Pro und contra Strahlung

Bildschirmarbeit: Noch immer ein großes Forschungsdefizit

13.07.1990

Dipl.-Ing. Hans-Dieter Schommer ist Sachbearbeiter für Sicherheitstechnik und Arbeitshygiene beim Minister für Arbeit. Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf

Die biologischen Wirkungen der Bildschirmstrahlung, insbesondere auf den Schwangerschaftsverlauf und die embryonale Entwicklung, führen immer wieder zu Verunsicherungen bei den Betroffenen. Immer wieder treten die Fragen auf: Welche gesicherten Erkenntnisse liegen vor und was kann heute getan werden?

Die Strahlenbelastung bei der Bildschirmarbeit führt immer wieder zu heftigen, vielfach emotionsbeladenen Diskussionen über mögliche, Gesundheitsrisiken. Während viele Arbeitgeber durch die Tätigkeit am Bildschirm keine gesundheitlichen Gefährdungen sehen, äußern insbesondere schwangere Frauen Befürchtungen und fühlen sich nicht hinreichend geschützt. Beide Seiten glauben, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen zu können. Vor diesem Hintergrund und dem unaufhaltsamen Vormarsch des Bildschirms in allen Lebensbereichen stellt sich die Frage nach dem aktuellen Erkenntnisstand.

Es gibt keinen strahlungsfreien Monitor

Kein Bildschirm ist strahlungsfrei. Tatsache ist, daß der Monitor ein komplexes Strahlengemisch emittiert, von dem die Röntgenstrahlung und die Abstrahlung niederfrequenter elektromagnetischer Felder wegen ihrer angeblichen Wirkungen auf den Schwangerschaftsverlauf und die embryonale Entwicklung im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Experten interpretieren die strahlenbiologischen Wirkungen dieser Emissionskomponenten teils übereinstimmend teils kontrovers. Die Folge: die Betroffenen sind verunsichert und fürchten um ihre Gesundheit.

Die Suche nach gesicherten Erkenntnissen ist schwierig, da in Untersuchungsberichten vielfach objektive Gegebenheiten und subjektives Situationsempfinden eng miteinander verknüpft sind. Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen Meinungen für jene Risikobereiche, für die noch keine empirischen Ergebnisse vorliegen. Daß man die möglicherweise beeinträchtigende oder gar gefährliche Wirkung der Bildschirmstrahlung nicht wahrnehmen kann, darf nicht zu dem Trugschluß führen, sie könne überhaupt nicht gegeben sein. Das ignorieren möglicher Gefährdungen ist ebenso fehl am Platz wie Panik.

Beim Betrieb des Bildschirmgerätes werden die informationsschreibenden Elektronen mit einer Spannung bis 30 Kilovolt beschleunigt und im Leuchtstoff der Bildröhre abgebremst. Hierbei entstellt die sogenannte Röntgenstreustrahlung. Die Messungen von Röntgenstrahlenemissionen an Bildschirmgeräte lassen eindeutig erkennen, daß aufgrund des Standes der Bildröhrentechnik und des Schaltungsauslegung nicht nur die Einhaltung der vorgeschriebenen Grenzwerte gewährleistet ist. Ebenso besteht keine oder höchstens eine im Vergleich zur natürlichen Strahlenexposition vernachlässigbare Strahlenbelastung. Die Röntgenstrahlung durch Monitore ist im Hinblick auf strahlenbiologische Wirkungen (Mißbildungen, Leukämie, Krebs) belanglos.

Ferner stellt sich die Frage, ob die Abstrahlung elektromagnetischer Felder einen Risikofaktor darstellt.

Zur Ablenkung und Fokussierung des Elektronenstrahles werden Elektroden und Spulen eingesetzt. Die schnelle Oszillation der Spannung mit einer Frequenz um 20 kHz ermöglicht die Bewegung des Elektronenstrahls. Hierbei entstehen hochfrequente elektromagnetische Felder. Ihre Stärke ist äußerst gering, sie können nicht in das Gefüge molekularer Strukturen eingreifen und damit biologische Wirkungen hervorrufen. Spulen und Transformatoren im Bildschirmgerät sind Quellen für niederfrequente elektrische und magnetische Felder. Die gemessenen Werte an den Monitoren und Terminals liegen zwar in der Größenordnung von Feldern, die an elektrischen Büro- und Haushaltsgeräten ermittelt wurden, im Unterschied zu Schreibmaschinen, Haartrocknern und Mixern ist die Bildschirmabstrahlung jedoch pulsierend.

