EG-Grünbuch propagiert Liberalisierung bei Endgeräten und Diensten, aber:

Brüssel kratzt nur wenig am Netzmonopol

19.06.1987

MÜNCHEN (CW) - In ihrem jetzt ,veröffentlichten "Grünbuch - Telekommunikation" plädiert die EG-Kommission dafür, den europäischen Fernmeldemarkt zu entmonopolisieren. Betrieb und Bereitstellung der Netze sowie sogenannte Basisdienste sollen jedoch auch künftig in den Händen der staatlichen Postverwaltungen bleiben.

Aufgabe der Gemeinschaft sei nicht nur, den Binnenmarkt bis 1992 zu Öffnen, es gelte vielmehr der amerikanischen und japanischen Herausforderung im Telecom-Bereich standzuhalten, heißt es weiter. Daher - propagiert das Brüsseler Gremium "den schrittweisen Übergang zu einem wettbewerbsorientierten, offenen Endgeräte-Markt" innerhalb und zwischen den Mitgliedsstaaten. Dabei sollen sich aber nicht nur Telecom-Anbieter aneinander messen; auch den Fernmeldeverwaltungen schlägt die Kommission vor, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Lediglich für eine Übergangszeit will man den Postbehörden das Monopol bei Huptanschlüssen überlassen.

Ebenso sollen die Einrichtung einer Netzinfrastruktur sowie "reservierte Dienste" weiterhin im Machtbereich der PTTs liegen, wobei die Kommission unter "reservierten Diensten" eine "begrenzte Zahl von Basis(Grund)diensten" versteht, "die als unerläßlich für die Ziele des öffentlichen Dienstleistungsauftrages angesehen werden können". Alle übrigen Dienste werden dann von privater und staatlicher Seite angeboten, "möglichst zu niedrigen Kosten", wie im Grünbuch formuliert wird.

Weiter dringt die Kommission auf eine Trennung der hoheitlichen und kommerziellen Aufgaben. Zu den hoheitlichen Tätigkeiten zählen die Zuteilung von Frequenzen oder die Kontrolle der Gerätezulassung. Der kommerzielle Bereich soll entsprechend dem EG-Vertrag überprüft werden, um Quersubventionierungen auszuschließen. Auch private Telecom-Anbieter müssen eine strenge Meßlatte dulden. Hier will man nicht nur marktbeherrschenden Stellungen vorbeugen, auch sogenannte nationale Hoflieferanten werden ihre Privilegien verlieren.

Hinsichtlich der technischen Standardisierung im Fernmeldebereich plädiert die EG-Behörde dafür, ein "Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen" zu installieren. Repräsentanten privater und öffentlicher Anbieter sollten hier dem Grünbuch zufolge europaweit gültige Spezifikationen erarbeiten.

Wirtschaftspolitisch werden die zwölf EG-Mitglieder zu einem international einheitlichen Kurs aufgefordert; GATT-Verhandlungen oder Positionen der Fernmeldeunion zitiert die Kommission als Beispiele.

Auf weltweit rund 300 Milliarden Ecu beliefen sich nach Angaben der Brüsseler Eurokraten 1985 die Einkünfte aus Telecom-Diensten; 62,5 Milliarden entfielen davon auf die Staaten der Gemeinschaft. Gegenwärtig läßt sich der Markt für Telekommunikation und Datenverarbeitung mit 600 Milliarden Ecu beziffern. Den Anteil am Bruttosozialprodukt taxiert die Kommission bis Ende der 90er Jahre mit sieben Prozent. Auf dem Telecom-Weltmarkt hält die EG 20 Prozent und sichert sich damit Platz zwei - nach den USA und vor Japan.