Was Gartner bei der Auslagerung kompletter Geschäftsprozesse empfiehlt

BPO - eine Frage der Strategie

25.06.2004
MÜNCHEN (CW) - Der Markt für Business Process Outsourcing (BPO) boomt. Wie beim Infrastruktur-Outsourcing gilt aber: Der Kostenaspekt alleine greift bei einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zu kurz. Die Anwender müssen ihre gesamten Abläufe auf den Prüfstand stellen.

Die Zahlen, die momentan unter Experten kursieren, sind widersprüchlich. Nach Prognosen der französischen Marktforschungs- und Beratungsgesellschaft Pierre Audoin Consultants (PAC) wird sich der deutsche BPO-Markt bis 2008 auf ein Volumen von 3,6 Milliarden Euro etwa verdoppeln; Gartner geht davon aus, dass die Anbieter einschlägiger Services schon in diesem Jahr auf ein Umsatzvolumen in dieser Größenordnung kommen dürften. Fest steht in jedem Fall, dass die Auslagerung kompletter IT-gestützter Geschäftsprozesse im Rahmen einer umfassenden Sourcing-Strategie immer wichtiger wird. Das gilt auch für deutsche Unternehmen, die im Vergleich zu Firmen aus dem angloamerikanischen Raum dem Thema lange Zeit reserviert gegenüberstanden. Doch im Zeichen globaler Märkte und des zunehmenden Kostendrucks wird immer häufiger ein geeigneter Mix aus größeren BPO-Projekten sowie kleineren Nearshore- und Offshore-Maßnahmen als entscheidender Wettbewerbsfaktor angesehen.

Anbieter und Anwender haben Interesse

Dass die BPO-Welle inzwischen Deutschland erreicht hat, belegen prominente Beispiele. Etwa die Deutsche Bank, die ihren Einkauf an Accenture auslagern will, oder der Halbleiterhersteller Infineon, der sein komplettes Human-Resources-Management (HR) an Electronic Data Systems (EDS) übergeben hat. Auch auf Seiten der Anbieter trägt man diesem Trend längst Rechnung. So hat unlängst Paul Stodden, scheidender Chef von Siemens Business Services (SBS), in einem Interview mit der CW bekräftigt, das BPO-Geschäft forcieren und ab Oktober sogar in einer eigenen Business Unit bündeln zu wollen. Ankündigungen, diesen Markt stärker zu adressieren, gab es zuletzt ferner von EDS und Capgemini.

Längst aber setzt sich das Spektrum gängiger BPO-Projekte nicht mehr nur aus HR-Anwendungen, dem Finanz- und Rechnungswesen, dem Call-Center-Betrieb und der Pflege eines CRM- oder SCM-Systems zusammen. Immer häufiger ist nun auch von der Abwicklung kompletter Verkaufsprozesse inklusive Inkasso die Rede oder von Applikationen wie der Kreditvergabe sowie Vermarktung und Berechnung von Versicherungspolicen. Gleiches gilt für das so genannte E-Mail-Response-Management. Gartner spricht in diesem Zusammenhang vom Contact Centre oder auch Customer Service Outsourcing (CSS), einem Segment des BPO-Marktes, das aber nach Schätzungen der Marktforscher bis 2007 mit einem weltweiten Volumen von dann 12,2 Milliarden Dollar massiv an Bedeutung gewinnen dürfte.

Wer aber als Anwender bei einem BPO-Projekt Fehler macht, etwa die falschen oder nicht exakt definierte Prozesse auslagert, erreicht womöglich das Gegenteil dessen, was er ursprünglich bezwecken wollte - nämlich Qualitätseinbußen und Unflexibilität in den Geschäftsprozessen sowie ausufernde IT-Kosten. Laut Gartner liegt dieser Problematik dieselbe Crux wie etwa beim klassischen Infrastruktur-Outsourcing zugrunde: Mehr als 80 Prozent aller BPO-Entscheidungen werden vom Business-Management und nicht von den IT-Verantwortlichen initiiert. In der Folge kommt es deshalb häufig zu Kompetenzstreitigkeiten. Das Business-Management möchte auch die Prokura bei einem laufenden BPO-Projekt behalten, der interne IT-Shop sieht sich zum Handlanger degradiert. Die schädlichen Folgen dieser Vorgehensweise sind bekannt. Es vergehen oft Jahre, bis ein solches Vorhaben von der Planungsphase in den operativen Betrieb übergeht, es findet kein adäquates Projekt-Management statt und es mangelt an einer geeigneten Policy für das Benchmarking sowie die Kontrolle des Dienstleisters. Das entscheidende Manko ist aber oft ein anderes: Viele Anwenderfirmen haben ihre Geschäftabläufe nicht exakt definiert und dokumentiert, kennen zum Beispiel nicht die tatsächlichen Kosten im Hinblick auf IT und Personal, die sie für ihre Finanzbuchhaltung und HR aufwenden.

