibern von IP-Netzen der nächsten Generation, leistungsfähiger und kosteneffektiver zu arbeiten und mit neuen und innovativen Serviceleistungen zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. Weiter Informationen: www.ipdr.org oder info@ipdr.org.

Denn die Perspektiven von Content-Billing sind fast unbegrenzt. Ein Beispiel ist callasong.de, ein von Cyber Solutions gehosteter Web-Auftritt zur Bereitstellung und Abrechnung von Musik-Contents. Der Kunde kann in einem Online-Shop MP3-Musikdateien bestellen und direkt auf seinen PC herunterladen. Musikbands können ihre Songs als MP3-Dateien auf den Server von callasong.de stellen und erhalten anteilig Geld, wenn diese von Usern bezogen werden. Die MP3-Dateien der Bands können individuell innerhalb einer vorgegebenen Spanne bepreist und entsprechend abgerechnet werden.

Auch interaktiver Fernunterricht lässt sich mit Hilfe neuer Technologien verwirklichen; dazu gehören Online-Prüfungen oder sprachunterstützte Frage- und Antwortstunden. Content-Billing wird auch im Mobilfunk immer wichtiger. Ein Beispiel ist der Pannenservice, bei dem ein Mechaniker das liegengebliebene Fahrzeug per Handy-Kamera untersucht. Dem Halter hilft er per Text, Sprache oder Grafik. Auch die Medizin bietet viele Einsatzmöglichkeiten. Dazu gehört die Ferndiagnose bei Bergunfällen oder die Einbindung von Spezialisten, die nicht am Unfallort sind. Hersteller wie Ericsson entwickeln hierfür bereits UMTS-basierende Handys mit besonders großem Display und multimedialen Fähigkeiten.

Damit Content-Provider im Netz Erfolg haben, müssen sie ein Gesamtkonzept aus Inhalt, elektronischem Rechnungsservice und Self-Service-Funktionen bieten. "Electronic Bill Presentment" stellt alle Rechnungs- und Nutzungsinformationen im Netz zur Verfügung. Denn Kunden er-warten, die von ihnen genutzten Dienste und ihre Kosten so schnell wie möglich einzusehen. Customer Self Care geht sogar noch einen Schritt weiter. Um persönliche Daten zu ändern oder neue Services zu beauftragen, gibt der Verbraucher seine Wünsche direkt über spezielle Masken im Internet ein. Das spart auf beiden Seiten Zeit, hilft Verständnisfehler zu vermeiden und erhöht zudem die Kundenzufriedenheit.

Die Beispiele zeigen, dass Content-Billing eine Vielzahl Prozesse berücksichtigen muss: vom Kundenservice bis hin zur Steuerung im Wirknetz. Deshalb gibt es inzwischen umfassende, modular aufgebaute Lösungen für die Abrechnung in leitungs- und paketvermittelten Netzen. Ob Content-Billing, Voice-over-IP oder WAP-basierende Dienste - den Ideen der Anbieter werden bald keine abrechnungstechnischen Grenzen mehr gesetzt sein. Je früher Anbieter dabei in die neue Generation von Billing-Systemen einsteigen, desto größer werden ihre Erfolgsaussichten sein.

* Dr. Jörg Stimmer ist Leiter Partner Management der Telesens AG in Köln.Johannes Koethke ist Senior Consultant Telekommunikation bei der CSC Ploenzke AG in Kiedrich.

Erfolgskriterienfür Billing & Payment

-Alle Leistungen auf einer Rechnung

-Eine Anlaufstelle für Reklamationen

-Sicherheit für den Kunden (Zahlung, Lieferung, Datenschutz)

-Sicherheit für den Anbieter (niedriger Forderungsausfall)

-Seriosität des Billing & Payment-Dienstleisters

-Niedrige Transaktionskosten

-Gesamtlösung aus Billing- und Managament-Informationssystem.