Konstruktion und Fertigung/Richtige Kombination der Molekuele

BASF setzt bei hauseigener PPS-Loesung auf Objekttechnik

02.06.1995

Das BASF-PPS-System "Duplis" (Dezentrales Ultraplast Produktions- Leit- und Informationssystem) wurde auf der German Object World 039;94 zur "besten, kostensparenden Implementation unter Verwendung des Objektansatzes" gekroent und laeuft mittlerweile erfolgreich im Produktionsbetrieb des Chemiekonzerns. Das Musterbeispiel einer Client-Server-Anwendung hat zu einer deutlichen Verbesserung des Informationsflusses und Produktionsprozesses gefuehrt.

Kunststoffe haben in unzaehligen Gebrauchsgegenstaenden als sogenannte synthetische Polymere herkoemmliche Werkstoffe weitgehend abgeloest. Zu den weltweit grossen Herstellern zaehlt die BASF-Gruppe, die mit rund 140000 Mitarbeitern und 339 Gesellschaften 1993 allein im Bereich Kunststoffe und Fasern einen Umsatz von knapp zehn Milliarden Mark erzielte.

Wichtig fuer die Qualitaet von Kunststoffteilen oder -granulat ist die exakt richtige Kombination der Molekuele. Die Kunst des Chemikers besteht also darin, aus kleinen Einzelbausteinen ein "Rezept" zu erstellen, das in seiner Zusammensetzung das gewuenschte Produkt ergibt. Die Kunst moderner Softwareloesungen ist es, vom Auftragseingang bis hin zur Auslieferung des fertigen Produkts eine durchgaengig effiziente Ablaufunterstuetzung zu bieten.

Diese Unterstuetzung konnte die bisherige DV-Loesung fuer die Ultraplast -Abteilung des BASF-Unternehmensbereichs Technische Kunststoffe (KT) in Ludwigshafen nicht leisten.

Die Umgebung bestand aus einem zentralen Grossrechner und in Cobol erstellten IMS-Programmen, die in erster Linie fuer die Betriebsabrechnung und erst spaeter fuer KTU-spezifische Zwecke eingesetzt wurden. Die Anwendungen liessen zwar die Darstellung von Stammdaten wie etwa Basiseigenschaften der Fertigungsstrassen zu, so dass sich einfache "Fahrkarten" fuer die Herstellung produzieren liessen. Der Mainframe druckte entsprechende Formblaetter aus, die dann manuell ausgefuellt werden mussten. Groesstes Manko dieser einfachen, wenn auch stabilen Loesung war ihre eingeschraenkte Verfuegbarkeit. Die Programme konnten nur acht Stunden taeglich genutzt werden. Nachts war die Anlage durch Batch-Laeufe blockiert.

KTU produziert jedoch rund um die Uhr. An sieben Tagen der Woche wird 24 Stunden lang Plastik in rund 3500 verschiedenen Typen und Farben hergestellt. Mit der Entwicklung einer bedarfsgerechten Loesung fuer die Unterstuetzung dieser Betriebsumgebung wurde 1990 begonnen. Das Ergebnis einer intensiven Untersuchung zur Frage der Vorgehensweise fuehrte zu der Entscheidung, dass als grundlegende Struktur eine Client-Server-Architektur dienen sollte. Die Eigenentwicklung wurde auf objektorientierter Basis vorangetrieben, wobei als zentrale Entwicklungsressource eine anwendungsunabhaengige Objektklassenbibliothek erstellt wurde.

Ausschlaggebend fuer die Entscheidung, auf eine Client-Server- Architektur aufzusetzen, war die damit verbundene groessere Flexibilitaet der Anwendung selbst. Auch auf die Freiheit bei der Auswahl der Server-Komponente und der entsprechenden Art der Vernetzung wollte man nicht verzichten.

Die Favorisierung der Objekttechnologie basiert auf deren Prinzip der Vererbung. Die Objektorientierung bietet mit ihrem Konzept der Objektklassen ein hervorragendes Strukturierungsmittel und ueber die Vererbung einen Grad der Wiederverwendbarkeit, wie er mit herkoemmlichen Entwicklungstechniken kaum zu erreichen ist. So lassen sich nach hausinternen Schaetzungen bei einer Anpassung von Duplis an ein anderes, aehnlich wie bei KTU gelagertes Umfeld 70 bis 80 Prozent der Software unveraendert wieder einsetzen.

Duplis stellt heute eine vom Auftragseingang bis hin zum Prozessleitsystem konsistente Anwendung dar.

Das System besteht aus sechs separaten Modulen, bietet mehr als 350 verschiedene Benutzerfunktionen und wird inzwischen von rund 100 Anwendern auf 60 PCs genutzt. Als PC-Betriebssystem wurde wegen der erforderlichen Multitasking-Funktionalitaet OS/2 2.1 gewaehlt. Als zentrale Datenbank auf dem Server dient Sybase "SQL Server" unter Novell Netware. Seit September 1992 in einem ersten Produktionsbetrieb im Einsatz, hat die Anwendung die fuer den 24- Stunden-Betrieb erforderliche Stabilitaet unter Beweis gestellt und wird jetzt an sechs weiteren Produktionsstaetten - darunter am geografisch entfernten BASF-Standort Schwarzheide - eingesetzt.

