Interdisziplinäres Arbeiten verhilft Naturwissenschaftler zum Erfolg

Bioinformatiker entziffern das Erbgut

16.06.2000
Bioinformatiker sind die neuen Stars der Biotech-Szene. Das gigantische Forschungsprojekt zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms wäre ohne Biologen mit ausgeprägtem Informatikprofil nicht machbar, die riesigen Daten-mengen nicht zu bewältigen. Doch der Nachwuchs ist noch dünner gesät als in den anderen IT-abhängigen Branchen. Von Veronika Renkes*

Bioinformatiker erforschen die Muster des Lebens. Längst hat sich die biologische Revolution mit der elektronischen vermählt. Roboter übernehmen die Routine in den Labors, pipettieren, rühren und machen vieles von dem, was bisher viel zu langsam, zu umständlich und zu teuer vonstatten ging. Ohne leistungsstarke Rechner und das Internet würde die Datenflut der Genomforscher größtenteils ungenutzt in den Archiven lagern. Die Wörter der Gen- oder Proteinsprache - nämlich die DNA- oder Eiweißsequenzen - lassen sich ebenso elektronisch speichern wie Wörter oder Zahlen. Das nutzen die neuen Stars der Biotech-Szene, die Bioinformatiker.

Die meist jungen Experten, die Softwarechinesisch ebenso verstehen wie den Molekularbiologen-Jargon, kanalisieren die Datenflut aus den Biolabors. Dort fallen allein im Zuge des internationalen Humangenomprojekts Woche um Woche mehrere Tausend kurze DNA-Sequenzen an. Bioinformatiker entwickeln Programme, mit deren Hilfe sich Genomrohdaten schneller in medizinisch nützliches Know-how umwandeln lassen und somit aufwendige chemische oder biologische Tests vermeiden. Ihr Ziel: das Entschlüsseln der Baupläne von Bakterien, Pflanzen und vom Menschen sowie das Aufdecken von Zusammenhängen bei der Entstehung von Krankheiten oder bei der Produktion von Nährstoffen in Pflanzen.

Chip entziffert Krankheit

"Die genomischen Projekte werden zur Zeit sehr stark in der Industrie nachgefragt. Allerdings weiß noch keiner so richtig, was man damit machen kann", beschreibt Thomas Lengauer, Leiter des Instituts für Algorithmen und wissenschaftliches Rechnen bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH (GMD) in Sankt Augustin, den Trend. Die Hoffnung sei groß, dass man viel damit machen könne, und so investiere die Pharmaindustrie Millionen von Dollar in die Interpretation der genomischen Texte, um neue Medikamente oder Therapien zum Beispiel gegen Krebs oder die Alzheimer-Krankheit entwickeln zu können, meint Lengauer.

Erste Erfolge gebe es bereits. In fünf Jahren werde es möglich sein, einen Blutstropfen über einen Chip laufen zu lassen und danach genau zu diagnostizieren, welche Krankheit vorliegt. Auch die GMD beteiligt sich an der Interpretation der genomischen Texte und sucht Bioinformatiker unter anderem für ihr Forschungsprogramm "Informatikmethoden zur Analyse und Interpretation großer genomischer Dartenmengen" (http://www.gmd.de/SCAI/dfg2). Doch der Nachwuchs fehlt. Der Mangel an Bioinformatikern sei noch schlimmer als der bei den klassischen Informatikern, so der GMD-Wissenschaftler.

Bioinformatiker kamen bisher aus der Biologie oder Physik, insbesondere aus der Molekularbiologie. Für die neuen Herausforderungen brauchen Pharmaunternehmen, Forschungsinstitute sowie Bioinformatik- und Biotechunternehmen jedoch dringend Informatik-Know-how. Interessante Aufgaben warten auf die Experten, denn schließlich sei es "eine unglaubliche Herausforderung, Organismen zu verstehen und zu begreifen, wie die Natur die Maschine Mensch geschaffen hat", schildert GMD-Mann Lengauer, warum die Bioinformatik ein besonders spannendes Betätigungsfeld ist. Auch Thomas Teyke, Senior Consultant bei der Management-Beratung Gemini Consulting GmbH, schätzt den Bedarf an Bioinformatikern künftig als sehr hoch ein. Pharmakonzerne und Biotech-Unternehmen kooperieren nicht nur in der Forschung miteinander, sondern würden künftig zunehmend auch mit Informationen handeln. Dafür sind Netzwerke aufzubauen und Datenbanken etwa in Kalifornien, Bonn oder Tokio miteinander zu verbinden -

ebenfalls eine Aufgabe für Experten mit Doppelprofil.

Olav Zimmermann, 34 Jahre alter Mitgründer des Bioinformatik-Startups Science Factory GmbH in Köln, vermarktet die Ergebnisse einer Enzymdatenbank, die fünfzehn Jahre lang an der Kölner Universität aufgebaut wurde. Seine Kunden sind Pharmaunternehmen und die Life-Science-Industrie. Die Geschäftsidee: Datenbestände aus der ganzen Welt effizient miteinander zu verbinden und eine Plattform aufzubauen, die den Unternehmen einen schnellen und übersichtlichen Zugriff zu den gewünschten Informationen ermöglicht. Ein gutes Geschäft, meint Zimmermann, denn die Pharmaindustrie hat ihre Forschung in diesem Bereich zu fast 30 Prozent im Wege des Outsourcing an Externe vergeben. Bioinformatiker, die bei dem Kölner Unternehmen einsteigen wollen, sollten vor allem programmieren und visualisieren können.

Ähnlich sieht auch das Aufgabenspektrum des Bioinformatikers Karsten Quast beim Pharmariesen Boehringer-Ingelheim in Biberach aus. Der 32-Jährige, der Bioinformatik an der Universität Bielefeld studiert hat, ist Mitglied in der so genannten Genomics-Gruppe, die sich mit der Analyse des Genoms beschäftigt und in der drei Bioinformatiker tätig sind. Weitere vier sollen noch in diesem Jahr dazukommen. "Wir sind eine relativ kleine Gruppe. Deshalb entwickeln wir keine ausgereiften und umfangreichen Tools selber. Wir betreiben vor allem Marktbeobachtung und kaufen die fehlenden Softwarelösungen ein." Quast und seine Kollegen arbeiten eng mit sämtlichen Forschungsabteilungen zusammen. "Wir entwickeln mit den Biologen auch Projektideen. Da wir sowohl Biologie- als auchInformatik-Know-how mitbringen, entwickeln wir Ideen und Konzepte, auf die Biologen oder Informatiker alleine nicht kommen würden", stellt Quast den Vorteil des Doppelprofils heraus.

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.