Cassiopeia: vier Freunde erobern den Chat-Markt

Auf dem Weg zu den Sternen

23.04.1999
Eine Bilderbuchkarriere: Als Schüler surfen sie im Internet, entwerfen für ein Musik-Magazin die erste Web-Site und sind einige Jahre später mit ihrer Software Marktführer.

Von Ingrid Weidner*

Marketing-Leiter Patrick Gruban muß nicht groß nachdenken, wenn er auf seine bisherige Karriere zurückblickt. Er ist 24 Jahre alt und zählt zügig die wichtigsten Stationen auf - so, als ob er das schon ziemlich oft getan hätte. "Schon zu Schulzeiten, das war so 1994, surfte ich im Netz und war in Mailbox-Foren." Nach dem Abitur schrieb er für ein Musik-Magazin und fing an, sich für Design von Web-Sites zu interessieren. Einen seiner späteren Geschäftspartner, Christian Seiler, lernte er über ein Chat-Forum im Internet kennen. Durch diese Kommunikationsform entstand die erste Geschäftsidee der beiden.

Schon zuvor konzipierten sie einen virtuellen Rundgang durch den Techno-Club "Ultraschall" in München-Riem. Die Site war für den Informatikstudenten Seiler und den Journalisten Gruban ein interessanter Versuch, die vielfältigen Möglichkeiten des Web zu testen. Damals dachten die beiden noch nicht an eine eigene gemeinsame Firma.

Als Gruban knapp am Numerus Clausus für das Kommunika-tionswissenschafts-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München scheiterte, stellte sich für ihn die Frage: Was tun? Ein loser Kontakt zur Agentur "Graffiti" löste das Problem, als diese einen Praktikanten suchte, der den Internet-Auftritt mit vorbereiten sollte. Während der drei Monate bei Graffiti lernte Gruban einiges über Web-Design und das Agenturgeschäft. Ein anschließendes Praktikum bei Burda in der Medienforschung war der große Glücksgriff, der für ihn alles ins Rollen brachte. Anfang 1996 startete Burda verschiedene Online-Dienste. Mit seinen gerade erworbenen Kenntnissen hatte Gruban gute Arbeitsmöglichkeiten und lernte überdies noch die richtigen Leute kennen.

Zur gleichen Zeit begann Seiler mit der Programmierung seines ersten Chat-Systems, das beispielsweise bei Focus und Pro Sieben eingesetzt wurde. Nachdem die Software sehr gut lief, lag es nahe, das Produkt professionell zu vermarkten. Im August 1996 setzten sich Gruban und Seiler mit Carsten Hecht und Jens Krumm, zwei Freunden, in einem Schwabinger Café zusammen und schmiedeten den Plan, eine eigene Firma zu gründen. Ein Kredit war nicht nötig, da sie mit den ersten Aufträgen das Startkapital von 50000 Mark für eine GmbH bereits in der Tasche hatten. Fehlte nur noch ein Firmenname. "Cassiopeia ist eigentlich ein Sternbild, aber erfüllt in unseren Augen gleich mehrere Anforderungen", erklärt Gruban. "Der Name ist eingängig und enthält nicht ,Netz‘ oder ,Web‘. Außerdem war die Internet-Adresse noch nicht belegt." Optisch sei der Bezug zum Web-Geschäft schon dadurch hergestellt, daß ein "W" in diesem Sternbild vorkomme.

Existenzgründer und Trainee zugleich

Die Arbeitsschwerpunkte in der Startphase waren das Chat-System und Programmieraufträge für Multimedia-Agenturen.

Gruban war anfangs Existenzgründer und Trainee bei Graffiti zugleich. Überdies absolvierte er einen zweijährigen Abendkurs an der Bayerischen Akademie für Werbung. "Zeit für Freunde hatte ich damals kaum, da ich nach der Abendschule oft noch in die Firma gefahren bin", läßt er beiläufig einfließen, als müßte er sich dafür entschuldigen.