Gartner-Analystin Rebecca Scholl rät deshalb, die Entscheidungsfindung im Hinblick auf BPO drastisch zu verkürzen. Die eigenen Prozesse und Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen und zu verifizieren, dürfe nicht länger als einen Zeitraum von sechs Monaten in Anspruch nehmen. Dauere dies länger, sei angesichts sich häufig und schnell ändernder Märkte die Gefahr groß, dass man falsche Maßnahmen ergreift. Grundsätzlich machten die für die IT und das operative Geschäft Verantwortlichen immer wieder den Fehler, Verträge mit einem Serviceanbieter ungenau zu formulieren und für die zu erbringenden Leistungen keine klaren Absprachen in Form präziser Service Level Agreements (SLAs) zu treffen.

BPO ist immer ein vertikales Projekt

Hinzu komme, so Scholl, dass aus den genannten Gründen oft keine klare Outsourcing-Strategie beim Kunden existiere. So kollidiere bisweilen ein vertikales BPO-Vorhaben, beispielsweise die Vergabe der Personalverwaltung an einen externen Dienstleister, mit einem bereits zuvor initiierten horizontalen IT-Outsourcing-Projekt, etwa der Auslagerung des kompletten Rechenzentrums. Reibungsverluste seien hier programmiert, meint die Analystin. Darüber hinaus drohten grundsätzliche Konflikte, wenn ein BPO-Projekt "nur" zur Vereinfachung von Prozessen und zur Kostenersparnis beitrage, während Business-Management gleichzeitig in zusätzliche Märkte expandieren sowie neue Geschäftsmodelle ausprobieren wolle. (gh)

Fallstricke beim BPO

- Anwender definieren laut Gartner nicht häufig genug die Prozesse, die zwar unternehmenskritisch sind, aber nicht zum Kerngeschäft gehören. Genau diese Anwendungen sind aber im Zweifel diejenigen, die für ein BPO-Projekt in Frage kommen.

- Bei einem BPO-Dienstleister schaut man immer zuerst auf den Preis, während die "Quality of Services" häufig zu kurz kommt.

- Oft wird bei einem BPO-Projekt mit einer Kostenersparnis von 20 Prozent und mehr kalkuliert. Das ist nicht immer realistisch.

- Viele Anwender tun sich schwer mit der Auswahl eines geeigneten Dienstleisters und können nicht zwischen einem reinen BPO-Spezialisten und einem Infrastruktur-Outsourcing-Anbieter unterscheiden.

BPO-Anbieter - die Qual der Wahl?

- Die Anbieterszene entwickelt sich Gartner zufolge analog zu den Markttrends, muss also in Zukunft differenzierter betrachtet werden.

- Viele BPO-Projekte, etwa der Call-Center-Betrieb, werden inzwischen auch offshore betreut. Hinzu kommen neue Kategorien von Dienstleistern, etwa aus dem Bereich Telemarketing.

- Viele klassische IT-Dienstleister und Systemintegratoren wie EDS oder SBS drängen in das BPO-Business. Der Verweis auf vertikales Branchen-Know alleine, etwa im Bankenbereich, genügt aber nicht. Es muss die Fähigkeit gegeben sein, komplette und zum Teil hochkomplexe Geschäftsabläufe der Kunden (zum Beispiel den Handel mit Derivaten und Optionsscheinen) abzubilden.

- Die Größe von BPO-Projekten variiert zunehmend. Es kann sich um ein Auftragsvolumen von 20 Millionen oder mehreren Milliarden Dollar handeln. Anwender sind nach wie vor gut beraten, bei der finanziellen Gestaltung auf eine Mischkalkulation aus Festpreis und erfolgsabhängigen Tantiemen für den Dienstleister zu setzen. Bei ganz großen Deals empfiehlt es sich, auch über ein Joint Venture nachzudenken.

Abb: Business Process Outsourcing ist skalierbar

"Wertewandel": Die Argumente, die künftig für das Business Process Outsourcing sprechen, werden eher vom Mehrwert und weniger von den Kosten getrieben sein. Quelle: Gartner