Aus Commerce One wird Commerce half

24.10.2001
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Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die jüngsten Quartalszahlen des Softwareanbieters Commerce One belegen: Das Geschäft mit Programmen für elektronische Marktplätze ist vorbei. Knapp die Hälfte der Belegschaft soll gehen, und die Zukunft der Firma ist nachhaltig gefährdet.

Oracle -Chef Larry Ellison ist vor allem für seinen Unterhaltungswert und weniger für sein diplomatisches Geschick bekannt: Beinahe jedes größere Softwareunternehmen wurde schon einmal zur Zielscheibe verbaler Tiefschläge des kalifornischen Yachteigners. Dies mussten im April auch die E-Procurement-Anbieter Ariba und Commerce One erfahren, als sie von Ellison auf seine persönliche „Todesliste“ gesetzt wurden. Diese „Nischenanbieter“ würden entweder geschluckt, oder sie verschwänden in der Bedeutungslosigkeit, lehnte sich der Oracle-Chef wie gewohnt aus dem Fenster. Das Problem ist nur: Dieses eine Mal hatte Ellison Recht, zumindest was Commerce One betrifft.

Die Entwicklung des kalifornischen Unternehmens in den ersten Tagen des Oktobers bildete den absoluten Tiefpunkt eines langen Absturzes, der Ende des letzten Jahres begonnen hatte. Erst gab Commerce One vor zwei Wochen eine Gewinnwarnung ab, dann meldete die Company kurz darauf, dass die Umsätze des dritten Fiskalquartals 2001 (Ende: 30. September) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 30 Prozent eingebrochen sind. Hingegen weitete sich der Nettoverlust massiv aus. Als Reaktion auf das Desaster kündigte das Unternehmen an, 46 Prozent seiner Stellen abzubauen. Aus Commerce One war über Nacht Commerce 0,5 geworden.

  

Die Treppe führt nach unten: Die Quartalsergebnisse von Commerce One seit einem Jahr.

 

  

 

Die vorgelegten Quartalszahlen machen auch deutlich, dass der Markt für elektronische Marktplätze kaum noch existiert. Von Juli bis September nahm das Unternehmen nur 16,7 Millionen Dollar über Lizenzgebühren ein. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es immerhin noch 65,8 Millionen Dollar gewesen. Selbst Klaus Blaschke, Zentraleuropa-Chef von Commerce One, musste unlängst eingestehen, dass sein E-Markt-Business am Boden liegt: „Es werden kaum noch neue Marktplätze eröffnet.“

Insgesamt sank der Umsatz im dritten Quartal auf 81 Millionen Dollar ab, während im gleichen Zeitraum des Vorjahres noch 113 Millionen Dollar erwirtschaftet worden waren. Der Nettoverlust stieg von 61 Millionen Dollar im dritten Quartal 2000 auf nunmehr 119 Millionen Dollar. Mit diesem Minus bewegte sich Commerce One im Rahmen der eigenen Erwartungen, die in diesem Jahr allerdings bereits zweimal nach unten korrigiert worden waren. Wallstreet-Analysten gingen hingegen von rund 90 Millionen Dollar Umsatz aus.

Insgesamt betreut das Unternehmen laut Blaschke rund 170 Marktplätze, von denen 80 bereits ihren Betrieb aufgenommen haben. Das Ende des Implementierungsbedarfs ohne nennenswertes Neugeschäft ist also absehbar – weshalb Commerce One drei Tage vor Bekanntgabe der Quartalsergebnisse ankündigte, 1300 seiner gegenwärtig noch 2800 Mitarbeiter abzubauen. Rund 700 Jobs sollen gestrichen, etwa 600 Stellen in Form kleiner Tochterfirmen ausgegliedert werden. Ende vergangenen Jahres standen noch knapp 4000 Angestellte auf den Gehaltslisten der E-Procurement-Company, Ende 2001 sollen es 1500 sein.

Eiserner Besen im Consulting-Bereich

Von der Maßnahme ist vor allem der Consulting-Bereich des Unternehmens betroffen, der weitaus größte Teil der Stellen von Commerce One wird Blaschke zufolge daher in den USA wegfallen. Dort hatte das Unternehmen Mitte vergangenen Jahres für mehr als eine Milliarde Dollar die IT-Consulting-Firma Appnet geschluckt. Im Zentrum der Übernahme standen rund 1000 Appnet-Consultants, die Commerce One damals dringend benötigte, um die bereits verkauften Marktplätze auch zu errichten. Man hatte sich schlicht beim Personalbedarf für die elektronischen Handelszentren verschätzt.

Im Juni 2000 hatte Commerce One gegenüber Investoren und Analysten noch optimistisch verkündet, durch die Appnet-Übernahme würden vermutlich schon Ende September 2001 schwarze Zahlen erreicht. Nun sind die E-Märkte kein Thema mehr, und die Berater dürfen sich einen neuen Job suchen – „hire and fire“ in Reinkultur. Allerdings zahlte Commerce One für den Deal einen hohen Preis: Im zweiten Fiskalquartal 2001 musste die Appnet-Übernahme wertberichtigt werden, insgesamt fiel ein Nettoverlust von zwei Milliarden Dollar an. Wie teuer der aktuelle Stellenabbau wird und wie viele der etwa 230 Beschäftigten in Europa ihren Job verlieren, steht noch nicht fest.

Zudem ist nicht klar, wann der zuletzt für Mitte 2002 angekündigte Breakeven eintreten wird: Es sei gegenwärtig „zu schwierig“, den genauen Zeitpunkt vorherzusagen, meinte Finanzchef Peter Pevere vergangene Woche auf einer Analystenkonferenz. Die Umsätze aus dem Lizenzgeschäft pendeln sich nach Angaben des Chief Financial Officers (CFO) in den nächsten zwei Quartalen voraussichtlich bei 16 Millionen Dollar ein. Da nun viele Consultants entlassen wurden, fielen laut Pevere zudem die Beratungseinnahmen bis zum ersten Quartal 2002 um 55 bis 65 Prozent.

Um den drohenden Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu vermeiden, will sich Commerce One schnellstmöglich neu positionieren und den Fokus künftig nur auf das Produktgeschäft legen, bestätigt Zentraleuropa-Chef Blaschke. Neben den traditionellen Marktplatz-Tools, die kontinuierlich erweitert werden sollen, kommen Programme für Auktionen, Supply-Chain-Management und verkaufsseitigen E-Commerce hinzu. Statt öffentlicher E-Märkte sollen Unternehmen verstärkt eigene Handelszentren errichten. Der übergreifende Name der neuen Strategie: Collaborative Commerce. Ihre Aussichten: düster.

Der Wettbewerb wird härter

Angesichts des ruinösen Wettbewerbs in den angepeilten Produktsegmenten sind die Chancen von Commerce One, in dem Umfeld bestehen zu können, gering. Intershop, i2 und Manugistics haben selbst große finanzielle Probleme, und ob sich Auktionen im nächsten Halbjahr als Beschaffungskanal durchsetzen, scheint mehr als fraglich. Zudem kann die Fokussierung auf den Collaborative Commerce keine kurzfristige Rettung für den angeschlagenen Anbieter bringen, denn die meisten Unternehmen haben gerade erst damit begonnen, Projekte für E-Procurement, SCM oder E-Business in die Wege zu leiten. Für einen neuen Hype ist die Zeit noch nicht reif, schon gar

nicht bei einer drohenden Rezession.

Den kompletten Beitrag lesen Sie in der COMPUTERWOCHE 43/2001.