Burnout im Urlaub

23.07.2010
Viele IT-Mitarbeiter können auch im Urlaub nicht entspannen. Ärzte und Coaches sagen, was zu tun ist, damit die Ferienzeit nicht in Stress ausartet.

Von Anja Dilk und Heike Littger*

Der Kletterurlaub hatte es in sich. Morgens die steilen Serpentinen hinauf, mittags konzentrierter Kraxelgang am Klettersteig, nachmittags Slakline-Training vor der Berghütte, abends Knotenkunde und Sicherungstraining. Und dann ein ordentliches Bier. Oder zwei oder drei. Jens Mischker** erinnert sich an diesen Durchlauf, als sei er gerade erst vorbei. An das Hochgefühl auf dem Gipfel. An den herrlich ausgepumpten Körper, den der Softwareentwickler endlich wieder mehr spürte als an seinen stets gehetzten Bürotagen. Ein toller Urlaub, wäre da nicht jener Samstagabend gewesen, an dem ihm wie aus dem Nichts schwarz vor Augen wurde und er auf der Hüttentreppe zusammensackte. Warum das? War das geballte Sportprogramm an frischer Bergluft nicht genau das, wonach er sich in seinem stressigen Büroalltag immer gesehnt hatte? Doch das flaue Gefühl ließ sich nicht mehr vertreiben. Immer wieder knickte der 36-Jährige ein. Zurück daheim ging Mischker zum Arzt. Diagnose: Burnout im Urlaub.

Ausgepowert, gestresst, stets am Limit - dass die Zahl der Burnout-Kranken seit Jahren zunimmt, ist längst bekannt, gerade in der schnelllebigen IT-Branche. Nicht umsonst biegen sich die Regale in den Buchläden unter der neuesten Literatur zum Thema. Doch Burnout im Urlaub? Darüber wird bislang wenig gesprochen. Schließlich sind die Ferien der Raum, in dem Organismus und Psyche wieder zu ihrem Recht kommen und Kraft tanken sollen für die nächste Runde.

Genau da liegt für Bernd Sprenger der Knackpunkt. "Menschen, die im Berufsalltag dazu neigen, stets an der obersten Grenze der Leistungsfähigkeit zu segeln, laufen im Urlaub in derselben Richtung weiter", sagt der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin. "Sie drehen in der gleichen Schraube von Hast, Perfektion und immer mehr. Und halten das für erholsam." Ein fataler Irrtum, dem vor allem jene aufsitzen, die ohnehin dazu neigen, sich dauerhaft zu überfrachten. Weil sie perfektionistisch der Idee erliegen, allem gerecht werden zu müssen. Weil sie sich nicht abgrenzen können. Weil sie glauben, mit reiner Willenskraft alles erreichen zu können und alles im Griff zu haben. Das sind gefährliche Verhaltensmuster, die nur schwer aufzubrechen sind. "Solchen Menschen ist das Gefühl für den eigenen Rhythmus verloren gegangen", sagt Sprenger. "Der Wechsel zwischen Anstrengung und Loslassen gehört zum Leben. Man muss die Illusion der perfekten Kontrolle aufgeben, um dem Burnout zu entkommen."

Der Arzt behandelt regelmäßig ausgebrannte Führungskräfte und Unternehmer, die Körper und Psyche ausgepresst haben wie Zitronen. Zunehmend begegnet er einer neuen Erscheinungsform des Burnouts: Urlauber, die nach drei Wochen Abenteuerurlaub schlapp im Bürostuhl zusammensinken oder wie Jens Mischker bereits vor Ort zusammenbrechen. "Die Zahl der Fälle hat in den vergangenen zwei, drei Jahren erheblich zugenommen", sagt Sprenger. Vor allem Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, die im Job sehr leistungsbezogen sind, machen im Urlaub gern im gleichen Tempo weiter - sie wollen den Nachbarn beeindrucken, immer noch eines drauflegen, um den sozialen Druck abzupuffern: "Wenn die Kumpels Fotos von Nepal oder Neu-Guinea aus der Tasche ziehen, wollen viele einfach mithalten - und wählen einen Urlaub, der viel zu anstrengend ist."

