Einheitliches Referenzmodell bis zur Systemebene:

CIM-OSA peilt integrierende Infrastruktur an

10.02.1989

Das 1985 ins Leben gerufene Esprit-Projekt Nr. 688 CIM-OSA (Open System Architecture) will dem Anwender ein einheitliches und gegenüber anderen CIM-Strategien weiterreichendes Referenzmodell an die Hand geben. Neben einer Integration der Unternehmensprozesse berücksichtigt es insbesondere die Systemimplementierung.

Der Begriff "Computer Integrated Manufacturing" (CIM) ist mittlerweile ein Synonym für eine umfassende Integration aller Produktionsprozesse. Bei der Implementierung von EDV-Anlagen für einzelne Bereiche wurden allerdings oft sogenannte "Automatisierungsinseln" geschaffen. So sind heute beispielsweise nur selten kompatible Datenformate in den einzelnen Bereichen zu finden, wodurch dann Integrationsbemühungen scheitern oder aber zum Scheitern verurteilt sind.

Für eine übergreifende Kommunikation ist zunächst der Austausch von Daten zwischen den verschiedenen "Inseln" zu sehen. Die physikalische Verbindung von Systemen war daher in der Vergangenheit auch der erste Ansatzpunkt bei CIM-Modellen. Eine Reihe von Projekten hat zu Ansätzen geführt, die einen hardware- und anwendungsunabhängigen Datenaustausch ermöglichen sollen.

Grundlage dafür ist das OSI-Modell (Open System Interconnection), das sich bekanntermaßen mehr und mehr zu einem Standard für die Datenkommunikation entwickelt. Zu den firmenübergreifenden Lösungen gehören Initiativen wie die Definition von MAP (Manufacturing Automation Protocol), TOP (Technical Office Protocol) oder CNMA (Communications Network for Manufacturing Application). Sie beziehen sich häufig aber nur auf einen bestimmten Anwendungsbereich, wie zum Beispiel die Büroautomation oder die Fertigung innerhalb einer Firma.

Modellierung von Unternehmensprozessen

Die physikalische Integration der einzelnen Automatisierungsinseln ist aber nur ein Teilaspekt von CIM. Die logische Organisation der Informationen ist der auf die physikalische Integration folgende Bereich. Die Schaffung und Verarbeitung von Informationen, die Kommunikation zwischen Anwendungen und die Kontrolle dieser Anwendungen sind wichtige Aufgaben, die in dieser Integrationsstufe behandelt werden.

Noch weitergehend ist die Integration der einzelnen Unternehmensprozesse und -funktionen. Aufgrund ständig wechselnder Marktanforderungen und der Forderung nach immer kürzeren Reaktionszeiten müssen Prozesse, Funktionen und Abläufe in einem Unternehmen immer wieder angepaßt und verändert werden. Um eine Steuerung des Informationsflusses zu erreichen, ist es notwendig, sowohl die Prozesse und die zu ihrer Durchführung notwendigen Informationen als auch die erzeugten Informationen zu definieren und die Reihenfolge festzulegen. Erst diese konzeptionelle Integration von Unternehmensprozessen und ihre Steuerung führt weg von einer reinen Rechnerintegration zu einer durchgängigen Unternehmensintegration.

Die Anpassung der Unternehmensprozesse und ihres Ablaufes sollte jedoch in der Form geschehen, daß sie nicht jedesmal ein Umbau der physikalischen Rechnerlandschaft und ihrer Integration erfordert. Gefordert ist also die Entkopplung der funktionalen von der physikalischen Integration. Darüber hinaus erscheint es notwendig, Unternehmensprozesse und ihre Ablaufe nicht nur einmal statisch zu definieren, sondern ebenfalls anpassen und verändern zu können. Daraus ergibt sich die Forderung, eine "Modellierung" von Unternehmensprozessen und Abläufen zu ermöglichen.

Um eine derartige, weitgehende Integration realisieren zu können, muß man zunächst eine Referenzarchitektur entwickeln. Diese Architektur stellt dann, ähnlich wie das OSI-Modell bei der physikalischen Datenkommunikation zwischen zwei Partnern ein Modell dar, von dem dann die notwendigen Bausteine und Regeln abgeleitet werden können.