In der Praxis kann heute ein BASF-Vertriebsmitarbeiter einen Auftrag in das zentrale ADS (Auftrags- und Dispositionssystem) eingeben, der dann ueber eine Programm-Schnittstelle an Duplis weitergeleitet wird. Der Produktdisponent prueft diesen Auftrag auf Richtigkeit der Daten und Angaben. Am Ende der Kommunikationskette steht schliesslich die Warenproduktion und die Rueckfuehrung der entsprechenden Daten an die zentrale Logistik.

Was so einfach klingt, weil automatisiert, ist in der Realitaet ein komplexes Geflecht von Ablaeufen, die nur durch ein offenes, informationstechnologisches Zusammenspiel integriert und effizient zu realisieren sind. Allein fuer die Pruefung der Zulaessigkeit eines Produkts muss auf umfassende Datenbestaende zu moeglichen und nicht erlaubten Zusammensetzungen verschiedenster Molekuele, Polymere, Farben und beizumischender Stoffe zurueckgegriffen werden koennen. Als Informationsquelle hierzu dienen sogenannte Richtrezepte, die etwa 300 verschiedene zulaessige Mischungen fuer die Kunststoffproduktion beschreiben. Diese Basisdaten sind in der Datenbank abgelegt.

Ist ein Produkt als zulaessig erkannt, muessen vor der Auftragserteilung Informationen aus der Logistik zu eventuell schon vorhandenen Lagerbestaenden hinzugezogen werden. Geprueft werden muss ebenso, ob vielleicht weitere Auftraege fuer das gleiche Produkt vorliegen, so dass sich die Gesamtproduktion auf nur eine Fertigungsstrasse legen laesst. Auch auf die Moeglichkeit, dass mehrere Kunden zwar das gleiche Produkt, aber verschiedene Verpackungen wuenschen, muessen Fertigungsstrassen und Abfuellstellen rechtzeitig eingestellt werden koennen.

Als sehr produktionsnahes PPS-System begleitet Duplis den gesamten Herstellungsablauf und stellt alle erforderlichen Daten zu Richtrezepten, Mengenanteilen der Einzelkomponenten, Verfahrensbeschreibungen, Prozessparametern, stofflichen Zusammensetzungen und Anlagenanforderungen zur Verfuegung. Dafuer, dass der Kunde dann tatsaechlich das Produkt in dem gewuenschten Farbton erhaelt, sorgen die in der Datenbank hinterlegten Rezeptregeln. Will ein Mitarbeiter eine neue Rezeptur erstellen, weist das System bei Unzulaessigkeit der Mischung einen Produktionsauftrag automatisch ab.

Als entscheidenden Vorteil des Datenbanksystems wertet die BASF auch die Moeglichkeit zur Nutzung von Stored Procedures, mit deren Hilfe verschiedene Anwendungen von Beginn an fest in der Datenbank verankert und mit einem einzigen Aufruf genutzt werden koennen. Damit lassen sich die Applikationen merklich schlanker halten, da deutlich weniger Code benutzt wird als in der herkoemmlichen Programmierung. Als bedeutendsten Vorteil des Systems wertet die BASF nach den guten Erfahrungen im Produktionsbetrieb die enge Informationsverflechtung.

Die Daten werden dort eingegeben, wo sie anfallen, und stehen dann automatisch allen nachgelagerten Stellen zur Verfuegung. Dies fuehrt zu einer verbesserten Datenqualitaet und einem effizienten Informationsfluss.

Darueber hinaus erhoeht die Ablaufunterstuetzung durch das EDV-System die Qualitaet der Produktionsprozesse. In der Datenbank vordefinierte Ablaufzwaenge verhindern Fehler bei der Erstellung von Rezeptversionen und stellen sicher, dass das Endprodukt in seiner Zusammensetzung den Qualitaetsanforderungen entspricht. Dies schlaegt sich konkret in Zahlen nieder: Mit Hilfe von Duplis liess sich der Anfall von nicht typgerechter Ware nahezu halbieren.

Auch die Entwicklung des objektorientierten Systems selbst erwies sich als sehr kosteneffektiv. Trotz der staendigen Ruecksichtnahme auf vielfache Benutzerwuensche aus dem laufenden Betrieb heraus wurden die anfaenglichen Schaetzkosten nur um knapp vier Prozent ueberschritten. Die heute verfuegbare Objektklassenbibliothek bietet durch ihren hohen Grad an Wiederverwendbarkeit zudem die Basis fuer eine kostenguenstige Uebertragung auf Duplis-aehnliche Projekte. "Diese erfolgreiche Implementation bestaerkt uns in der Auffassung, dass Objekttechnologie zur weltweit akzeptierten Technologie in der Software-Entwicklung wird", erklaerte OMG-Vice-President Richard Soley anlaesslich der Preisverleihung an die BASF auf der German Object World 039;94.

* Peter Elbs und Matthias Brunnmueller sind verantwortlich fuer das Duplis-Projekt im Bereich Technische Kunststoffe (KTU) bei der BASF in Ludwigshafen