Dahinter verbirgt sich nach Sprengers Einschätzung die Funktionsweise einer "zunehmend hibbeligen Gesellschaft, die von einem permanenten Zuviel geprägt ist." Ein Zuviel an Angeboten, Optionen, Leistungserwartungen, Genussversprechen, Optimierungsträumen. Dieses Zuviel setzt sich im Urlaub fort. Denn längst hat die Urlaubsindustrie reagiert. Das Geschäft mit Aktivurlauben und Abenteuerferien boomt ebenso wie Kreuzfahrten, Pauschaltrips und Ferienclubs mit einem Rund-um-die-Uhr-sorglos-Programm. Ein Sportangebot jagt das nächste, schon am Frühstücksbuffet winkt der Animateur, das Kreuzfeuer von Terminen vertreibt die Furcht vor Langeweile und Nichtstun. Und dreimal am Tag warten kulinarische Gebirge, die auch einen bauarbeiter sättigen würden. "Viele Ferienanbieter bauen damit die Struktur des Berufslebens nach - und holen so das permanente Zuviel in den Urlaub hinein", sagt Sprenger. "Weil manche Urlauber auf keinen Fall etwas auslassen wollen, laufen sie fast automatisch in die Falle."

Das Zuviel ist das eine. Auch runterkommen, auf die Bremse treten müssen, kann das Problem sein. Als der SAP-Berater Hartmut Wagenburg** für zwei Wochen auf Erholungskur nach Mallorca startete, merkte er schnell, wie schwer es ihm fiel, sich auf den Rhythmus seiner Familie einzulassen. Die gemietete Villa war ein Traum, Swimmingpool und feinste Meeresbriese inklusive. Doch das gemeinsame Kuscheln im Bett, der morgendliche Spaziergang zum Bäcker, das Buddeln im Sand - alles ging dem 38-Jährigen zu langsam und schließlich auf die Gesundheit. "Erst wurde ich aggressiv, dann fühlte ich mich immer schlapper, zum Schluss kam ich fast gar nicht mehr aus dem Bett", erinnert sich Wagenburg. "Meine Frau fand das alles andere als lustig." Sie machte ihm Vorwürfe, verlangte, dass er sich zusammenreiße und der Familie widme. "Aber ich konnte beim besten Willen nicht. Ich fühlte mich einfach nur elend."

Zurück in Deutschland ging er zu Jörg-Peter Schröder. Der Arzt und Coach aus Rheinhessen berät seit vielen Jahren Manager, die nur noch für ihren Job da sind und dabei den Blick für sich selbst und ihre Familie verlieren. "Der Urlaub ist eine besonders knifflige Zeit. Während sonst klar ist, der Papa geht morgens früh aus dem Haus und kommt abends erst spät heim, gibt es fern von der Heimat kaum Verständnis für ‚Ich kann jetzt nicht.'" Zu lange haben Partner und Kinder auf die gemeinsame Zeit gewartet.

Um Hartmut Wagenburg besser auf den nächsten Urlaub vorzubereiten, hat Schröder mit seinem Kunden erst einmal Kofferpacken geübt. Das ist ein wichtiger Moment: Müssen Notebook und Blackberry wirklich mit, oder schaffen es meine Mitarbeiter auch ohne mich? Was ist mit Fotoapparat und Surfanzug? Wie viel Zeit will ich meiner Familie widmen, und wie viel Zeit brauche ich für mich? Schröder: "Auszubrennen hat auch immer etwas damit zu tun, es allen recht machen zu wollen, nicht Nein sagen zu können. Seine eigenen Bedürfnisse zu übergehen. Und sich letztlich aber auch für unentbehrlich zu halten."

Doch es ist extrem schwer, sich von gewohnten Mustern zu verabschieden. Andreas Hillert, Chefarzt an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, beobachtet das jeden Tag. Insofern wundert es ihn wenig, dass Burnout-gefährdete Power-Arbeiter auch in den Ferien nicht locker lassen. "Sie könnten gar nicht nichts tun." Es wäre auch ein fataler Fehler, es von ihnen zu verlangen: Ein Mensch, der 60 Stunden pro Woche hocheffizient arbeitet, kann nicht plötzlich eine Woche im Kloster hocken, abgeschnitten von Handy, Internet und E-Mail. "Er hat keine Strategien, so etwas gut zu finden oder gar zu genießen." Hillerts Rat: Eine Urlaubsform finden, die zu den Handlungsmustern passt, aber der Person nicht schadet. "Für Aktivisten dürfte ein angemessen aktiver Urlaub erholsamer sein, als von einem Extrem ins andere zu fallen."

