E-Learning als neue Geschäftsidee

Cisco verbindet bei seinen Zertifizierungen Theorie und Praxis

14.01.2000
von Ingrid Weidner* Mit seiner E-Learning-Strategie will der Netzwerkprimus Cisco Bildung als Markenartikel positionieren und die Möglichkeiten, eine Zertifizierung für die eigenen Produkte zu erwerben, attraktiver gestalten.

Produktbezogene Zertifizierungen sind umstritten. Viele Kursmaterialien enthalten lange Kapitel, die besser in einem Marketing-Skript aufgehoben wären als in einer technischen Weiterbildung. Auf der anderen Seite können gerade Quereinsteiger und Praktiker ohne qualifizierende Ausbildung die autodidaktisch erworbenen Kenntnisse mit einem Zertifikat dokumentieren beziehungsweise aufwerten.

Bisher haben vor allem Microsoft und Novell die Nase vorn, wenn es um Netzzertifizierungen geht. Das ist einer der Gründe, weshalb Cisco sich stärker im Bildungsbereich engagieren und dabei eigene Akzente setzen will. Die Teilnehmer sollen lernen, ein Netz aufzubauen, zu warten und Probleme zu beheben. Dieses Wissen wird nicht wie etwa bei den Prüfungen zum Microsoft Certified Systems Engineer (MCSE) per Multiple-Choice-Fragebögen, sondern anhand praktischer Aufgaben getestet. "Es reicht nicht, die entsprechenden Befehle zu wissen und die Antworten auswendig zu lernen, auf die Anwendung kommt es an", so die Cisco-Philosophie.

"Die Zielgruppe unserer Zertifizierungen sind Anwender", sagt Jürgen Ruthotto-Doubek, Manager für Training-Partner und Business Development in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika. Praktiker und Netzadministratoren, die bereits mit Cisco-Produkten arbeiten, können auf verschiedenen Ebenen und Schwierigkeitsstufen Zertifizierungen anstreben. Das neue Konzept bietet die Bereiche "Routing and Switching" und "WAN-Switching" auf verschiedenen Schwierigkeitsniveaus an. Innerhalb einer Spezialisierung unterscheidet Cisco noch-mals zwischen "Network Support" und "Network Design".

Die erste Stufe CCNA (Cisco Certified Network Assiciate) ist für Anwender mit kleineren Netzen gedacht, darauf folgt die Qualifizierung zum CCNP (Cisco Certified Network Professional). Die schwierigste und gleichzeitig höchste Qualifikationsstufe im Bereich Network Support ist der CCIE (Cisco Certified Internetworking Expert). Der dritte große Bereich der Zertifizierungen sind die "Career Specifications". Dazu gehört beispielsweise das Thema Sicherheit.

Cisco Systems arbeitet sehr eng mit seinen ausgewählten Trainings-Centern zusammen. Da das technische Equipment für eine qualifizierte Schulung teuer ist, gibt es in Deutschland nur elf autorisierte Schulungsinstitute. Alle bieten die Basiskurse an, bei den Spezialisierungen entscheidet dagegen Ruthotto-Doubek mit den Weiterbildungseinrichtungen, wo die einzelnen Trainingspartner ihre Schwerpunkte setzen. Zu den verlangten Standards gehört beispielsweise ein Router für zwei Lernende und ein zertifizierter Trainer mit ausreichend Praxiserfahrung. Das Trainings-Center sollte gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Auto erreichbar sein. Wenn ein Interessent anruft, sollte ihn bereits der erste Ansprechpartner kompetent über das Kursangebot und die Inhalte beraten.

Aber auch an die Teilnehmer werden hohe Anforderungen gestellt. Besonders knifflig wird es bei den CCIE-Qualifikationen, der höchsten Zertifizierungsstufe. Mindestens zwei Jahre Berufserfahrung aus der Industrie muss ein Interessent mitbringen, um überhaupt am Kurs teilnehmen zu dürfen. Hier reicht es nicht aus, sich im Kurs oder Selbststudium die theoretischen Inhalte anzueignen. Praxis ist gefragt. Zum Kursabschluss erwarten die Teilnehmer eine schriftliche und eine praktische Prüfung. Den Europäern steht für die praktische Prüfung das Cisco-Labor in Brüssel zur Verfügung. Innerhalb von zwei Tagen müssen die Prüflinge ein Netzwerk einrichten, warten und betreuen sowie Probleme eigenständig beheben.