Zur Entwicklung einer derartigen Architektur haben sich im Jahre 1985 19 europäische Unternehmen zusammengeschlossen. Im Rahmen des "European Strategic Programme for Research und Development in Information Technology Esprit" wurde das Esprit-Projekt Nr. 688 CIM-OSA (Computer Integrated Manufacturing - Open System Architecture) ins Leben gerufen. Bei den 19 Partnern (seit Anfang 1989 21 Partner) handelt es sich sowohl um Anwender als auch um Hersteller von Komponenten im Bereich CIM sowie Vertreter des Hochschulbereiches (siehe Kasten auf Seite 21).

Die Projektziele sind die Entwicklung eines Architekturmodells für CIM-Systeme sowie die Unterstützung bei der Entwicklung und beim Aufbau von solchen Systemen. Dazu gehört die Entwicklung von Richtlinien und Regeln, um den Aufbau zu ermöglichen. Weiterhin umfassen die Projektziele die Unterstützung von Systemen mit Komponenten verschiedener Hersteller (Multi-Vendor-Systeme), und zwar sowohl mit neuen als auch vorhandenen Komponenten. Darüber hinaus bezweckt das Esprit-Projekt Standardisierungsaktivitäten, um einen europäischen Standard für CIM zu entwickeln.

Das Architekturmodell, das durch das Projekt CIM-OSA entwickelt wird, soll das ganze Unternehmen und möglichst viele verschiedene Unternehmensarten umfassen. Aus diesem Grunde wurde zwischen einem Referenzmodell und der Ableitung von speziellen Modellen für bestimmte Anwendungsbereiche unterschieden. CIM-OSA soll den Anwender in die Lage versetzen, aus einem einheitlichen Referenzmodell mit Hilfe bestimmter Regeln ein Modell für seinen Anwendungsfall, also für das spezifische Unternehmen, zu entwickeln und dieses Modell anschließend in die Praxis umzusetzen.

CIM-OSA beschreibt dabei das Unternehmen auf zwei verschiedenen Integrationsebenen. Zum einen wird die Ebene der Integration der Unternehmensprozesse beschrieben. Dies geschieht mit Hilfe eines Unternehmensmodells. Zum anderen wird die Ebene des entsprechenden praktischen Betriebes beschrieben und zwar mit Hilfe eines sogenannten Implementierungsmodells. Dazu gehört zum Beispiel die Beschreibung der Produktions- und Informationstechnologie, die im Unternehmen implementiert ist. CIM-OSA stellt einen Umsetzungsprozeß zur Verfügung ("Zwischenmodell"), welcher eine gesteuerte Umsetzung des Unternehmensmodells in die Systemimplementierung erlaubt.

CIM-OSA unterscheidet zwei Integrationsebenen

Jedes der genannten Modelle enthält eine Reihe von Basisbausteinen, die vordefiniert sind. Diese Bausteine werden, um eine möglichst vollständige Beschreibung des zu integrierenden Unternehmens, seiner Unternehmesprozesse und -abläufe sowie der vorhandenen und benötigten Ressourcen zu bekommen, in vier verschiedene Kategorien unterteilt. Diese Kategorien werden als "Sichten" bezeichnet, da jede Kategorie die Betrachtung aus einem bestimmten Blickwinkel darstellt. So wird unterschieden zwischen einer Funktions-, Informations-, Ressourcen- und Organisationssicht.

Rückgriffe auf definierte Bausteine

Die bisher beschriebene Grundstruktur der Offenen Systemarchitektur CIM-OSA führt zu der in Bild 1 dargestellten Übersicht. Die einzelnen Elemente von CIM-OSA sind dabei verschiedenen Achsen zugeordnet. Auf der linken Seite ist zunächst die allgemeine Referenzarchitektur zu finden, während rechts der für den Anwender interessante Teil der Gesamtarchitektur, nämlich das auf seinen Anwendungsfall zugeschnittene spezielle Modell, dargestellt ist.

Das Unternehmensmodell beinhaltet zunächst eine ganze Reihe von Basisbausteinen zur Beschreibung der Unternehmensabläufe. Zu diesen Bausteinen gehören Unternehmensprozesse, die durch ihre Funktionen und Aufgaben sowie die Regeln, nach denen diese Prozesse ablaufen, beschrieben werden. Zur Beschreibung der Unternehmensprozesse gehören auch die Ereignisse, durch die diese Prozesse gestartet und gesteuert werden, sowie die Ergebnisse, die erzielt werden. Die einzelnen Geschäftsprozesse können weiter unterteilt werden, und zwar bis zu einer vom Anwender zu definierenden untersten Ebene. Die dort dann vorhandenen Elemente werden als Unternehmenstätigkeiten bezeichnet und sind unter anderem durch ihre Eingangs- und die erzeugten Ausgangsinformationen gekennzeichnet. Dabei sind diese Informationen unterteilt und zwar in Informationen über benötigte Hilfsmittel, Steuerungsinformationen sowie die zur Durchführung der Funktion benötigten Informationen.