Es sei denn, der Stop-and-Go-Kurs hat sich bereits zu einem funktionierenden Muster verfestigt: Amerikanische Manager, zu deren Business-Ritual es gehört, regelmäßig ein Wochenende in Long Island gemeinsam zu entspannen, leben ganz gut damit, immer wieder auf null zu schalten. Generell gilt jedoch: "Was der Einzelne als entspannend erlebt, hängt in hohem Maße von der Persönlichkeit, von bisherigen Erfahrungen und Werten ab. Pauschale Vorstellungen, wonach man nur entspannen kann, wenn man wenig tut und kein Handy dabei hat, sind Unsinn. Es kann auch sehr belastend sein, nicht erreichbar zu sein oder sich zwingen zu müssen, zur Ruhe zu kommen - Zwang ist das Gegenteil von Erholung."

Rolf Schneider analysiert Erzählungen von einem ausgebrannten Gefühl im Urlaub ganz pragmatisch. Sie sind für den Leiter der Neurologischen Klink Aschaffenburg so etwas wie ein wertvolles Diagnoseinstrument. Wer drei Tage nach dem Balitrip schon wieder in den Seilen hängt, kann schwer die Augen davor verschließen, dass bei ihm womöglich etwas aus dem Ruder läuft. Daher rät Schneider seinen Patienten, die Ferien zu nutzen: Um herauszufinden, wie es um sie steht. "Pathogene Schieflagen treten im Urlaub besonders deutlich zutage", sagt Schneider. Der IT-Boss, der mit Laptop und Handy am Strand sitzt, Termine plant und Entscheidungen abnickt und gleichzeitig nach dem Strand schon den nächsten Museumsgang oder den Besuch im besten Restaurant am Platz auf die Tagesordnung setzt, stößt in den Ferien oft auf Widerstand. Plötzlich wird den anderen Familienmitgliedern deutlich, dass der Kneipenbummel, die stillen Stunden zu zweit, der unbeschwerte Nachmittag mit den Kindern eine Illusion. Schneider: "Konflikte mit der Familie sollte man nicht abwehren, sondern als Alarmsignal ernst und zum Anlass nehmen, sich seine Strategien bewusst zu machen."

Sicher ist: Patentrezepte für einen erholsamen Urlaub gibt es nicht. Es kann durchaus sein, dass der eine oder andere am besten beim Himalaya-Trekking entspannt. Nach Einschätzung von Burnout-Fachmann Sprenger tut den meisten Vielarbeitern allerdings doch eine Besinnung auf das Einfache am besten, ein "Zurück zu den Basisbedürfnissen". Das heißt einerseits für den Körper angemessene Bewegung - "Spaziergang oder leichtes Jogging statt perverser Marathon-Einheiten" -, ausreichend Schlaf und ausgewogene Ernährung: regelmäßig, nicht zu üppig und wenig Alkohol. Andererseits für den Geist Reflexion: Wie geht es meiner Beziehung? Habe ich Zeit für Freunde und Verwandte? Schätze ich mich selbst wert - auch wenn ich nichts Außergewöhnliches leiste? Was sind meine Ziele, und warum verfolge ich sie? Habe ich Spaß an meiner Arbeit und am Leben? Fühle ich mich frei wie ein Adler oder eingeengt wie ein Hamster im Rad? "Für viele ist zunächst gar nicht vorstellbar, dass es um nichts weniger als einen Paradigmenwechsel für das eigene Leben gehen könnte", sagt Sprenger. "Und eben nicht darum, sich mal eben schnell mit Wellness- und Beauty-Treatments wieder fit für die nächste Runde zu machen."

