Objektorientierte Neuentwicklung für das Intranet

Berliner Sozialämter setzen auf Network Computing

13.03.1998

Im öffentlichen Bereich sind Mittelkürzungen und Investitionssperren an der Tagesordnung. In dieser Beziehung ergeht es Berlin nicht anders als dem Rest der Republik. Trotzdem will der Senat der Bundeshauptstadt in den kommenden zwei Jahren 15 Millionen Mark für ein IT-Vorhaben lockermachen.

Offenbar konnte Referatsleiter Josef Schültke, der die Projektverantwortung übernommen hat, der Berliner Gesundheits- und Sozialsenatorin Beate Hübner die Dringlichkeit des Vorhabens vor Augen führen. Die Senatsleiterin klagte jüngst öffentlich, daß dem Land Berlin die informationstechnischen Voraussetzungen fehlen, um den Vorgaben des Haushaltsstrukturgesetzes zu genügen. Statistische Auswertungen der Sozialhilfeleistungen sind kaum möglich. Darüber hinaus lädt die dürftige Integration der Informationssysteme beinahe zum Leistungsmißbrauch ein.

Derzeit schüttet der Berliner Senat im Jahr etwa 3,6 Milliarden Mark an 250 000 Sozialhilfeempfänger aus. Daß immer weniger Sachbearbeiter für immer mehr Sozialhilfefälle zuständig sein würden, zeichnete sich schon Ende der 80er Jahre ab. Damals begannen die Berliner, sich den Kopf zu zerbrechen, wie sie mit Hilfe der Informationstechnik die Bearbeitung von Sozialhilfeanträgen beschleunigen könnten.

Die Überlegungen führten dazu, daß ab 1993 die im kommunalen Bereich weit verbreitete Standardsoftware "Prosoz" vom Prosoz-Institut Herten (PIH) flächendeckend eingeführt wurde. "Wir wußten von vornherein, daß die Software unseren Ansprüchen nicht "genügte", erinnert sich Schültke. Dafür habe es unterschiedliche Gründe gegeben. Der wichtigste: In seiner Urform sei das Produkt technisch veraltet. Im Gegensatz zu einer neueren Variante, die die Stadt München mit Siemens-Nixdorf-Hilfe ralisiert habe, basiere es nicht auf einer Datenbank und biete keine integrierte Textverarbeitung. Vor allem aber erlaube es keine statistischen Auswertungen.

Doch laut Schlütke gab es keine bessere Software auf dem Markt. Außerdem sei geplant gewesen, das Produkt gemeinsam mit dem Anbieter und anderen Großkunden weiterzuentwickeln. Diese Vorsätze scheiterten allerdings an unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen Senat und PIH.

Inzwischen hatten die Lücken in der Prosoz-Funktionalität dazu geführt, daß die Senatsmitarbeiter der Software Rucksäcke aufgesetzt hatten. Darunter litten Wartbarkeit und Flexibilität der Lösung. Nachdem die Kooperationsverhandlungen mit dem Anbieter gescheitert waren, starteten die Berliner folglich eine europaweite Ausschreibung für ein Nachfolgesystem. Doch kein Anbieter vermochte sie zu überzeugen.

Also gingen sie einen Schritt zurück und machten sich auf die Suche nach Partnern, die ihnen bei der Formulierung eines Pflichtenheftes für eine selbstentwickelte Software helfen würden. Den Zuschlag erhielten im Januar 1996 der Software-Anbieter Oracle und das Berliner Service-Unternehmen PSI GmbH, das den Senat schon bei der Prosoz-Einführung unterstützt hatte.

