Browser und Anwendungs-Suites fuers Internet (I) IDC: Unternehmen verfolgen eine zurueckhaltende Internet-Politik

22.09.1995

MUENCHEN (CW) - Guter Rat ist teuer - auch und gerade, wenn es um geeignete Browser und Anwendungs-Suites fuers Internet geht. Diese nicht ganz neue Feststellung ist auch die Kernaussage einer Untersuchung von IDC, die sich gleichwohl an den Versuch macht, Licht ins Dunkel des Produktkonglomerats in Sachen Zugriff- Software zu bringen. Grafische Web-Browser hatten und haben jedenfalls, so IDC, einen besonderen Stellenwert fuer die Entwicklung des Internets. Eine andere, fuer grosse Firmenkunden eher politische Frage ist die nach der jeweils gewuenschten Zugriffsart.

Mit der sprunghaft wachsenden Popularitaet des Internet sind in den zurueckliegenden zwoelf Monaten zahlreiche Web-Browser vorgestellt worden. Highlights dieser Entwicklung waren IDC zufolge die Auslieferung von Mosaic 2.0 und von Netscape 1.0 inklusive integrierter Sicherheits-Features sowie das Bundling von IBMs Web Explorer mit OS/2 Warp. Zudem haben mittlerweile auch Unternehmen wie Netmanage, The Wollongong Group, Quarterdeck, Frontier Software Development Web-Browser auf den Markt gebracht. Dies dokumentiert nach Ansicht der Marktforscher, dass immer mehr Software-Companies durch Standards wie dem World Wide Web und die Hypertext Markup Language (HTML) in der Lage sind, eigene Browser- Loesungen zu entwickeln.

Bei diesem Szenario hat sich nach Einschaetzung der IDC-Experten eine Zweiteilung in sogenannte Geschaefts- und Individual-Maerkte herausgebildet. Erstere umfassen alle Unternehmen, Behoerden und Organisationen, die die entsprechende Browser-Software fuer den Einsatz durch ihre Mitarbeiter nutzen wollen. Hinter dem Erwerb steht das Ziel, den Benutzern eine Anwendung verfuegbar zu machen, die sie in ihrer Arbeit unterstuetzt, so wie dies etwa auch Sinn und Zweck von Textverarbeitungs- oder Tabellenkalkulationsprogrammen ist.

Allerdings scheint sich der Geschaeftsmarkt wiederum in die Bereiche "oeffentlicher" und "interner Internet-Zugriff" aufzusplitten, wobei das professionelle Browser-Business auf den ersten Blick mit Unternehmen gemacht wird, die ihren Mitarbeitern den Zugriff auf das World Wide Web ermoeglichen. So gab es nach Schaetzung von IDC bereits im vergangenen Jahr 30 Millionen kommerzielle Benutzer mit Internet-Zugriff; 20 Millionen davon (66 Prozent) konnten sich allerdings nur per E-Mail in die "Mutter aller Netze" einklinken. Von den restlichen zehn Millionen war nur etwa eine Million (3,3 Prozent) in der Lage, auf einen WWW-Server im Internet zuzugreifen. Die uebrigen Benutzer verfuegten lediglich ueber einen beschraenkten Zugang zu speziellen Anwendungen wie Ftp oder Netnews.

Fuer die bis dato eher restriktive Zugriffspolitik im Geschaeftsmarkt sind IDC zufolge drei wesentliche Gruende verantwortlich. Zum einen bekommen die meisten Anwender schon via E-Mail relativ leicht zu Zugang zum Internet, weil hierzu nur eine WAN-Verbindung zum Internet und ein Mail-Gateway benoetigt wird. Anders sieht es hingegen bei einem sogenannten Komplettzugriff aus, der eine umfassende TCP/IP-Infrastruktur voraussetzt. In Unternehmen wiederum, wo eine entsprechende Protokoll-Landschaft implementiert ist, ermoeglichen die IT-Verantwortlichen den Mitarbeiter oft aus Sicherheitsgruenden nicht die volle Nutzung des Internets. Features wie Mosaic oder Netscape bleiben hier also aussen vor. Zudem hat sich nach Erkenntnissen der IDC-Auguren in nicht wenigen Chefetagen die Meinung herausgebildet, dass das World Wide Web in vielen Faellen lediglich die Funktion eines "Arbeitszeitfressers" ausuebt - folglich wird in solchen Companies der Zugriff auf Benutzer beschraenkt, die nachweislich im Sinne ihrer beruflichen Taetigkeit auf das Internet zugreifen muessen.

Bis Ende 1995 werden diese Aspekte, wie es heisst, die Anschaffungsplaene der Unternehmen weiter beeinflussen, wodurch sich die Nachfrage nach Browser-Software abkuehlen duerfte. So werden Ende dieses Jahres nach Berechnungen von IDC insgesamt 40 Millionen kommerzielle Benutzer an das Internet angeschlossen sein; davon werden jedoch nur fuenf Millionen (12,5 Prozent) mit einem Komplettzugriff ausgestattet sein.