Deshalb schickt Dirk-Oliver Lange seine Kunden am liebsten in die Abgeschiedenheit der österreichischen Berge. Seit Anfang des Jahres bietet der Geschäftsführer des Coachings-Unternehmen LifeB auch "Premium-Reisen für beruflich stark engagierte Menschen" an. Fernab von Familie und Trubel, irgendwo zwischen sattgrünen Wiesen und kristallklaren Seen sollen die Männer und Frauen erst einmal zu sich selbst kommen. "Kontrolliert runterschalten", wie Lange sagt, "die meisten sind im Alltag so mit Linksblinken beschäftigt, dass sie auch im Urlaub nicht merken, was ihr Körper und ihre Seele jetzt brauchen." Damit sie eine Ahnung davon bekommen, ist ein Coach zur Stelle. Er geht mit ihnen zum Frühsport - besser ein Spaziergang über die morgentaunasse Wiese als ein Zehn-Kilometer-Lauf. Er plant mit ihnen den Nachmittag - besser auf der Terrasse ruhen als mit dem Mountainbike die Berge hoch. Er isst mit ihnen zu Abend - besser gegrillter Fisch mit Gemüse als Pasta mit Gorgonzolasoße. Und er sitzt mit ihnen oft bis tief in die Nacht. "Am Anfang drehen sich die Gespräche um Dinge wie Gewichtsabnahme und die richtigen Laufschuhe", sagt Lange. "Doch gegen Ende der Reise geht es meist ums Eingemachte - um eine Neuausrichtung des Lebens."

**Namen von der Redaktion geändert.

*Anja Dilk und Heike Littger sind freie Journalistinnen in Berlin und München.

Tipps für einen erholsamen Urlaub

Sinnvoll erholen: Wer erschöpft und gestresst ist, sollte nicht mit dem Mountainbike über die Alpen preschen. Wer gelangweilt und frustriert ist, nicht ins Kloster ziehen. Henning Allmer von der Sporthochschule Köln unterscheidet vier Beanspruchungstypen, die unterschiedliche Erholung erfordern: Ermüdung - Regeneration, Routine - Abwechslung, Stress - Entspannung, Frustration - Erfolgserlebnisse. Gilt für kurze und längere Auszeiten.

Zeit für sich allein: Menschen, die nur noch für ihren Job brennen, haben oft den Bezug zu sich selbst verloren. Als Mensch mit Bedürfnissen und Interessen existieren sie nicht mehr. Sie wissen nicht, was ihnen guttut. Deswegen kann es hilfreich sein, vor dem großen Sommerurlaub mit der Familie ein paar Tage nur für sich zu haben. Wenn das nicht geht: Zeiten reservieren, in denen man sich zurückziehen kann. Spazieren gehen, in der Sonne liegen, über den Wochenmarkt streifen.

Professionelle Angebote checken: Mittlerweile gibt es organisierte Reisen für gestresste Manager. "Grundsätzlich eine gute Idee", findet Burnout-Experte Jörg-Peter Schröder. Nur: Morgengymnastik am Pool und Schleimsüppchen für alle reichen nicht. Wichtig ist ein individuelles Programm, am besten eines,das sich auf die Ergebnisse eines medizinischen Checks stützt: Stimmen die Blutwerte, wie hoch ist das Herzinfarktrisiko, was machen die inneren Organe und der Stoffwechsel? Stimmt das biologische mit dem tatsächlichen Alter überein? Wie hoch sind der Stresspegel und die mentale Leistungsfähigkeit? Was machen der Rücken und die körperliche Flexibilität? Welche Nährstoffe fehlen dem Körper, welcher passt am besten?

Nach dem Urlaub weitermachen: Mit der Familie frühstücken, meditieren oder eine Runde um den Block laufen - wer sich morgens positiv auf den Tag einstimmt, hat nicht das Gefühl, von früh bis spät fremdgesteuert zu sein, und bleibt nach dem Urlaub länger gelassen. Außerdem Spielräume ausloten und Zeitfresser enttarnen. Wer täglich zwei Stunden mit Kollegentalk, Netzwerken auf Xing und E-Mails befasst ist, sollte genau hinschauen: Was davon bringt mich wirklich weiter? Wie viele Personen müssen tatsächlich auf cc gesetzt werden? Übung: Mails nur alle drei Stunden und nicht alle 15 Minuten abfragen und beantworten.