Auch den Netzwerkern einen Platz am runden Tisch

16.06.1995

Martin Weinberger,

Geschaeftsfuehrer LWP, Ettlingen

Ob sie aus Euphorie oder pragmatischer Ueberlegung resultiert: Die intensive Lust, dem Mainframe ganz oder teilweise den Ruecken zu kehren und statt dessen auf den Client-Server-Pfad zu wechseln, scheint die gesamte Anwendergilde gepackt zu haben.

Doch wie so oft haben solche Trendthemen auch einige Schattenseiten. Was Client-Server-Strategien betrifft, resultieren einige Problemfelder aus der Tatsache, dass zwei Welten aufeinanderprallen, die bislang nebeneinanderlagen: Datenverarbeitung und Datenkommunikation. Ein Grossteil der deutschen Unternehmen verfuegt durch seine Zweigniederlassungen, Produktions- und Vertriebsstaetten ueber mehrere Standorte. Demzufolge macht es mit Blick auf eine moeglichst effiziente Nutzung der dezentralen Client-Server-Architekturen Sinn, die geografisch verteilten lokalen Netze zu einem Leistungsverbund zusammenzuschliessen. Die zunehmende Internationalisierung verstaerkt dieses Erfordernis sogar.

Corporate Network heisst die bekannte Formel dafuer und meint die vorteilhafte Integration der gesamten Unternehmenskommunikation. Doch diese Loesung ist noch laengst keine Selbstverstaendlichkeit und wird es vorlaeufig auch nicht werden, wie eine Studie der Ready Group* erbrachte. Danach hat erst jeder fuenfte Client-Server- Anwender mit mehreren Unternehmensstandorten ein WAN realisiert. Bedeutsamer ist jedoch mit 45 Prozent die Quote derer, die aehnliche Vorhaben ueberhaupt noch nicht im Visier haben.

Dass Corporate Networks gerade im Zusammenhang mit Client-Server- Projekten und trotz des grossen wirtschaftlichen Nutzens erst solch eine schwache Akzeptanz erlangt haben, beruht ganz wesentlich darauf, dass die Rechnung in der Praxis meist ohne die Datenverarbeiter gemacht wird.

Diese pflegen einerseits vielfach das zu Urzeiten der Datenuebertragung entstandene Vorurteil, dass Kommunikationssysteme, die auch fuer den Voice-Verkehr genutzt werden, den hohen Sicherheitsanspruechen an den Datentransfer nicht gerecht werden. Dabei beweist heute gerade ISDN genau das Gegenteil.

Andererseits - und dies ist vermutlich noch bedeutsamer, aber auch historisch begruendet - bestehen in den DV-Abteilungen zum Thema Kommunikation erhebliche Wissensdefizite. Dies fuehrt dazu, dass bei Client-Server-Projektplanungen fast immer nur die Fragen der Hardware, Software und Peripherie im Vordergrund stehen, waehrend die Netzwerkaspekte im Hintergrund bleiben und oft erst spaeter beachtet werden.

Genau darin liegt eine Schwachstelle der Dezentralisierungsstrategien: Eine sinnvoll gestaltete Kommunikationslandschaft, die sich entsprechend dem Corporate- Network-Gedanken durch integrierte Sprach-und Datenuebertragung, eine flexible Infrastruktur, Mehrwertdienste und niedrige Kosten auszeichnet, laesst sich nur erreichen, wenn in den Client-Server- Planungen von Beginn an grosse Sensibilitaet fuer die Fragen der Kommunikation besteht. Client-Server-Projekte sind immer durch ihre interdisziplinaere Art gepraegt, weil unterschiedliche Kompetenzen zusammengefuehrt werden muessen.

Allerdings wird dem im Anwenderalltag selten Rechnung getragen. Dies ist nicht zuletzt deshalb besonders tragisch, weil mit der Migration von Host-Systemen zu Client-Server-Architekturen nicht nur eine technische Veraenderung vollzogen wird, sondern in gleichem Masse die organisatorischen Strukturen neu gestaltet werden muessen.

Der oben erwaehnten Studie zufolge klagen drei Viertel der befragten Anwender ueber Schwierigkeiten bei den Netzwerkloesungen. Auch dies belegt, an die Adresse der Datenverarbeiter gerichtet, die Notwendigkeit, sich im Interesse der Ganzheitlichkeit solcher Projekte tiefer in Kommunikationsfragen hineinzudenken.

Doch die Netzwerker muessen ebenso hinzulernen: Sie duerfen sich nicht mehr mit ihrem Spezialwissen begnuegen, sondern muessen die Augen auch fuer die Anwendungen oeffnen. Nur wer Wesensstruktur und Eigenschaften der Applikationen versteht, kann fuer optimale Schnittstellen sorgen.

Doch den entscheidenden Bewusstseinswandel muessen die Verantwortlichen in den Anwenderunternehmen machen, um den Weg fuer eine ganzheitliche Projektrealisierung zu ebnen und die bislang dominierende Hard- und Software-Ausrichtung bereits in der Planungsphase zu ueberwinden. Dazu gehoert, den Netzwerkern von Beginn an einen Platz am runden Tisch zu schaffen.

*In der Ready Group sind 15 regionale Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 400 Millionen Mark zusammengeschlossen. Der Autor ist Initiator dieser Gruppe.