Ihre strahlenbiologische Wirkung auf die embryonale Entwicklung und den Schwangerschaftsverlauf waren auch Thema der internationalen Bildschirmtagungen in Stockholm (1986) und Montreal (1989). Unstrittig ist, daß sich durch die Einwirkung niederfrequenter elektromagnetischer Felder biologische Effekte, wie zum Beispiel die Änderung der Membraneigenschaften der Zellen, erzeugen. Unklar ist hingegen die Wechselwirkung schwacher elektromagnetischer Felder mit biologischen Systemen sowie die Übertragbarkeit der mit Versuchstieren gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen. Forschungsaktivitäten müssen diese Wissensdefizite abklären.

Beachtenswert ist das Ergebnis einer von den kanadischen Elektrizitätswerken initiierten umfassenden Studie zur Wirkung pulsierender Magnetfelder niedriger Frequenz auf die Fortpflanzung von Mäusen. Obwohl die bei diesem Versuch verwendeten Feldstärken um eine Größenordnung über den

an Bildschirmarbeitsplätzen gemessenen Feldstärken lagen, ließ sich weder eine signifikante Zunahme der Totgeburten und Mißbildungen feststellen, noch eine Beeinflussung des Geburtsgewichts beobachten. In einer anderen Untersuchung mit Mäusen im pulsierenden Magnetfeld und einer im Vergleich zur Bildschirmbelastung stark erhöhten Feldexposition wurden ebenfalls keine Mißbildungen registriert.

Obwohl über hundert Studien vorliegen, gibt es noch keine hinreichend gesicherten Erkenntnisse, ob der Schwangerschaftsverlauf gefährdet ist. Hier zeichnet sich noch ein erhebliches Forschungsdefizit ab. Wegen der Komplexität der Einflußfaktoren sind experimentell abgesicherte neue Befunde kurzfristig kaum zu erwarten. Negative Schwangerschaftsverläufe wurden häufiger beobachtet, ohne jedoch die Ursachen hierfür zu finden. Eine monokausale Ursachen-Wirkungs-Kette zur elektromagnetischen Feldexposition an Bildschirmen ist dem berechtigten Schutzbedürfnis der Schwangeren unangemessen. Hier muß das gesamte physische und psychosoziale Belastungsfeld berücksichtigt werden.

Einschlägige gesetzliche Vorschriften fehlen noch

Die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt, Leistungsverdichtung und Streß fuhren vielfach bei individuellen unzureichenden Problembewältigungs-Strategien zu einem erhöhten Konsum von Alltagsdrogen mit den bekannten negativen Folgen für den Schwangerschaftsverlauf. Selbst wenn die Bildschirmbeschäftigung nicht belastender ist als die normale Büroarbeit, kann die Angst der Schwangeren vor Monitorstrahlung zu einem unvertretbaren Belastungsfaktor anwachsen.

Abstrahlungen spielen in der heutigen technischen Industriegesellschaft eine bedeutende Rolle. Einschlägige gesetzliche Vorschriften zum Schutz vor Gesundheitsgefahren am Bildschirmarbeitsplatz gibt es noch nicht. Allerdings liegen zahlreiche Normen, Richtlinien, Tarifverträge und Tarifvereinbarungen vor, die eine gesundheitsschonende Nutzung der EDV-Umwelt zum Inhalt haben. Für die Strahlenbelastung bedeutet dies konkret:

In den Einkaufsrichtlinien müssen die Unternehmen festlegen, daß bei sonst gleich guter Qualität das Gerät zu beschaffen ist, das das geringste Strahlungsumfeld aufweist. Werdende Mütter an Bildschirmarbeitsplätzen sollten ohne Nachteile auf andere Arbeitsplätze wechseln können, wenn sie die Befürchtung äußern, daß für sie oder für das Kind bei Fortdauer der Beschäftigung eine Gefährdung besteht.