i-d-gruppe: der trend kommt aus der provinz

Avatare von der Alb

01.07.1999
Die I-D-Gruppe gehört zu den Stars unter den Multimedia-Agenturen. Für die aufwendigen Programmierungen sind deshalb trendbewußte Informatiker gefragt.

"Die Fahrkarte ist leider nicht für den Bus gültig." Auch das noch. Die Anreise dauert schon zu lange, um noch umzukehren. Endlich in Essingen-Forst. Diesen idyllischen Ort auf der Schwäbischen Alb hätte die Reporterin nicht erwartet. Vorsichtshalber fragt sie nach dem Weg. "Gehen Sie die Hauptstraße immer gerade- aus bis zu dem Haus, vor dem die vielen Autos parken." Das rote Logo auf dem Dach räumt die letzten Zweifel aus: der Firmensitz der I-D-Gruppe. Die schwäbische Idylle endet definitiv an der gläsernen Eingangstür. Dort ist ein Piktogramm "Katzen müssen leider draußen bleiben"auf Katzenaugenhöhe angebracht. Dieser Hinweis ist nicht übertrieben, denn schon steht die erste vor der Tür, scheint sich aber nicht sonderlich für dieses Schild zu interessieren, dagegen um so mehr für das emsige Treiben im Haus.

"Der jetzige Standort ist doch recht abgelegen und erschwert die Personalsuche zusätzlich", erklärt die Geschäftsführerin Regine Haschke gleich zu Beginn des Gesprächs. Ab Herbst ist geplant, die Hauptgeschäftsstelle nach Berlin zu verlegen, um näher bei den Kunden zu sein und als Arbeitgeber attraktiver dazustehen.

1988 als klassische Werbeagentur von Bernd Kolb gegründet, konzentriert sich die I-D-Gruppe seit fünf Jahren immer mehr auf das Internet. Kolb hatte den richtigen Riecher, denn im vergangenen Geschäftsjahr lag der Umsatz bei etwa 15 Millionen Mark. Um das schnelle Firmenwachstum zu finanzieren, war zusätzliches Kapital notwendig. Das war einer der Gründe für den Gang zur Börse. Der Chef der Jenoptik Lothar Späth berät das schwäbische Unternehmen schon heute und soll den Vorsitz des Aufsichtsrats der AG übernehmen. Bisher ist Firmengründer Kolb alleiniger Gesellschafter. Auch nach dem Gang an die Börse bleiben 75 Prozent der Anteile bei ihm.

Die Community-Plattform Cycosmos (www.cycosmos.com) wurde auf der letzten CeBIT-Home vorgestellt und ist das Vorzeigeobjekt der Agentur. Der kostenlose Online-Dienst bietet Surfern die Möglichkeit, sich eine neue Identität zu geben. Dabei sind der Phantasie nur die Grenzen der verfügbaren Auswahlkriterien in der Datenbank gesetzt. Das eigene Wunschbild mit neuem Outfit, Frisur und Accessoires kann durchaus der echten Person ähnlich sein, muß aber nicht. Anschließend kommen Hobbies und die Lieblingsmusik hinzu, die frei erfunden sind oder der Wahrheit entsprechen.

Virtuelle Schnitzeljagd

Mit diesen Angaben lassen sich Konsumentenprofile erstellen, die für die weitere Vermarktung wichtig sind. Das Phantasiewesen, im Fachjargon "Avatar" genannt, dient als neues Ich für die virtuelle Zeitreise. "Are you real?" ist deshalb durchaus wörtlich zu nehmen. Sind alle Angaben einschließlich des neuen Namens und E-Mail gespeichert, kann die Suche nach virtuellen Freunden beginnen. Eine angegliederte Datenbank durchsucht die Kartei nach Gleichgesinnten. Der nächste Schritt wäre, mit diesen Wesen in Kontakt zu treten.

Die Programmierung dieses Systems übernimmt in erster Linie das Hamburger Büro, in dem mittlerweile 60 Kreative arbeiten. Diese Plattform kommt der großen Vision des "one-to-one-Marketing" einen Schritt näher. Den potentiellen Konsumenten werden während des Chattens bestimmte Werbebotschaften eingeblendet. Neue Marketing-Möglichkeiten stehen auch bei "Living Screen" im Mittelpunkt. In Stuttgart entwickeln 20 Mitarbeiter Software für neue Vermarktungswege. Die Agentur mit dem Hauptsitz in Essingen-Forst beschäftigt dort momentan zirka 80 Mitarbeiter und gehört zu den fünf größten Multimedia-Agenturen in Europa. I-D steht für innovative digitale Medien. Für den Europastart des "New Beetle" dachten sich die Essinger ein Online-Gewinnspiel aus, das virtuell im Internet und real zwischen Monaco und Paris stattfand. "Sechs Beetle wurden in einer Art Schnitzeljagd durch Europa geschickt, durch die Online-Community", erzählt Haschke. Hatten

die Surfer ein Rätsel gelöst, gaben sie das Ergebnis per Web an die Fahrer weiter, die das nächste Etappenziel ansteuerten.