Bei der Pflichtenheft-Erstellung folgten Senat, Oracle und PSI im wesentlichen der im öffentlichen Bereich vorgteschriebenen Methodensammlung des "V-Modells". Letztlich mußten sie dann aber doch von dieser Vorgabe abweichen, denn die Bedeutung der Objektorientierung (OO) war den Schöpfern des V-Modells noch nicht bekannt gewesen, während sich Schültke und seine Mitarbeiter davon überzeugt hatten, daß nur der OO-Ansatz der neuen IT-Architektur die Flexibilität gab, die die Investitionen schützen würde. Als das Pflichtenheft vereinbarungsgemäß im Spätsommer 1996 fertig war, erkannten die Berliner, daß ihr 1993 angeschafftes Equipment, PCs mit 486-Chips, eigentlich nur noch als Alteisen taugte. "Das war das zweite Mal, daß wir intern am Ende waren", erinnert sich Schültke. Der Ausweg bestand darin, die Rechnerleistung auf einem Server zu zentrieren und die PCs aus die Funktion von Eingabe- und Datensichtstationen zu beschränken. Die zeitgemäße Lösung für eine solche Aufgabe ist ein Intranet.

Vordergründig eignet sich ein solches System weniger zur Datenverarbeitung als zum Dokumenten-Management. Eine Client-Server-Umgebung wird daraus erst durch eine Middleware-Schicht, die den systemweiten Austausch von von Objekten handhaben kann. Eine wichtige Komponente dieser Vermittlungssoftware ist ein Object Request Broker (ORB). Er sollte der von der Object Management Group (OMG) spezifizierten Common Object Request Broker Architecture (Corba) entsprechen. Auch für die Anwendungsentwicklung empfiehlt sich eine objektorientierte Sprache, sprich: Java.

Das Schlagwort für ein derrartiges IT-Konzept heißt Network Computing, und Oracle zählt - neben Sun - zu seinen Hauptbefürwortern. Mit der auf einem Dreischichtenmodell beruhenden Network-Computing Architecture (NCA) hat der Software-Anbieter dieses Thema mittlerweile nicht nur Marketing-strategisch, sondern auch technisch in Angriff genommen.

Daß die Berliner diesem Konzept eine Menge abgewinnen konnten, lag unter anderem daran, daß es ihnen ermöglicht, ihre alte Hardware weiter zu nutzen. Zudem können sie auf diesem Weg den Server-Wildwuchs (Schültke: "eine Verschwendung von Steuergeldern, die erst im Zuge der Verwaltungsreform sichtbar wurde") durch eine übersichtliche, leicht administrierbare IT-Umgebung ersetzen. Last, but not least, enspricht dieser Ansatz den referatsübergreifenden Integrationsbestrebungen des Senats.

Metropolitan Area Network als Basis

Doch zurück zum Sozialreferat: Die beiden Unternehmen, die das Pflichtenheft erstellt hatten, erhielten Ende des vergangenen Jahres den Auftrag zur Realisierung des Projekts "Basis II" und der Anwendungssoftware "Basis 3000". Mit dem Metropolitan Area Network (MAN) steht ihnen dafür ein Hochgeschwindigkeitsnetz zur Verfügung. Je ein Daten- und ein Applikations-Server werden die kanpp 3000 Clients in den Berliner Sozialämtern bedienen. Für das Daten-Management kommt "Oracle 8" zum Einsatz. Die Middleware-Schicht bilden der "Web Application Server 3" von Oracle und der "Visibroker" von Visigenic.

Oracle und PSI wollen bis zur Jahrtausendwende die Kern-Fachverfahren neu entwickelt haben. Zur Modellierung setzen sie das Produkt "Rational Rose" ein, das auf der "Unified Modelling Language" (UML) basiert. Das Programmierwerkzeug der Wahl ist "Jbuilder" von Borland.

Das Anwendungssystem wurde so konzipiert, daß es sich durch Parametersteuerung beziehungsweise den Austausch von Leistungsmodulen auch in anderen großen Kommunen oder auf Länderebene einsetzen läßt. Vereinbart ist, daß der Berliner Senat sein fachliches Know-how besteuern wird, wenn Oracle das Produkt vermarktet. Dafür optiert Schültke auf eine "Reduzierung der Folgekosten".