Mit Hilfe der geschilderten Bausteine ist der Anwender in der Lage Unternehmensabläufe entsprechend seinen Bedürfnissen zu definieren, zu entwerfen und in ihrer Reihenfolge festzulegen. Dabei kann er auf vordefinierte Bausteine zurückgreifen oder, mit Hilfe festgelegter Regeln, eigene Bausteine entwickeln.

Die Beschreibung des tatsächlichen praktischen Betriebs erfolgt wie bereits erwähnt, in einem Implementierungsmodell. Auch hier gibt es wieder vordefinierte Bausteine, die dem entsprechenden Unternehmen und Anwendungsfall angepaßt werden können und müssen. Die einzelnen Bausteine sind dabei unterteilt in produktionstechnische und informationstechnische Bausteine. Zur ersten Gruppe gehören Bausteine, mit deren Hilfe die für die Bearbeitung von Produkten notwendigen Elemente wie Maschinen, Personal oder Maschinenprogramme zusammengestellt werden können.

Fallstudien für mehrere Sparten

Informationstechnische Bausteine beinhalten Bausteine zur Steuerung der Informationsflüsse. Dazu gehört auch eine sogenannte Integrierte Infrastruktur, mit deren Hilfe die Verbindung zwischen dem Modell der physikalischen Umgebung und den tatsächlichen Gegebenheiten erreicht werden kann.

Diese Integrierende Infrastruktur IIS beinhaltet wiederum einen ganzen Satz von Bausteinen. Hier handelt es sich allerdings um genau definierte Elemente, sogenannte Dienste, wie sie in Bild 2 dargestellt sind. Dienste, wie zum Beispiel die Kontrolle der Unternehmensprozesse und -tätigkeiten, ermöglichen die Umsetzung der mit Hilfe der erwähnten Bausteine entwickelten Modelle in die Praxis. Die informationsorientierten Dienste, Datenmanagement-Dienst und Informationsmanagement-Dienst, stellen sicher, daß Informationen und Daten für die einzelnen funktionellen Einheiten (Datenbanken, Anwendungsprogramme usw.) und die anderen Dienste konsistent verfügbar sind. Kommunikationsorientierte Dienste wie Kommunikationsmanagement und systemweiter Datenaustausch sind für die gesamte Nachrichtenvermittlung und -übermittlung zuständig.

Diese Integrierende Infrastruktur stellt keine "Konkurrenz" zu Initiativen wie beispielsweise MAP dar. Vielmehr ist sie, wie in Bild 3 gezeigt, oberhalb der siebten Ebene des OSI-Modells anzusehen und stellt damit eine Ergänzung zu bereits bestehenden Integrationslösungen auf unteren Ebenen dar.

Die im Rahmen dieses Aufsatzes vorgestellte Offene Systemarchitektur ist noch nicht in allen Einzelheiten entwickelt. Schwerpunkte der bisherigen Entwicklungsarbeit lagen bei der Entwicklung eines Unternehmensmodells sowie der Integrierenden Infrastruktur. Um jedoch von Beginn an eine Möglichkeit zur Überprüfung der entwickelten Konzepte zu haben, wurde eine ganze Reihe von Fallstudien durchgeführt. Diese Fallstudien betreffen nicht nur verschiedene Industriebereiche (Automobil-, Flugzeug- und Elektronikindustrie), sondern auch verschiedene Unternehmensbereiche (Konstruktion, Arbeitsplanung, Fertigung mit flexiblen Fertigungssystemen sowie Prototypfertigung). Die Ergebnisse dieser Fallstudien zeigen, daß der Ansatz richtig ist und tatsächlich zum Erreichen, der am Anfang geschilderten Ziele einer rechnerintegrierten Produktion führt.

Gleichzeitig wurde zum besseren Verständnis der Architektur eine rechnerunterstützte Demonstration erarbeitet, die auch eine Darstellung der erwähnten Fallstudien ermöglicht. Die bisherigen Ergebnisse des Projektes wurden mehrfach bei verschiedenen Standardisierungsgremien vorgestellt. So wurden Projektergebnisse in die Arbeit der DIN-Kommission CIM und des NAM 96.5. "Referenzmodelle und Architekturen" sowie des ISO-Ausschusses ISO TC 184/SC5/WG1 eingebracht.