Allerdings gibt es einen Geschaeftsmarkt neben dem Segment, das durch den Internet-Zugriff gekennzeichnet ist, einen zweiten - als sogenannter interner Zugriff deklarierten - Bereich. Hier planen offensichtlich immer mehr Unternehmen, die aus besagten Sicherheitsgruenden eine eher zurueckhaltende Internet-Politik verfolgen, Features wie das World Wide Web samt Web-Browser fuer Applikationen innerhalb der eigenen TCP/IP-Inhouse-Struktur zu nutzen. So will Digital Equipment seine gesamten internen Vertriebs- und Produktinformationen in HTML abfassen und sie auf internen WWW-Servern allen Vertriebs- und Marketing-Mitarbeitern verfuegbar machen.

Ein anderes Beispiel ist laut IDC der US-Carrier MCI, der seinen Internet-Shopping-Service erst innerhalb des eigenen internen Netzes mit rund 20 000 Mitarbeitern testete, bevor man mit dem Dienst an die Internet-Oeffentlichkeit ging. Ueberdies liefen nach juengsten IDC-Berechnungen schon 1994 auf weltweit rund 9,2 Millionen geschaeftlich genutzten PCs TCP/IP-Anwendungen - eine Basis, die bis Ende 1995 auf 17 Millionen anwachsen duerfte. Die meisten dieser Benutzer koennen nicht auf das Internet zugreifen, benoetigen jedoch im Rahmen ihrer generellen Taetigkeit im Unternehmen zunehmend Browser-Software.

Prinzipiell prueft, erwirbt und wartet im Geschaeftsmarkt (wie im IT-Markt generell ueblich) eine Person oder Gruppe von Personen die Browser-Software fuer die Endbenutzer. Fuer diese Art von Kunden sind daher Browser-Komponenten nichts anderes als groessere Toolboxen, die TCP/IP-Connectivity-Protokolle wie FTP, NFS oder Telnet enthalten sollten. Die Einkaeufer entsprechender Software werden jedenfalls nach IDC-Einschaetzung zunehmend Wert darauf legen, ob der jeweilige Hersteller eine robuste Suite integrierter Connectivity-Software - einschliesslich Internet-orientierter Anwendungen wie Browser - fuer externe und interne Kommunikationsanforderungen vermarktet und unterstuetzt. Zu den wichtigen Kaufkriterien duerften in Zukunft auch Aspekte wie zentrale Administration und Management der Software gehoeren.

Im schon erwaehnten Individualmarkt hingegen sind Benutzer und Kaeufer der Browser-Software identisch; dass heisst, diese Klientel benoetigt in der Regel nicht einen speziellen Web-Browser, sondern interessiert sich fuer ganz bestimmte Informationen und Unterhaltungsangebote im Internet. Ganz oben auf der Bedarfsliste dieser Gruppe stehen laut IDC zum einen der Wunsch, mit moeglichst wenig obskuren Internet- oder Unix-Befehlen konfrontiert zu werden, zum anderen die einfache Installation sowie vordefinierte Anzeigen fuer interessante Themenbereiche. Darueber hinaus benoetigen die Privatkunden einen anderen Support als die Geschaeftskunden. Wichtig sind hier vor allem sofortige Verfuegbarkeit und Einsatzfaehigkeit.

Fuer die beiden genannten Kundengruppen sind nach Ansicht der IDC- Auguren auch unterschiedliche Vertriebsstrategien erforderlich. Im Geschaeftsmarkt erfolgt der Vertrieb von Browsern ueber zwei Hauptabsatzschienen: Entweder durch traditionelle Connectivity- Anbieter, die ihre Produktfamilien um Browser-Software ergaenzen, oder durch Unternehmen, die ihre Browser-Loesungen als industrieweiten De-facto-Standard etablieren wollen. Zur ersten Kategorie zaehlen IDC zufolge Unternehmen wie FTP Software, Netmanage, Frontier, Wollongong oder Spry, die auf den Verkauf von PC-basierten TCP/IP-Loesungen an Geschaeftskunden fokussiert sind. Da sich deren Kunden fuer TCP/IP als unternehmensweite Netzinfrastruktur entschieden haben, erweitern diese meist auch ihr Anwendungsportfolio um Internet-Anwendungen inklusive dem World Wide Web.

Alle genannten Hersteller haben mit Ausnahme von FTP Software und Spry eigene Browser-Software entwickelt (FTP und Spry haben im Rahmen von OEM-Abkommen Mosaic von Spyglass lizenziert). Die Ueberlegung, die dahinter steckt, ist, dass sich intern entwickelte Produkte nahtloser in die eigenen TCP/IP-Anwendungen integrieren lassen. Netmanage verknuepft beispielsweise die Hotlist seines "Websurfer"-Browsers mit seinen Kalender- und Zeitplanungs-Tools der "Ecco"-Reihe, um so robustere Verzeichnisfunktionen unterstuetzen zu koennen. Am weitesten in Sachen Integration geht laut IDC NCD, das seinen "Marine"-Browser als Frontend fuer saemtliche Anwendungen verwendet. Diese Produkte werden derzeit ueber die in der Branche traditionellen Kanaele vertrieben. FTP Software setzt seine integrierte Anwendungs-Suite fuer den Informationszugriff ("Onnet-Explorer") ueber seinen Direktvertrieb ab. Netmanage verlegt sich demgegenueber bei "Chameleon 4.5" auf den Televerkauf und Anzeigen. In Maerkten, in denen die Kunden den Internet-Zugriff benoetigen, kooperieren die betreffenden Software- Anbieter mit Internet-Service-Providern, um auf diese Weise, wie es bei IDC heisst, schluesselfertige Loesungen vermarkten zu koennen.

(wird fortgesetzt)