Die Kosten für diese CCIE-Zertifizierung liegen bei 20000 bis 25000 Mark, zuzüglich Flug und Übernachtung in Brüssel und der Prüfung bei Sylvan Prometric. Alle zwei Jahre muss sich der CCIE-Absolvent einer erneuten Prüfung stellen, um sein Wissen wieder auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. "Zwar ist das Verfahren aufwendig, aber dafür garantieren wir dem Arbeitgeber, dass der Mitarbeiter über das nötige Wissen und die Erfahrung verfügt. Nur so können wir die Qualität hoch halten", erklärt Ruthotto-Doubek. Für einen Vollzeitkurs sind etwa drei Monate Lerndauer vorgesehen.

Da die wenigsten Mitarbeiter drei Monate in ein Schulungsinstitut gehen können, bietet die neue Internet-basierte Lernmethode eine gute Alternative, Präsenzseminare und eigene Lerneinheiten zu ergänzen. Mit der auf der Comdex angekündigten E-Learning-Strategie möchte das Unternehmen vor allem neue Zielgruppen erreichen, zum Beispiel Bildungswillige, die bisher aus Zeitgründen kein Seminar besuchen konnten. Dabei läuft von der Information, Auswahl und Buchung bis zur Bezahlung alles über das Internet. Mit einer persönlichen User-ID loggen sich die Kursteilnehmer ins Lernangebot ein. Grundlagenkurse wie CCDA und CCNA eignen sich besonders gut für das Web-basierte Lernen. Zusätzlich enthält das Angebot Serviceleistungen wie Support, eine Hotline und Labortage zum Üben.

Selbst hinsichtlich sozialer Komponenten sieht Ruthotto-Doubek bei der E-Learning-Strategie Vorteile. Virtuelle Gemeinschaften, Chatrooms, Mentoring und Tutoring ebnen den Weg zu internationalen Lernteams. "Da lernt ein Student aus Moskau mit einem Studenten aus New York. Auch wenn beide einen anderen sprachlichen und kulturellen Hintergrund haben, bietet der gemeinsame Kurs Chancen zur Kommunikation." Beim Fernlernen sieht sich Cisco als Pionier und vermutet ein enormes Wachstumspotential.

Trotzdem möchte Cisco nicht selbst als Trainingsanbieter einsteigen, sondern weiter mit seinen bisherigen Partnern zusammenarbeiten. Lediglich die Kursunterlagen erstellt der Internet-Spezialist. "Für uns sind die Trainings kein umsatzorientierter Bereich", so Ruthotto-Doubek, "aber die Zertifizierungen sind sehr wichtig für uns, da uns sehr viel daran liegt, dass Leute optimal mit unseren Produkten arbeiten." Trotzdem möchte Cisco den Markt nicht mit Zertifizierungsangeboten überschwemmen. "Wir wollen sehr behutsam vorgehen", sagt Ruthotto-Doubek. Die wichtigste Zielgruppe sind die Netzadministratoren im Markt. Für viele MCSE- und CNE-Leute ist eine Weiterqualifizierung bei Cisco interessant, da viele Netze zu WANs umgebaut werden.

Mit Kooperationsprogrammen an Universitäten integriert Cisco das CCNA-Curriculum in die Informatik- und BWL-Studiengänge. Natürlich müssen die Professoren und Assistenten vorher selbst die entsprechenden Qualifikationen erwerben, bevor sie ihre Studenten kompetent unterrichten können. "Selbst wenn ein Professor schon 30 Jahre lehrt, muss er an der Evaluation teilnehmen", betont der Cisco-Manager. "Anfangs waren die Hochschullehrer eher skeptisch, bis wir ihnen erklärt haben, weshalb wir so viel Wert auf die Qualität legen."

Ganz selbstlos ist diese Kooperation natürlich nicht. Die Studierenden erhalten eine zusätzliche praktische Qualifikation, die ihnen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt einräumt, und lernen dabei eine Netztechnologie kennen, die ihre Spuren hinterlässt. "Seien wir ehrlich: Was kaufen die späteren Netzprofis, wenn es um Internet-Technologie geht?"

Mehr Infos

Weitere allgemeine Informationen unter: http://www.cisco.com/certifications und zu den unterschiedlichen Trainingsmöglichkeiten unter: www.cisco.com/ training oder per E-mail: ciscotraining@cisco.com.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in Wuppertal.