Fehlende Werkzeuge sind kein Entschuldigungsgrund denn:

Auch ohne integrierte Tools sind die Probleme reduzierbar

11.08.1989

Den Netzwerkmanagern steht eine Dekade der Herausforderungen bevor. Die Verantwortlichen für die Netzwerke und die Telekommunikation in mittleren und großen Organisationen und Unternehmen werden in den kommenden Jahren ständig steigende Anforderungen bewältigen müssen. Lothar Schmidt* beschreibt die Maßnahmen, die heute schon eingeleitet werden müssen und die über die Implementierung von Tools hinausgehen.

Die Aktivitäten des Netzwerkmanagements konzentrieren sich in erster Linie auf das Planen, Betreiben, Überwachen, Installieren und Warten der unternehmensweiten Telekommunikationsnetzwerke. Diese Netzwerke umfassen Netze für Sprachübertragung, Wide Area Networks (WANs) und Local Area Networks (LANs) sowie die Schnittstellen zu öffentlichen Netzwerken. Das Ziel der Netzwerkmanager ist natürlich, die Bedürfnisse der Netzwerkbenutzer möglichst kostengünstig abzudecken. Letztere erwarten dagegen eine permanente Verfügbarkeit des Netzwerks und kurze Antwortzeiten auf den angeschlossenen Terminals und Workstations. Außerdem sollen Umstellungen (zum Beispiel Umzüge von Geräten und Systemen) in Stunden oder Tagen und nicht in Wochen oder Monaten erfolgen. Selbst Betriebe, die nur öffentliche oder Fremdnetzwerke benutzen, müssen ihre Zulieferer noch "managen", um sicherzustellen, daß die von ihnen verwendeten Netzwerke diesem Bedarf entsprechen.

Eine Untersuchung von Butler Cox zum Thema Netzwerkmanagement die europaweit durchgeführt wurde, ergab, daß eine Mehrheit der Netzwerkmanager der Ansicht ist, daß der momentane firmeninterne Kenntnisstand und die Tools nicht mehr ausreichen, um die komplexen und leistungsfähigen und mit extremer Intensität genutzten Netze zufriedenstellend zu betreiben. Als Folge könnte Netzwerkmanagement auf die Ebene von Ad-hoc-Reaktionen und die Lösung von täglich anfallenden Problemen abgleiten. Insbesondere die täglich neuen Anforderungen, weitere Benutzer und Dienste ins Netz aufzunehmen sowie Umzüge der angeschlossenen Geräte und Systeme vorzunehmen und ähnliche Routinearbeiten machen ein effektives Netzwerkmanagement schwierig. Das Beratungsunternehmen stellt daher den Seniormanagern eine Checkliste zur Verfügung, anhand derer eine grobe Bewertung der derzeitigen Effektivität des Netzwerkmanagements eines Unternehmens vorgenommen werden kann (siehe Kasten).

Auf den Punkt gebracht, läßt sich anhand der Umfragen der Untersuchung feststellen, daß die meisten Netzwerkmanager heute gezwungen sind, mit einem erheblichen Mangel an ausgebildetem Fachpersonal fertig zu werden sowie sich mit einer Kollektion von diskreten, inkompatiblen Tools zu behelfen. Häufig wurden Tools von bis zu zehn verschiedenen Anbietern in großen Betrieben gefunden.

Der eigentliche Bedarf liegt daher heute in einem integrierten Netzwerkmanagement, das Ausfallzeiten minimiert und bessere und direktere Schnittstellen für den operationalen Betrieb bereitstellt.

Dieser Bedarf entsteht insbesondere vor dem Hintergrund, daß es einen deutlichen Trend hinsichtlich der Schwere der Netzwerkfehler und -ausfälle gibt: Die Untersuchungen der Studie zeigten aus den Antworten von über 120 großen Unternehmen ein Ergebnis, wie es in der Abbildung dargestellt ist: Es wird immer mehr leicht behebbare Fehler geben, die im Grunde von entsprechenden Tools oder Help-Desk-Mitarbeitern schnell behoben werden können, und es häufen sich auf der anderen Seite sehr schwer behebbare Fehler, die Störungen von manchmal mehreren Tagen verursachen.

Die meisten Unternehmen sind heute nicht in der Lage, ein integriertes Netzwerkmanagement-System zu implementieren, da entsprechend integrierte Toolsysteme noch nicht standardmäßig von den Herstellern angeboten werden, und da sie selbst nicht die entsprechende Erfahrung und Kapazität zum Aufbau eines eigenen Systems besitzen.

Da die Entwicklung von integrierten Tools nur langsam vorangeht, sollten sich die meisten Unternehmen darauf konzentrieren, die vorhandenen Tools zu verbessern und die leistungsfähigsten der derzeit verfügbaren Werkzeuge anzuschaffen, anstatt den Versuch einer langfristigen Lösung zu machen. Verbesserte Produkte werden bis in die ersten 90er

Jahre immer wieder verfügbar werden, aber nur eine geringe Lebensdauer haben. Sie müssen ersetzt werden, sobald ein neueres Tool größere Vorteile bringt. Als Richtlinie für die Investition in die richtigen Werkzeuge könnte ein "ideales" Toolkonzept dienen: Es besteht aus bis zu zehn verschiedenen Modulen. Diese Module gruppieren sich um eine Bestands- und Konfigurationsdatenbank sowie eine Statistikdatenbank. Diese Datenbanken integrieren die Module und liefern ihnen die relevanten Informationen. Die verschiedenen Tools sind mit den Netzwerkkomponenten über eine Standardschnittstelle zur Netzwerküberwachung zu verbinden wodurch sichergestellt wird, daß sie konsistente Informationen erstellen und miteinander zusammenarbeiten. Das bei weitem komplexeste Modul ist jenes zur Netzwerküberwachung und -steuerung. Es ist am schwierigsten zu erstellen, da es eine große Vielzahl an Schnittstellen unterstützen sowie eine Reihe von Funktionen bieten sollte. Dazu gehören:

- Das Eliminieren von doppelten Daten, die durch verschiedene Netzwerkkomponenten erzeugt werden,

- das Konvertieren aller Daten in gerneinsame Formate,

- das Anbieten von Diagnosehilfsmitteln für die Netzwerktechniker

- das Übersetzen der Steueranweisungen der Techniker in das für jede Art von Netzwerkkomponenten richtige Befehlsformat,

- das Interpretieren und automatische Beantworten bestimmter Meldungsarten,

- die Weitergabe von Performance und Fehlerinformationen an andere Module.

Als ein weiteres wichtiges Kennzeichen des idealen Modells soll noch der speziell anpaßbare Berichtsgenerator erwähnt werden. Er dient dem Netzwerkmanagement-Personal dazu, die Berichte auf die Bedürfnisse der Geschäftsleitung und der einzelnen Geschäftsbereiche abzustimmen.

Zu erwähnen ist schließlich, daß ein integriertes Netzwerkmanagement-System und die zugehörigen Datenbanken nicht notwendigerweise als zentralisierte Einheit existieren müssen, sondern eher über das ganze Netzwerk verteilt sein werden. Die Entscheidung, wo die Daten gespeichert und wo die Modulfunktionen lokalisiert werden, ist ausschlaggebend, ob das Netzwerkmanagement-System effizient und kosteneffektiv arbeitet.

Die Analysen und Erfahrungen aus den vielen Fallstudien münden in der Erkenntnis, daß die gesamte Organisationsphilosophie der IV-Funktion zu überdenken ist. Eine Richtlinie dieser Überlegungen sollte sein, weg von der technologischen Struktur (Rechenzentrum, Netze, Entwicklung) hin zu einer funktionellen Struktur (Operations, Projekte, Planung) zu kommen. Dies hätte zur Folge, daß Netzbelange in vielen funktionsorientierten Unterabteilungen mit zum selbstverständlichen, integrierten Rüstzeug zur Erledigung der Aufgaben gehören und nicht länger einer gesonderten Abteilung überlassen werden sollte.

Die Funktion für das Netzwerkmanagement ist heute im allgemeinen organisatorisch viel zu niedrig aufgehängt. Sie müßte mit ihren Spezialisten sehr viele managementmäßige Aufgaben wahrnehmen, für die gerade jene Spezialisten im allgemeinen weder die Mentalität, noch die Erfahrung haben. Zu diesem Aufgabenspektrum gehören einerseits das Aushandeln von (vertraglichen) Leistungsniveau-Vereinbarungen mit den Fachabteilungen, andererseits die Bereitstellung von Help-Desk-Funktionen.

Auch bei der letzteren Aufgabe sollten die hochkarätigen Spezialisten auf keine Fall mehr eingesetzt werden. Sie verfügen kaum über die Mentalität, um unerfahrenen Benutzern häufig simple Fragen zu beantworten und sind darüber hinaus auch viel zu teuer. Es empfiehlt sich, die Help-Desk-Funktionen für die Workstation-Anwender und für die Netzprobleme zusammenzulegen, und den Help Desk mit Mitarbeitern zu besetzen, die ein auf diese Funktion angepaßtes Ausbildungs- und Erfahrungsprofil besitzen.

Derartige Maßnahmen schaffen Entlastungen für die Spezialisten, sind jedoch nur möglich, wenn es klare Verfahren und Richtlinien gibt. In diesen Verfahren ist auch festzulegen, unter welchen Kriterien ein Problem vom Help Desk dann doch an die Spezialisten weiterzugeben ist. Diese Verfahren regeln jedoch nicht nur den Instanzenweg bei Fehlermeldungen über den Help Desk, sondern behandeln auch so unterschiedliche Vorgänge wie Veränderungen am Netz, Umzüge und Erweiterungen, Performance-Messungen und Regeln für die Verhandlungen mit den Endbenutzern.

Zur Verminderung der Probleme im Bereich des Netzwerkmanagements in großen Unternehmen rät Butler Cox zu einem Maßnahmenbündel, welches kurzfristige und längerfristige Maßnahmen beinhaltet. Zu den kurzfristigen Maßnahmen zählt unter anderem:

- Sicherstellen, daß der Netzwerkmanager über gute Managementfähigkeiten verfügt; technische Qualifikationen sind von zweitrangiger Bedeutung,

- die Anzahl der Help Desks reduzieren und sicherstellen, daß jeder Benutzer nicht mehr als einen Help Desk anrufen muß,

- den Help Desk mit benutzerorientierten Mitarbeitern besetzen.

Maßnahmen, deren Wirkung eher Langfristcharakter haben, sind unter anderem:

- der Kauf von neuen Netzwerkkomponenten, bei denen die Netzwerkmanagement-Fähigkeit und die Schnittstellen zum mitentscheidenden Auswahlfaktor gemacht werden,

- eine Erhöhung des Budgets für die Schulung des Netzwerkmanagement-Personals,

- die Erweiterung des unternehmerischen und technologischen Verständnisses der Netzwerkmanagement-Mitarbeiter und vor allem die Erstellung individueller Pläne für berufliche Weiterentwicklung der Spezialisten.