Nach dem guten Start entschieden sich die Jungunternehmer, nur noch für das eigene Unternehmen zu arbeiten - mit der Folge, daß es nun mit der Freizeit endgültig vorbei war. Ende 1997 wurde den vier Freunden klar, daß sie sich neben den Chat-Themen andere Arbeitsbereiche suchen mußten. Der Schritt zu den Communities, den virtuellen Gemeinschaften, bot sich förmlich an. Ergebnis dieser Überlegungen war eine neue Community-Software, die ganz andere Kommunikationswege und Werbemöglichkeiten für Kunden bietet. Das System funktioniert nach dem Baukastenprinzip. Firmen können die verschiedenen Module einsetzen und ihre Sites interaktiv gestalten. Die erfolgreiche Testversion (www.schmooz.de) von Cassiopeia ist inzwischen verkauft, da sie eine Konkurrenz für die eigenen Kunden darstellte.

Anfangs war es schwierig, sich als junges Unternehmen am Markt zu etablieren. Das änderte sich jedoch schnell. Mittlerweile ist Cassiopeia in den beiden Kernbereichen Chat und Communities Marktführer und hat im zweiten Geschäftsjahr bereits einen Umsatz im einstelligen Millionenbereich gemacht. "Was beim Internet wirklich zählt, ist die Erfahrung und nicht das Alter", davon ist Gruban überzeugt. Viele Kunden kommen auf Cassiopeia zu, weil sie bei bekannten Firmen den Service entdeckten.

Allerdings ruhen sich die Youngster nicht auf ihren Lorbeeren aus, kennen sie doch die Schnellebigkeit des Web. Wer den Anschluß nicht verpassen will, muß ständig neue Produkte kreieren und die alten weiterentwickeln. Momentan arbeiten sie verstärkt im Bereich Intranet-Lösungen. Siemens hat beispielsweise in einigen Geschäftsbereichen bereits die Software von Cassiopeia eingesetzt, um Marketing-Besprechungen zwischen Malaysia und Deutschland abzuhalten. Das Interesse der Firmen an diesen Produkten wächst, die Skepsis geht zurück. Die Vorteile der Intranet-Anwendungen gegenüber Videokonferenzen liegen vor allem in ihrer unkomplizierten Bedienung und der einfacheren Ausstattung. Das System funktioniert ähnlich wie ein Chat-Programm: Die Mitarbeiter loggen sich mit einem Paßwort ein und schreiben ihre Kommentare oder Fragen als Text. Mit einer geringen Zeitverzögerung sehen die Kollegen das Geschriebene auf ihren Bildschirmen und können sich

darüber austauschen.

Die kreativen Köpfe von Cassiopeia haben für 1999 große Pläne: Eine Zweigstelle in den USA ist geplant, die Vorbereitungen laufen schon auf Hochtouren. Auf der Internet-World in New York im Herbst 1998 haben sie schon mal den Markt getestet und waren verblüfft. Noch gibt es für ihr komplettes Community- und Chat-System in den USA keine ernsthafte Konkurrenz. Gruban war selbst überrascht darüber und meint ganz selbstbewußt: "Wir haben gemerkt, daß in den USA auch nur mit Wasser gekocht wird. Dort kommt ein Produkt nur schneller auf den Markt, in Deutschland wird es dagegen wesentlich gründlicher getestet."

Der Auftritt in Nordamerika wird deshalb ganz anders aufgebaut. Momentan laufen Gespräche mit möglichen Partnern für Venture Capital. Potentielle Geldgeber gibt es laut Gruban genug. Deshalb ist es bei der Wahl besonders wichtig, auf eine gute Zusammenarbeit zu achten. Geplant ist ein Support vor Ort und die Einstellung einiger neuer Mitarbeiter. Fast nebenbei wird auch in London ein Büro eröffnet. Nach Grubans lockerem Plauderton zu schließen, ist das alles wohl ein Kinderspiel.

Mittlerweile findet der Jungunternehmer auch wieder Zeit für Hobbies. Für das laufende Wintersemester lehrt er, der einst an einem Numerus Clausus gescheitert ist, Internet-Kommunikationskultur an der Münchner Kunstakademie. Dann schaut er auch immer wieder beim Münchner Online-Stammtisch vorbei. Und wenn er da nicht ist, vermarktet er wohl gerade einen neuen Trend, den er entdeckt hat.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.