Auf dem Weg zu einem neuen Markenbegriff: New Business Ecosystems

Beenden Internet-Techniken das industrielle Zeitalter?

26.02.1999
MÜNCHEN (gfh) - "Man sollte künftig nicht mehr von Industrie, sondern von Business Ecosystem sprechen", schlug das Wirtschaftsmagazin "Fortune" bereits 1996 vor. War damals vor allem die Aktivität eines Anbieters in mehreren Industrien gemeint, so geht es in der aktuellen Diskussion vor allem um E-Commerce.

Der Begriff Business Ecosystems bezeichnete ursprünglich - in Anlehnung an biologische Ökosysteme - das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld, in dem ein Unternehmen seine Geschäfte macht. Bald wurde es jedoch zum Synonym für Firmen, deren Tätigkeiten sich auf mehr als einen Industriezweig erstreckten. Als Beispiel wird immer wieder Microsoft genannt, der sein Geld in der PC-Industrie, Unterhaltungselektronik sowie in der Informations- und Kommunikationsbranche verdient. Das Öko(nomie)-System der Gates-Company umfaßt aber auch ein Netz an Zulieferfirmen. Schon hier geht es darum, daß weniger die Produkte eine Rolle spielen, als die Positionierung eines Unternehmens im Zentrum eines Netzes von Partnern, Zulieferern und Kunden, die helfen, Gewinn zu erwirtschaften.

Sollte sich die allgemein erwartete Akzeptanz für Geschäfte via Web tatsächlich einstellen, bahnt sich nach Einschätzung einiger Marktkenner eine Zweiteilung der Weltwirtschaft an, der als "New Business Ecosystems" bezeichnet wird. IT-Dienstleister wie Cambridge Technology Partners sagen voraus, daß es künftig zum einen Dienstleister geben werde, die den direkten Kontakt zum Kunden halten, und zum anderen Hersteller, die Firmen aus der ersten Kategorie mit Produkten und Diensten versorgen. Konkret bedeutet das, daß beispielsweise ein für seine Zuverlässigkeit bekannter Automobilhersteller beginnt, Versicherungen, Fallschirme oder Seile anderer Hersteller anzubieten, bei denen es ebenfalls auf Zuverlässigkeit ankommt.

Die Propagandisten des New Business Ecosystem suggerieren, daß sich die Unternehmen nun rasch für eines dieser beiden Muster entscheiden müßten. Ansonsten verpaßten sie einen wichtigen Zug in die Zukunft. Ed Horowitz beispielsweise, Vice-President der Citybank, gefällt diese Perspektive keineswegs: "Microsoft und andere High-Tech-Unternehmen werden versuchen, uns Banken überflüssig zu machen. Das werde ich nicht zulassen."

Als Schnittstelle zum Anwender eignen sich vor allem Firmen mit einem hohen Bekanntheitsgrad und einem klaren Image.

Außerdem müßten sie versuchen, die Kundentreue durch immer mehr Dienstleistungen und Produkte zu erhöhen.

So könnte es für Microsoft ein Ziel sein, als Inbegriff für PC-Produkte zu gelten, so daß Interessenten Software und Hardware zuallererst auf den Seiten dieses Anbieters suchen. Die zentralen Anlaufstellen im Web sollen die unübersichtliche Vielzahl der Anbieter auf ähnliche Weise durch Angebotsvielfalt einiger weniger verdrängen wie Supermarktketten die Tante-Emma-Läden.

Das Konzept des New Business Ecosystems ist allerdings zums cheitern verurteilt, wenn sich die Anwender als weniger Marken-orientiert erweisen, als prognostiziert. Dann dürfte es sich für Zulieferer und Dienstleister kaum lohnen, auf einen eigenen Auftritt zu verzichten und ihre Produkte unter bekannten Namen wie Mercedes, Telekom, Swiss Air oder Coca Cola zu vekaufen.

Die Rolle des Internet bei dem Konzept besteht vor allem darin, eine Präsentationsschicht zum Kunden hin, ein Schaufenster zu etablieren, hinter dem sich eine Vielzahl von Zulieferfirmen verbergen kann, von denen der Käufer noch nicht einmal den Namenzu wissen braucht. Tatsächlich ist das Internet allen anderen Vertriebslogistiken überlegen, wenn es um die rasche und doch enge Integration firmenfremder Produkte geht. Besser noch: Sollte beispielsweise die Qualität eines Lieferanten nachlassen, ließe sich das entsprechende Produkt durch das eines Konkurrenten austauschen, ohne daß die Kunden etwas davon merken.

Abschied von der klassischen Wertschöpfung

Voraussetzung für den Erfolg dieses New Business Ecosystem ist laut Cambridge Technology Partner jedoch, sich von dem gewohnten Konzept der industriellen Wertschöpfungskette zu verabschieden, bei der jener am besten verdient, der die Abläufe von der Rohstoffbeschaffung über Produktion und Vertrieb bis zum Kundendienst kontrolliert.

So sei es dem PC-Konfektionär Dell gelungen, sich wie eine Spinne im Netz in das Zentrum einer Wertschöpfungskette zu setzen, zu der die Zulieferer ebenso gehören wie die immer öfter über Web eintreffenden Kundenwünsche. Dadurch habe das Unternehmen seine Kosten drastisch senken und zugleich die Angebotsvielfalt für die Kunden vergrößern können. Die Leistung des Unternehmens besteht imw esentlichen darin, zum richtigen Zeitpunkt alle benötigten Teile zur Verfügung zu haben. Dafür wurde den Lieferanten Zugriff auf alle relevanten Bestellungsdaten eingeräumt, so daß diese ihre Produktion nach dem Bedarf der Kunden planen können.

Das Dell-Beispiel bestätigt die These des amerikanischen Wirtschaftstheoretikers George Gilder, wonach materielle Güter für den Wohlstand einer Gesellschaft eine immer geringere Rolle spielen, während intellektuelle Leistungen - im Falle von Dell das Betreiben einer flexiblen und global funktionierenden Logistik -immer wichtiger für die Wertschöpfung werden. Das New BusinessEcosystem paßt also in den Trend zur Dienstleistungsgesellschaft.

Natürlich bleiben derartige Visionen nicht unwidersprochen. So ist Einkaufen für viele Menschen ein Vergnügen und eine Gelegenheit unter Menschen zu kommen. Attraktiv ist E-Commerce jedoch für vielbeschäftigte Manager und Beschaffungsabteilungen. Auch lassen sich via Web Produkte erwerben, die der Laden um die Ecke nicht vorrätig hat. Dennoch räumen auch die Enthusiasten des New Business Ecosystems ein, daß es sich dabei auf absehbare Zeit eher um eine Ergänzung konventioneller Vertriebskonzepte handelt als um einen vollwertigen Ersatz.