Compuserve bereitet Sonderloesung fuer deutsche Anwender vor

Bayerische Justiz versetzt die Internet-Gemeinde in Aufruhr

12.01.1996

Ein Aufschrei des Entsetzens ging um den Globus; Compuserve-User in aller Welt haben derzeit - zumindest theoretisch - keinen Zugriff auf die umstrittenen Dienste. Die Kritik der Online-Teilnehmer, die in den USA sogar in dem Aufruf gipfelte, deutsche Produkte zu boykottieren, ist vielfaeltig. So regen sich die User grundsaetzlich darueber auf, dass die Juristen das Sakrileg begangen haetten, "Zensur" im Netz der Netze auszuueben.

Ausserdem fuehre die Durchsetzung deutscher Vorschriften dazu, dass die Rechte von Online-Benutzern in anderen Laendern eingeschraenkt wuerden. In den USA gebe es beispielsweise voellig andere Bestimmungen darueber, welche Inhalte fuer Online-Anwender verfuegbar sein duerfen. Gleichwohl melden sich in den diversen Diskussionsforen auch viele Teilnehmer zu Wort, die das rigorose Vorgehen gegen die "Kinderporno-Mafia" gutheissen.

Ein Pyrrhus-Sieg fuer die deutsche Justiz

Um nicht gegen deutsches Recht zu verstossen, aber weiterhin die Gunst der internationalen Online-Gemeinde zu geniessen, arbeitet Compuserve jetzt fieberhaft an Techniken, mit denen die umstrittenen Newsgroups fuer internationale Anwender wieder geoeffnet werden. Eine entsprechende Softwareloesung, die allein die Deutschen von den umstrittenen Internet-Diensten fernhaelt, soll bereits in einigen Wochen verfuegbar sein. Damit wuerde ein Online-Provider zum erstenmal ueberhaupt den Zugang zu Inhalten in ei-nem bestimmten Land flaechen-deckend sperren.

Ein Pyrrhus-Sieg fuer die deutsche Justiz, schreibt denn auch das "Wall Street Journal" nicht ohne Spott. Nach wie vor koennen naemlich die Netz-Surfer auf die umstrittenen Newsgroups problemlos zugreifen - ueber andere Onlinedienste, diverse Internet-Provider oder den ganz normalen Compuserve-Dienst. Dort reicht es aus, anstelle des Newsservers "News.Compuserve.Com" einen anderen Server in der Usenet-Software einzutragen; entsprechende Versuche in der CW-Redaktion haben unmittelbar zum Erfolg gefuehrt.

Die Anwender fragen sich unterdessen, warum ausgerechnet ein Online-Dienst zur Rechenschaft gezogen wird, der lediglich den Zugang zum Internet ermoeglicht, aber selbst nicht fuer die Inhalte verantwortlich ist. Bernhard Boehm, Sprecher des Bundesjustizministeriums, weiss auf diese Frage eine Antwort. Deutsche Strafverfolgungsbehoerden seien autorisiert, zu verhindern, "dass ueber deutsche Betreiber Zugang zu verbotenem Material moeglich wird", zitiert ihn der Nachrichtendienst "vwd".

Nicht nur, wer in Deutschland beispielsweise Kinderpornografie oder Luegen ueber den Holo-caust selbst in Umlauf setze, sei strafrechtlich verantwortlich. "Wenn Sie wissen, dass so etwas ueber Ihren Computer verbreitet wird, und Sie haben die Moeglichkeit, es zu verhindern, muessen Sie es tun, sonst sind Sie dran", liess der Sprecher des Ministeriums keinen Zweifel. Das gelte aber nur dann, wenn ein Unternehmen diese Inhalte "wissentlich und willentlich" verbreite, wenn also ein Vorsatz erkennbar sei. In einem Gutachten laesst die Staatsanwaltschaft derzeit klaeren, welchen technischen Aufwand es fuer Online-Dienste bedeutet, den Zugang zu diversen Internet-Diensten zu unterbinden.

Harscher Kritik sehen sich die bayerischen Tugendwaechter auch wegen ihrer Auswahl der zu sperrenden Newsgroups ausgesetzt. Nicht nur pornografische Inhalte wurden blockiert, auch an ernsthaften Diskussionen etwa ueber Homosexualitaet oder Sex und Kirche kann sich die Compuserve-Gemeinde offenbar nicht mehr legal beteiligen. Selbst Themen, die mit Sexualitaet nichts zu tun haben -beispielsweise Inhalte, die sich um das Computerspiel "Doom" oder um die Fernsehserie "Star Treck: The Next Generation" drehen, sind teilweise nicht mehr zugaenglich.

Die internationale Online-Geschaeftswelt beobachtet die Vorfaelle in Deutschland mit groesster Aufmerksamkeit. Aufgrund der breiten ISDN-Vernetzung und der insgesamt guten Telecom-Infrastruktur gilt der deutsche Markt als der perspektivenreichste in Europa. America Online und andere Online-Dienste bieten bereits Schutzmechanismen an, mit denen Erwachsene ein massgeschneidertes Internet-Angebot fuer ihre Kinder zusammenstellen und den Zugriff auf gewaltverherrlichendes oder pornografisches Material unterbinden koennen.