Momentan sucht die Agentur händeringend neue Mitarbeiter. Neben Informatikern sind Marketing-Spezialisten, Texter, Designer, Programmierer, aber auch betriebswirtschaftliche Controller und Kräfte für die Buchhaltung gefragt.

Da I-D auf flache Hierarchien und eine "ausgeprägte Kreativitätskultur" setzt, ist es nebensächlich, ob der Bewerber ein abgeschlossenes Studium hat. "Wir haben keine klassischen Stellenbeschreibungen, der Mensch muß zu uns passen, seine Stärken müssen an der Stelle liegen, an der er eingesetzt wird", so Haschke. Es kann auch vorkommen, daß ein Mitarbeiter zwischen verschiedenen Aufgabenbereichen wechselt. "Denn für das, was die Menschen interessiert, und ihnen Spaß macht, können sie sich dann hundertprozentig einbringen."

Peter Pöllinger und Elena Cabrini sind für die Personalsuche zuständig. Die Stellenmärkte des Internet durchforsten sie intensiv und kooperieren mit Hochschulen. "Die Anforderungen bei uns sind sehr hoch; neben bestimmten Grundlagen erwarten wird eine große Lernbereitschaft", so Pöllinger. Das ständige Lernen ist für Christian Cartus, der sich als "Computer-Freak mit Leib und Seele" bezeichnet, selbstverständlich. "Mit 13 Jahren habe ich mit dem Programmieren angefangen und hatte vor Beginnn des Studiums schon vier Software-Projekte hinter mir", erzählt der 29jährige.

Zu Beginn des Informatikstudiums an der Fachhochschule Albstadt interessierte ihn das Internet überhaupt nicht. Erst kurz vor dem Diplom beschäftigte sich Cartus mit diesem Thema und wollte sich die Agentur bei einem Besuch "nur mal kurz anschauen" und ist "hängengeblieben". Inzwischen ist er seit zweieinhalb Jahren dabei und leitet die technische Abteilung von I-D. Sein Entwicklerteam arbeitet emsig in der ersten Etage des ehemaligen Fitneßstudios. Trotz der räumlichen Enge und den vielen Schreibtischen und Rechnern ist die konzentrierte Arbeitsatmosphäre förmlich spürbar.

Als Voraussetzungen für Informatiker und technische Mitarbeiter nennt Cartus viel Eigeninitiative, Spaß am Experimentieren und die Bereitschaft, sich immer selbst weiterzubilden. Zu den nützlichen Grundlagen für die Arbeit rechnet er ASP, GCI in Verbindung mit Perl. "Ich wollte von Anfang an in den Multimedia-Bereich", erklärt Thomas Wolfart, 23. "Nach Abi und Zivildienst las ich einen Artikel über die Agentur, schnappte mir ein Auto, fuhr hier vorbei und fragte nach einem Praktikum." Nach sechs Monaten bot man ihm eine Ausbildung zum Medienvorlagenhersteller an. "Eigentlich wollte ich studieren, aber bisher habe ich meine Entscheidung noch nicht bereut." Allerdings ist es nicht immer ein Kinderspiel."Ich habe im ersten Jahr Qualen erlitten, aber bestimmt mehr gelernt als an der Uni", vermutet er.

Statt auf Einarbeitungsprogramme vertraut I-D auf das Prinzip learning by doing. Vermutlich einer der Gründe, weshalb es für Quereinsteiger und Autodidakten eine echte Chance gibt. "Wir brauchen aber keine Bewerber, die sieben Jahre Bäcker gewesen sind und dann hören, es gibt Multimedia und denken "och, das mache ich jetzt auch", so Pöllinger. Mit reinem Interesse sei es nicht getan. Der Beruf sollte gleichzeitig das wichtigste Hobby sein.

Thilo Mosch, gelernter Kommunikationswirt und seit vergangenem Dezember dabei, erklärt den "I-D-Spirit": "Ich gehe nicht nur hier her, um zu arbeiten, sondern wir haben auch viel Spaß." Genauso wichtig wie die fachlichen Qualifikationen ist die menschliche Komponente: "Paßt der Mitarbeiter als Mensch zu I-D?" wird immer wieder als Voraussetzung genannt und ist eine zentrale Frage. Flexibilität und Trendigkeit - schließlich ist es eine Werbeagentur - sollten die Interessenten ebenfalls mitbringen, und nicht zu vergessen: "Ich will Spaß."

Wer es wagen möchte, kann sich bei Christian Cartus (christian. cartus@idgruppe.de) oder Peter Pöllinger (jobs@idgruppe.de) für ein Praktikum oder einen Job bewerben. Aber Vorsicht: Alle die mal da waren, kommen so schnell nicht mehr los.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.